Der Hund öffnete die Augen. Er hob seinen zerfurchten Schädel, lauschte und sprang in einer einzigen, unerwarteten Bewegung auf alle viere. Diese Bewegung brachte den Habicht so gewaltsam zum Zustoßen, dass der Luftzug, den sein Flügelschlag verursachte, die Lampe ausblies. Im Dunkeln konnte Wayland weder seine Versuche, sich aus der Fessel zu winden, noch sein Flattern kontrollieren. Er öffnete einen Fensterladen, und im Sternenlicht gelang es ihm, den Habicht zurück auf seine Faust zu holen und die verdrehten Schnüre der Geschühriemchen zu entwirren. Mit offenem Schnabel und heftigen Atemzügen hockte der Vogel auf Waylands Handschuh wie ein Huhn mit Krämpfen. Wayland war bewusst, dass ihn dieser Rückschlag eine weitere Nacht um den Schlaf bringen würde, aber er konnte den Habicht jetzt nicht absetzen. Wenn er es tat, wären alle Fortschritte zunichte, die er bisher erzielt hatte, und er müsste noch einmal ganz von vorne anfangen. Der Hund, der sein vorwurfsvolles Murren gar nicht wahrnahm, knurrte die Tür an, und hinter seinen Lefzen wurden Reißzähne sichtbar, die schon eher an die Hauer eines Ebers erinnerten.
Jemand hämmerte mit der Faust an die Tür. «Du wirst im Saal verlangt. Schnell!»
Wayland zog die Tür halb auf. Raul der Deutsche stand keuchend vor ihm. Er war gerannt, so sehr eilte es anscheinend. Wayland deutete auf den Habicht, dann auf die Sitzstange.
«Nimm ihn mit.»
Wayland griff nach dem Maulkorb, der an einem Holzzapfen hing. Der Hund sollte ihn draußen immer tragen.
Raul winkte ab. «Dafür ist keine Zeit.»
Wayland folgte ihm in die schneidend kalte Dunkelheit. Vereiste Karrenspuren machten das Gehen gefährlich. Sternbilder, die in ihrer Umlaufbahn festgefroren schienen, standen über dem Bergfried. Der Hund trabte neben ihm her, seine Schultern auf einer Höhe mit Waylands Hüften. Der Habicht, überfordert von all den Sinneseindrücken, duckte sich auf seine Faust.
Raul warf Wayland über die Schulter einen begeisterten Blick zu. «Sie reden über eine Expedition nach Norwegen. Wenn sie auf Falken aus sind, brauchen sie einen Falkner.» Er blieb stehen. «Das könnte unsere Gelegenheit sein.»
Zur Flucht, meinte er. Damit sie nach Hause zurückkehren konnten. Raul stammte von der Sachsenküste und war der Haupternährer einer verzweigten Familie, die ihren Bauernhof bei einer Nordseeflut verloren hatte. Er war ausgezogen, um sein Glück zu suchen, und hatte sich, nach mehreren glücklosen Abenteuern zu Land und zur See, bei den Normannen als Armbrustschütze verdingt. Er war ein bärtiger kleiner Mann mit einer Brust wie ein Fass und einer Schwäche für Trinkgelage, Frauen und sentimentale Lieder, und seine Disziplin abseits des Schlachtfeldes war miserabel. Obwohl er zehn Jahre älter war als Wayland, hatte er sich dem großen englischen Jüngling eng angeschlossen, doch bis auf die Tatsache, dass sie beide Außenseiter waren, verbanden sie kaum Gemeinsamkeiten.
Wayland schob ihn weiter. Als sie den Palas erreicht hatten, legte sich der Hund am Eingang nieder, ohne dass es ihm befohlen werden musste. Wayland trat ein.
«He», rief ihm Raul nach. «Wenn sie Freiwillige suchen, lege ein Wort für mich ein.»
Die meisten Männer in dem Raum mit der hohen Balkendecke schliefen. Ein paar benebelte Blicke hoben sich von Ale-Krügen und Würfeln. Drogos Stimme drang durch die Abschirmung aus Vorhängen, mit der die Gemeinschaftsbereiche vom Empfangsraum des Grafen getrennt wurden.
