Catelyn
Catelyn schlief inmitten des hügeligen Graslandes und träumte, daß Bran wieder gesund war, daß Arya und Sansa sich an den Händen hielten, daß Rickon noch als Säugling an ihrer Brust lag. Robb spielte ohne Krone auf dem Kopf mit einem Holzschwert, und nachdem endlich alle schliefen, fand sie Ned lächelnd in ihrem Bett vor.
Süß war der Traum, süß und viel zu rasch vorüber. Die Dämmerung nahte ohne Erbarmen, wie ein Dolch aus Licht. Einsam und erschöpft erwachte sie; erschöpft vom Ritt, erschöpft vom Schmerz, erschöpft von der Pflicht. Ich möchte weinen. Ich möchte Trost. So leid bin ich es, stark zu sein. Ich möchte einmal töricht sein und mich fürchten dürfen. Nur für eine Weile, das ist alles… einen Tag lang… eine Stunde…
Vor ihrem Zelt waren die Männer bereits wach. Sie hörte das Wiehern der Pferde, Shadd, der sich über seinen steifen Rücken beschwerte, Ser Wendel, der nach seinem Bogen verlangte. Catelyn wünschte, sie würden alle verschwinden. Gute Männer waren sie, treu dazu, und dennoch war sie ihrer Gegenwart müde. Sie sehnte sich nach ihren Kindern. Eines Tages, versprach sie sich, würde sie sich gestatten, weniger stark zu sein.
Aber nicht heute. Heute durfte es nicht sein.
Ihre Finger kamen ihr noch ungeschickter vor als gewöhnlich, während sie ihre Kleider anlegte. Eigentlich mußte sie schon dankbar sein, daß sie ihre Hände überhaupt gebrauchen konnte, dachte sie. Der Dolch war aus valyrischem Stahl geschmiedet gewesen, und valyrischer Stahl schnitt tief. Man brauchte sich nur die Narben anzuschauen.
Draußen rührte Shadd Haferbrei in einem Kessel, derweil Ser Manderly dasaß und die Sehne seines Bogens spannte.
«Mylady«, grüßte er, als Catelyn heraustrat.»Im Gras halten sich Vögel versteckt. Wäre Euch eine gegrillte Wachtel zum Frühstück recht?«
«Haferbrei und Brot werden genügen… für uns alle, denke ich. Wir haben noch viele Meilen vor uns, Ser Wendel.«
«Wie Ihr wünscht, Mylady. «Auf dem Mondgesicht des Ritters erschien der Ausdruck von Niedergeschlagenheit, die Spitzen seines großen Walroßschnurrbarts zuckten vor Enttäuschung.»Haferbrei und Brot, was könnte besser sein?«Er war einer der fettesten Männer, die Catelyn je kennengelernt hatte, doch wie sehr er gutes Essen auch genoß, seine Ehre war ihm wichtiger.
«Habe ein paar Nesseln gefunden und Tee gekocht«, verkündete Shadd.»Möchten Mylady einen Becher?«»Ja, gern, danke.«
Sie hielt den Tee in den vernarbten Händen und blies darauf, um ihn abzukühlen. Shadd stammte aus Winterfell. Robb hatte ihr zwanzig seiner besten Männer mitgegeben, damit sie Renly sicher erreichte, und außerdem fünf Lords, deren Namen und hohe Geburt ihrer Mission mehr Gewicht und Ehre verleihen würden. Auf dem Weg nach Süden mieden sie Städte und Burgen, dennoch hatten sie bereits häufiger Banden von gepanzerten Kriegern gesehen und in der Ferne am östlichen Horizont Rauch entdeckt. Bislang hatte es allerdings niemand gewagt, sie zu belästigen. Sie waren zu wenige, um eine Bedrohung darzustellen, zu viele für eine leichte Beute. Hätten sie erst den Blackwater erreicht, läge das schlimmste hinter ihnen. In den vergangenen vier Tagen waren sie auf keine Spuren des Krieges mehr gestoßen.
Catelyn hatte diese Reise nicht gewollt. Das hatte sie Robb auch gesagt, noch in Riverrun.»Als ich Renly das letzte Mal gesehen habe, war er so alt wie Bran. Ich kenne ihn gar nicht. Schickt jemand anderes. Mein Platz ist hier, an der Seite
meines Vaters, denn viel Zeit bleibt ihm nicht mehr.«
Ihr Sohn hatte ihr unglücklich in die Augen geschaut.»Es gibt niemanden außer Euch, den ich entsenden kann. Ich selbst kann nicht gehen. Euer Vater ist zu krank. Der Blackfish ist mein Auge und Ohr, ich wage es nicht, ihn zu schicken. Euren Bruder brauche ich, damit er Riverrun hält, wenn wir uns in Marsch setzen… «
«In Marsch setzen?«Niemand hatte ihr darüber auch nur ein Sterbenswörtchen gesagt.
