Einen halben Tagesritt vor Renlys Lager wurden sie entdeckt. Robin Flint, der ihre Vorhut bildete, kehrte im Galopp zurück und berichtete, er habe einen Wachposten auf dem Dach einer Windmühle in der Ferne gesehen. Als Catelyns Trupp bei der Mühle ankam, war der Mann längst verschwunden. Sie setzten ihren Marsch fort und hatten kaum eine Meile hinter sich gebracht, da tauchten Renlys Vorreiter vor ihnen auf, zwanzig Mann in Rüstung, die von einem graubärtigen Ritter angeführt wurden, dessen Überrock mit Blauhähern verziert war.
Nachdem dieser ihre Banner gesehen hatte, trabte er allein heran.»Mylady«, rief er,»ich bin Ser Colen von Greenpools. Ihr reist durch ein gefährliches Gebiet.«
«Wir kommen in einer dringenden Angelegenheit zu Euch«, antwortete sie.»Ich bin die Gesandte meines Sohns, Robb Stark, König des Nordens, um mit Renly Baratheon, dem König des Südens, zu verhandeln.«
«König Renly wurde zum König aller Sieben Königslande gekrönt und gesalbt, Mylady«, gab Ser Colen zurück, wenn auch höflich.»Seine Gnaden lagert mit seinem Heer bei Bitterbridge, wo die Roseroad den Mander kreuzt. Es wäre mir eine große Ehre, Euch zu ihm zu geleiten. «Der Ritter hob eine gepanzerte Hand, und seine Männer bildeten eine doppelte Reihe an den Flanken von Catelyn und ihrer Eskorte. Geleiten oder gefangennehmen? fragte sie sich. Doch mußte sie wohl oder übel auf Ser Colens Ehre und die Lord Renlys vertrauen.
Den Rauch der Feuer bemerkten sie bereits eine Stunde, bevor sie den Fluß erreichten. Dann vernahmen sie den Lärm, ein undeutliches Rauschen wie das eines fernen Meeres, das über die Bauernhöfe und Felder und die hügelige Ebene hinweggrollte und lauter wurde, je näher sie kamen. Als sie schließlich vor dem schlammigen braunen Wasser des Manders standen, der in der Sonne glitzerte, konnten sie Stimmen von Männern ausmachen, Rasseln von Stahl, Wiehern von Pferden. Dennoch hatten weder Rauch noch Lärm sie auf das Heer selbst vorbereitet.
Tausende von Feuern füllten die Luft mit einem bleichen Dunst. Die Reihen der angepflockten Pferde erstreckten sich über Meilen. Gewiß hatte man für die vielen Fahnenstangen einen ganzen Wald gefällt. Große Belagerungsmaschinen standen entlang des Grassaums der Roseroad, Katapulte verschiedener Art und Sturmböcke auf Rollen. Die stählernen Spitzen von Piken flammten rot im Sonnenlicht auf, als wären sie bereits mit Blut beschmiert, während sich die Pavillons der Ritter und hohen Lords aus dem Gras erhoben wie seidene Pilze. Sie sah Männer mit Speeren und Männer mit Schwertern, Männer, die Stahlhelme und Kettenhemd trugen, Lagerhuren, die ihre Verführungskünste aufboten, Pfeilmacher, Fuhrleute auf Wagen, Schweinehirten, die ihre Tiere hüteten, Pagen, die Botschaften hin und her trugen, Knappen, die Schwerter wetzten, Ritter auf Zeltern, Stallburschen, die sich mit widerspenstigen Schlachtrössern abmühten.»Was für ein furchterregender Haufen«, bemerkte Ser Wendel Manderly, während sie die alte Steinbrücke überquerten, die Bitterbridge seinen Namen verlieh.»In der Tat«, stimmte Catelyn zu.
Fast die gesamte Ritterschaft des Südens war Renlys Ruf gefolgt. Überall sah man die goldene Rose von Highgarden: auf der rechten Brust von Kriegern und Dienern, auf grünen Seidenbannern, die Lanzen und Piken zierten, auf den Schilden, die vor den Pavillons der Söhne und Brüder und Vettern und Onkels des Hauses Tyrell hingen. Auch den Fuchs und die Blumen des Hauses Florent erspähte Catelyn, die roten und grünen Äpfel der Fossoways, Lord Tarlys schreitenden
Jägersmann, Eichenblätter für Oakheart, Kraniche für Crane, eine Wolke schwarz-orangefarbener Schmetterlinge für die Mullendores.
Jenseits des Manders hatten die Sturmlords ihre Standarten aufgepflanzt — Renlys eigentliche Vasallen, die dem Hause Baratheon und Storm's End verschworen waren. Catelyn entdeckte Bryce Carons Nachtigallen, die Federkiele von Penrose und Lord Estermonts Meeresschildkröte, grün auf grün. Und für jeden Schild, den sie kannte, gab es ein Dutzend ihr fremde, die von kleineren Lords getragen wurden, welche wiederum den Vasallen den Treueeid geleistet hatten, dazu landlose Ritter, die in Scharen herbeigeeilt waren, um Renly Baratheons Anspruch auf den Königstitel die nötige Rückendeckung zu verleihen.
