Er zog Wayland am Ärmel näher zu sich. «Das wäre Selbstmord.»
«Wulfstan hat eine Idee.»
Als Vallon sie gehört hatte, starrte er in die reißenden Fluten, dann starrte er Wulfstan an. Der Wikinger grinste. «Da geht Euch der Arsch auf Grundeis, was?»
«Ein Pfund Silber, wenn es funktioniert.»
Nachdem sie die Pferde und die Falken ausgeladen hatten, ruderten die beiden Bootsmannschaften mit dem Ersatzboot im Schlepptau von der Felsbank weg und steuerten das Ufer oberhalb des Katarakts an. Wayland und Syth folgten ihnen in dem Kanu. Als die Ruderer in Ufernähe waren, ließen sie sich flussabwärts treiben, bis sie den Sog der Strömung spürten, dann sprangen sie aus den Booten und kämpften sich über die schlüpfrigen Felsen an Land.
Anschließend verknoteten sie Taue aus Walrosshaut an Bug und Heck des Ersatzbootes. Die Männer, die am Hecktau standen, umwickelten sich die Hände mit Tuchfetzen und suchten zwischen den Felsen sicheren Stand. Wulfstan nahm das Bugtau und arbeitete sich zurück zu Wayland und Syth, die in dem Kanu warteten. Syth nahm das Ende des Taus, und Wayland paddelte vom Ufer weg. Das Tau rollte sich in einer Kurve hinter ihnen auf dem Wasser aus und drohte sie in Richtung des Wasserfalls zu ziehen. Wayland brachte sie wieder in ruhigeres Wasser und von dort aus zu der Felsbank. Dort übernahmen die Lotsen das Tau und ließen die Soldaten und Sklaven auf der Felsbank im rechten Winkel zu der Stromschnelle Aufstellung nehmen.
Der Himmel hatte sich mit zitronengelben und burgunderfarbenen Streifen bezogen. Wayland gab den Männern am Ufer mit der erhobenen Hand ein Zeichen. Das Boot begann sich zu bewegen, Wasser schäumte gegen sein Heck, als die Gruppe am Ufer seine Fahrt durch das Gefälle abbremste. Es glitt in das Becken. Eine Welle schlug über seinem Heck zusammen.
«Ziehen!»
Die Soldaten und Sklaven hängten sich an das Tau, zerrten das Boot herum und zogen es in das ruhige Wasser unterhalb der Felsbank.
«Und jetzt versuchen wir es mit einer von den Galeeren», sagte Wayland.
Acht Russen ruderten die Galeere zum Ufer. Alle wollten aussteigen, doch die Wikinger schoben vier von ihnen zurück. «Wir können nicht alle in den Booten mitnehmen!», rief Wulfstan. Sie sicherten die Galeere wie zuvor das Boot, und Wulfstan brachte das Bugtau zu Wayland. «Die Galeere ist zehnmal so schwer wie das Boot», sagte er. «Wir können sie nicht halten, wenn die Strömung sie erfasst hat. Also müsst ihr anfangen zu ziehen, bevor sie in das Becken eintaucht, sonst wird sie an der Wand der Schlucht zerschmettert.»
Wayland und Syth paddelten zurück zu der Felsbank. Die Dämmerung kam, und die Gesichter der Kindersklaven schimmerten im Halbdunkel wie weiße Blüten. Von der Felsbank aus waren die Leute am Ufer nur noch als vage Schatten zu erkennen. Wayland machte das Zeichen, und Wulfstan gab die Galeere frei. Sie nahm Fahrt auf, das Tau zischte durch die Hände der Männer. «Loslassen!», brüllte Wulfstan.
Die Galeere machte einen Satz vorwärts und tauchte mit dem Bug tief ins Wasser, bevor sie sich wieder aufrichtete und auf die Felswand der Schlucht zuraste. Die Russen auf dem Schiff klammerten sich an die Ruderbänke und brüllten vor Entsetzen. Erst als die Galeere nur noch zehn Schritt von der Schluchtwand entfernt war, gelang es den Männern auf der Felsbank, ihren Bug herumzuziehen. Das Schiff neigte sich, kämpfte gegen die Strömung, dann zogen die Treidler es langsam aus dem Hexenkessel. Einer der Russen am Ufer schrie vor Schmerz und hielt sich die Hand, die von dem Tau bis auf den Knochen aufgeschnitten worden war.