«Ich kann nicht hier in Riverrun sitzen und auf Frieden warten. Dadurch erwecke ich den Eindruck, ich würde mich vor der Schlacht fürchten. Sobald es keine Schlachten zu schlagen gibt, denken die Männer an ihr Heim und ihre Ernte, das hat mir Vater beigebracht. Selbst meine Nordmannen werden unruhig.«
Meine Nordmannen, dachte sie. Jetzt redet er schon wie ein König.»Noch nie ist jemand an Unruhe gestorben, aber überstürzt zu handeln, ist etwas anderes. Wir haben die Saat ausgebracht, lassen wir sie aufgehen.«
Robb schüttelte stur den Kopf.»Wir haben ein paar Samen in den Wind gestreut, mehr nicht. Wenn Eure Schwester Lysa uns zu Hilfe kommen wollte, hätte sie uns darüber längst in Kenntnis gesetzt. Wie viele Vögel haben wir bereits zur Eyrie geschickt, vier? Auch ich möchte Frieden, doch weshalb sollten mir die Lannisters irgend etwas schenken, während ich hier herumsitze und meine Armee dahinschmilzt wie der Sommerschnee?«
«Anstatt den Eindruck eines Feiglings zu machen, tanzt Ihr lieber nach Lord Tywins Pfeife?«hielt sie ihm entgegen.»Er will, daß Ihr nach Harrenhal marschiert, fragt nur Euren Onkel Brynden — «
«Ich habe nicht von Harrenhal gesprochen«, unterbrach sie Robb.»Also, geht Ihr nun für mich zu Renly, oder muß ich den
Greatjon schicken?«
Bei dieser Erinnerung stahl sich ein mattes Lächeln auf ihr Gesicht. Solch ein offensichtliches Spiel, und trotzdem durchtrieben für einen fünfzehnjährigen Knaben. Robb wußte genau, wie ungeeignet Greatjon Umber war, um mit Renly zu verhandeln, und ihm war auch klar, daß sie dies auch wußte. Was konnte sie tun, außer zuzustimmen und dafür zu sorgen, ihren Vater bei ihrer Rückkehr noch lebend vorzufinden? Hätte sich Lord Hoster besserer Gesundheit erfreut, wäre er selbst gereist. Und so fiel ihr der Abschied schwer, wahrlich schwer. Er erkannte sie nicht einmal, als sie kam, um ihm Lebewohl zu sagen.»Minisa«, nannte er sie,»wo sind die Kinder? Meine kleine Cat, meine süße Lysa…«Catelyn küßte ihn auf die Stirn und versicherte ihm, seine Lieben seien wohlauf.»Wartet auf mich, Mylord«, fügte sie hinzu, als er die Augen schloß.»Ich habe schon sooft auf Euch gewartet. Jetzt müßt Ihr das gleiche einmal für mich tun.«
Das Schicksal treibt mich wieder und wieder nach Süden, schoß es Catelyn durch den Kopf. Sie hatte Bran und Rickon geschrieben, an ihrem letzten Abend in Riverrun. Ich habe euch nicht vergessen, meine Lieblinge, das müßt ihr mir glauben. Aber euer Bruder braucht mich jetzt mehr. Sie nippte an dem bitteren Tee, und Shadd füllte ihr Haferbrei auf.»Lord Renly ist nicht mehr weit entfernt, wenn die Gerüchte stimmen.«
Und was soll ich ihm sagen, wenn ich ihn finde? Daß mein Sohn ihn nicht als den wahren König anerkennt? Sie freute sich nicht auf dieses Treffen. Gewiß brauchten sie Freunde und keine weiteren Feinde, aber Robb würde niemals das Knie vor einem Mann beugen, der seiner Ansicht nach keinen berechtigten Anspruch auf den Thron hatte.
Ihre Schüssel war leer, obwohl sie sich kaum daran erinnern konnte, den Haferbrei gegessen zu haben. Sie stellte sie zur Seite.»Zeit zum Aufbruch. «Je eher sie mit Renly sprach, desto früher konnte sie nach Hause zurückkehren. Sie saß als erste im Sattel und gab das Tempo der Kolonne vor. Hal Mollen ritt neben ihr und trug das Banner des Hauses Stark, den grauen Schattenwolf auf eisweißem Feld.