Hoch über allen anderen flatterte Renlys Banner im Wind. Auf dem höchsten Belagerungsturm, einem riesigen, fahrbaren Ungeheuer aus Eichenholz, wehte die größte Fahne, die Catelyn je zu Gesicht bekommen hatte — ein Tuch, das den Boden mancher Halle wie ein Teppich bedeckt hätte. Es schimmerte golden und war mit dem gekrönten schwarzen Hirsch der Baratheons geschmückt, der sich stolz zu seiner vollen Größe erhob.
«Mylady, hört Ihr den Lärm?«fragte Hallis Mollen und ritt zu ihr heran.»Was ist das?«
Sie lauschte. Rufe, Wiehern von Pferden, Krachen von Stahl und — »Jubel«, antwortete sie. Bisher waren sie einen sanften Hügel hinauf auf eine Reihe von Pavillons zugeritten. Als sie diese jetzt passierten, wurde das Gedränge dichter und der Lärm lauter. Dann sah sie es.
Vor den steinernen Mauern einer kleinen Burg war ein Turnier im Gange.
Auf einem Feld hatte man eine Kampfbahn und Tribünen errichtet. Hunderte von Zuschauern hatten sich versammelt, vielleicht Tausende. Der aufgewühlten und von zersplitterten Lanzen übersäten Erde nach zu urteilen, fanden die Tjosts bereits seit gestern statt, aber jetzt war das Ende anscheinend nah. Nur etwa zwanzig Ritter saßen noch auf den Pferden und maßen sich im Zweikampf, während Beobachter und ausgeschiedene Wettbewerber ihnen zujubelten. Zwei Streitrösser in voller Rüstung krachten gerade gegeneinander und gingen in einem Wirrwarr von Stahl und Pferdefleisch zu Boden.»Ein Turnier«, erkannte Hal Mollen. Er hatte eine Vorliebe dafür, das Offensichtliche laut zu verkünden.
«Oh, ausgezeichnet«, lobte Ser Wendel Manderly, als ein Ritter mit regenbogenfarbig gestreiftem Mantel herumfuhr und einen Rückhandhieb mit einer langen Axt austeilte, der den Schild seines Verfolgers spaltete.
Das Gedränge erschwerte ihnen das Vorankommen.»Lady Stark«, sagte Ser Colen,»wenn Eure Männer so gut wären und hier warten, könnte ich Euch zum König bringen.«
«Wie Ihr meint. «Sie gab den entsprechenden Befehl und mußte die Stimme heben, damit man sie über den Tumult des Turniers hinweg verstand. Ser Colen drängte sein Pferd langsam durch die Menge, und Catelyn folgte ihm. Ein Beifallssturm wurde laut, als ein helmloser rotbärtiger Mann mit einem Greif auf dem Schild von einem großen Ritter in blauer Rüstung aus dem Sattel gestoßen wurde. Sein Stahl schimmerte kobaltblau, auch der stumpfe Morgenstern, den er mit solch tödlicher Wucht schwang, und sein Pferd trug auf der Schabracke das geviertelte Sonne-und-Mond-Wappen des Hauses Tarth.
«Der Rote Ronnet ist gefallen, verdammt und bei den Göttern«, fluchte ein Mann.
«Loras wird sich schon um diese blaue — «antwortete sein Gefährte, doch der Rest seiner Worte ging im Brüllen der Menge unter. Der nächste Recke fiel und blieb unter seinem verletzten Pferd liegen. Beide, Mann und Tier, schrien vor Schmerzen. Knappen eilten zu Hilfe.
Das ist doch Irrsinn, dachte Catelyn. Auf allen Seiten lauern Feinde, das halbe Reich steht in Flammen, und Renly sitzt hier und spielt Krieg wie ein Knabe mit seinem ersten Holzschwert.
Die Lords und Ladys auf der Tribüne waren vom Turniergeschehen ebenso gefesselt wie die anderen Zuschauer. Catelyn erkannte viele von ihnen. Ihr Vater hatte oft mit den Lords des Südens zu tun gehabt, und nicht wenige hatten Riverrun besucht. Dort saß Lord Mathis Rowan, der noch dicker und röter war als früher und dessen goldener Baum sein weißes Wams bedeckte. Unterhalb von ihm entdeckte sie die kleine, zarte Lady Oakheart, und zu ihrer Linken Lord Randyll Tarly von Horn Hill, dessen Großschwert Heartsbane hinter seiner Stuhllehne aufragte. Andere erkannte sie an ihren Wappen, manche jedoch überhaupt nicht.