Beide Gruppen hatten nun ein Gefühl für den Ablauf gewonnen, und die zweite Galeere hinunterzulassen hätte einfacher sein sollen. Alles ging gut, bis Wulfstan den Befehl erteilte, das Tau loszulassen. Einer der Russen aber hielt es einen Moment zu lang fest, und der Satz, mit dem die Galeere in die Strömung tauchte, riss ihn ins Wasser. Hätte er sich an dem Tau festgehalten, wäre er vielleicht mit dem Leben davongekommen. Stattdessen aber ließ er los und strampelte wild aufs Ufer zu. Er war nur noch eine Armeslänge davon entfernt, als ihn die Strömung erfasste und an dem Schiff vorbei den Wasserfall hinunterzog. Die Russen an Bord konnten nicht sehen, wo er war, und selbst wenn, hätten sie ihn nicht retten können. Um sich selbst kreisend und verzweifelnd um sich schlagend wurde er auf den Felsvorsprung zugetrieben, dann geriet er in einen der Strudel und verschwand. Alle starrten auf das Wasser in der Erwartung, ihn wieder auftauchen zu sehen. Aber er blieb verschwunden. Der Fluss hatte ihn mit Haut und Haaren verschluckt.
Doch es war keine Zeit, über diesen Verlust zu jammern. Es war schon beinahe dunkel, als Wayland und Syth wieder lospaddelten. Vallon drehte sich zu Wulfstan um. «Wer im letzten Boot sitzt, hat niemanden, der den Schwung abbremst.»
Wulfstans Zähne schimmerten auf. «Meine Wikinger fahren als letzte, wenn sie dafür noch ein Pfund Silber bekommen.»
«Abgemacht.»
Sie waren zu sechst in Vallons Boot, einschließlich dreier Russen. Vallon klammerte sich mit beiden Händen an einer Ruderbank fest, und schon waren sie auf dem Wasser, das zischend am Heck vorbeirauschte. Das Boot begann zu tanzen, und das Tau vibrierte unter der Belastung. Dann schien sein Magen oben bleiben zu wollen, während sie den Wassertrichter hinunterjagten. Die Wikinger hatten das Tau zu früh losgelassen, und das Boot raste durch das brodelnde Wasser auf die hochsteigende Welle an der Wand der Schlucht zu. Nur das Glück rettete sie. Gerade als Vallon dachte, die Woge würde sie kentern lassen, kippte die Welle um und trieb sie zurück. Er spürte, wie das Boot an dem Bugtau herumgezogen wurde. Es krängte und Wasser lief hinein. Dann richtete sich das Boot wieder auf, und sie waren auf der anderen Seite der Felsbank in ruhigem Wasser.
Wayland half ihm beim Aussteigen. «Alles in Ordnung?»
«Bestens», sagte er und wischte sich mit der Hand übers Gesicht. «Allerbestens.»
Er erinnerte sich später kaum daran, wie die Wikinger den Wasserfall hinuntergekommen waren, nur daran, dass sie gesungen hatten, als sie die schäumenden Wogen hinabrasten, und dass Wulfstan ganz gelassen neben ihn auf die Felsbank getreten war und gesagt hatte: «Ich würde die zwei Pfund Silber gleich jetzt nehmen, wenn es nicht zu viele Umstände macht.»
Zwischen den Stromschnellen lag der Strom so ruhig da wie Moiréseide. Sterne blinkten am Himmel, und ein heller Schimmer lag über den Felskuppen im Osten, wo sich bald der Mond zeigen würde.
Richard legte sich in die Riemen. «Ich bin froh, dass Ihr Drogos grausamen Vorschlag abgelehnt habt.»
«Ich hätte die Sklaven zurückgelassen, wenn Wulfstan nicht mit seinem Plan gekommen wäre. Die Kumanen hätten sie nicht getötet. Sie hätten sie einfach zu ihren Sklaven gemacht. Und besser einen Nomaden zum Herrn als die Perversen in Konstantinopel.»
Richard warf den bleichen Gestalten über die Schulter einen Blick zu. «So eine empfindliche Fracht. Es macht mich ganz traurig, wenn ich daran denke, was ihnen bevorsteht.»
Sie ruderten durch die Nacht, gurgelnd umströmte sie der Fluss. Dann tauchte der Mond auf, beinahe an seinem höchsten Stand. Sein kupfernes Licht hob die Umrisse der Schlucht hervor und tauchte Felsnasen und Spalten, die tief genug waren für eine ganze Armee lauernder Feinde, in schwarze Schatten.
Hero behielt die Klippen im Blick. «Glaubst du, dass uns die Kumanen verfolgen?»