«Nimm dich in Acht!», sagte einer der Soldaten zu Wayland. «Sie streiten sich schon seit Stunden. Der Alte ist sauer.»
Wayland trat zwischen den Stoffbahnen hindurch. Olbec und Margaret saßen auf x-beinigen Lehnstühlen auf einem Podest. Drogo lief vor ihnen auf und ab, sein Gesicht war rot wie eine gekochte Schweinehälfte, und er schlug mit der rechten Faust in die Handfläche der anderen Hand, um seine Meinung zu unterstreichen. Die Fremden standen mit dem Rücken zu Wayland, der Franke wirkte entspannt und zugleich aufmerksam, der Grieche dagegen steif vor Konzentration. Richard saß allein in einer Ecke.
«Ich gebe zu», sagte Drogo, «dass ich mich mit Falken nicht besonders gut auskenne. Die Beizjagd ist mir eben zu verweichlicht. Wo ist da das Risiko, die Gefahr? Aber eines weiß ich trotzdem. Falken fallen allen möglichen Krankheiten zum Opfer. Sie sterben an jeder Kleinigkeit. Setzt man einen gesunden Falken abends auf die Stange, findet man am nächsten Morgen ein totes Federbündel vor. Kauft man ein Dutzend Gerfalken in Norwegen, kann man froh sein, wenn auch nur ein einziger Vogel die Reise überlebt.»
Margaret stieß Olbec an. «Hör nicht auf ihn. Er redet aus Boshaftigkeit so.»
Olbec breitete verzweifelt die Arme aus. «Milady, lasst nur ein einziges Mal Eure Voreingenommenheit beiseite und bedenkt die sachlichen Fragen. Womit sollen die Falken unterwegs ernährt werden?»
Auf Margarets Wangen bildeten sich rote Flecken. «Mit Tauben, Möwen, Schafen und Fisch!»
Wayland hatte den Hühnerhabicht vergessen. Unversehens flatterte der Vogel heftig mit den Flügeln und zog damit die Aufmerksamkeit aller auf sich. Der Fleischgeschmack hatte ihm die Angst genommen. Er stürzte sich gierig auf die Taubenbrust, die Wayland mit in den Palas genommen hatte, riss mit dem Schnabel Fleischbrocken ab und würgte sie angestrengt hinunter.
Wayland hatte in enger Verbundenheit mit der Natur gelebt und schätzte an jeder Situation schnell ihre Gefährlichkeit ein. Der Blick des Franken, zugleich bohrend und gleichgültig, wies ihn als äußerst gefährlich aus. Der Grieche dagegen stellte keinerlei Bedrohung dar. Seine hervortretenden Augen erinnerten Wayland an einen schreckensstarren Hasen.
«Der Falkner», verkündete Olbec.
«Ich hatte einen älteren Mann erwartet», sagte Vallon.
Olbec setzte sich auf. «Er ist kräftig und kann unglaublich gut mit Tieren umgehen. Dieser Hühnerhabicht zum Beispiel. Er hat ihn erst vor ein paar Tagen gefangen, und schon lässt er sich füttern wie eine Haustaube. Ich schwöre, dass dieser Bursche Tiere verhexen kann.» Der Graf trank schlürfend von seinem Ale. «Wenn irgendjemand die Gerfalken sicher an ihren Bestimmungsort bringen kann, dann ist er es.»
«Weiß er denn, was ein Gerfalke ist?», fragte Hero.
Drogo stieß ein verächtliches Lachen aus. «Selbst wenn er es wüsste, könnte er es nicht sagen. Er ist nämlich stumm wie ein Fisch.»
«Es stimmt, dass er nicht sprechen kann», sagte Olbec. «Elfen oder dergleichen haben ihm die Zunge gestohlen, als er noch im Wald lebte. Walter hat ihn gefangen, als er flussaufwärts jagte. Die Jagdhunde haben ihn vor einer Höhle umgerannt. Er war in Felle und Federn gekleidet und sah mehr nach einem Tier als nach einem Christenmenschen aus.»
Hero riss die Augen auf. «Wie lange hat er in der Wildnis gelebt?»