«Sie fahren los. Aufsitzen.»
Vallon drückte seinem Pferd die Fersen in die Flanken, und sie ritten vom Fluss weg. Es war, als würden sie sich auf einen dichten schwarzen Vorhang zubewegen. Das schwache Licht führte zu mehr Täuschungen als Klarheit. «Was ist das?», flüsterte Drogo und deutete auf einen eben erkennbaren Schatten, der von einem Hügel aufragte. Es sah aus wie ein Reiter, der auf sie wartete, aber als sie vorsichtig näher ritten, stellten sie fest, dass sie ihre Waffen auf einen Busch richteten.
Vallon gluckste in sich hinein. «Eine nützliche Lektion. Wenn uns ein Strauch zu Tode erschrecken kann, wie soll es dann erst den Kumanen gehen, wenn sie annehmen, in ihrem Lager wären bewaffnete Geister aufgetaucht.»
Er führte sie in einem Halbkreis und hielt etwa eine Viertelmeile hinter der Felsspitze an. «Wir müssen uns nicht anschleichen. Sie werden davon ausgehen, dass wir auch Kumanen sind. Antwortet nicht, wenn sie Begrüßungen rufen. Zieht eure Schwerter nicht, bevor ihr sie damit angreifen könnt. Schlachtet sie ohne Gnade ab. Keiner darf entkommen.»
Alle nickten schweigend. Vallon trieb sein Pferd an. Sie ritten auf die Felsspitze zu, deren Rand dunkelgrau vor dem Sternenhimmel zu erkennen war.
«Ich sehe ihre Pferde», flüsterte Wulfstan.
Vallon schmiegte sich dicht an den Hals seines Pferdes und spähte nach vorn. «Jetzt sehe ich sie auch.» Er tastete nach seinem Schwert.
Sie trieben ihre Pferde zum Trab an. Die Umrisse der anderen Pferde wurden deutlicher.
Drogo lehnte sich zu Vallon hinüber. «Wo sind die Reiter?»
«Ganz nahe.»
Die Pferde der Kumanen hatten sie gehört und drehten die Köpfe nach ihnen um. Eines schnaubte. Eine Pyramidenform neben den Tieren entpuppte sich als drei Lanzen, die mit den Spitzen aneinanderlehnten.
«Dort sind sie», sagte Fulk. «Auf der Felsnase rechts von den Pferden.»
Vallon machte ein paar Gestalten aus, die am Rand der Klippe saßen. «Bleibt in einer Reihe. Ich übernehme den links.»
Die Kumanen hatten sie gesehen. Einer von ihnen stand auf und winkte ihnen lebhaft zu, bevor er sich wieder setzte. Als sich Vallon aus dem Sattel schwang, waren sie immer noch vollkommen von dem Schauspiel gebannt, das sich ihnen offenbar unten auf dem Fluss bot. Derjenige, den sich Vallon als Ziel ausgesucht hatte, kicherte vor sich hin und drückte den Arm seines Nebenmanns. Vallon mähte ihm das Kichern zusammen mit dem Kopf vom Hals. Einen Herzschlag später erledigte Drogo den zweiten. Der dritte war gerade dabei, sich umzudrehen, als drei Hiebe zugleich sein Dasein beendeten.
Vallon vergeudete keine Zeit mit den getöteten Männern. Er ging in die Hocke und spähte auf das dunkel spiegelnde Wasser des Flusses hinunter. Nichts. Sein Blick zuckte stromaufwärts.
Drogo lachte und kauerte sich neben Vallon. «Tja, immerhin sind sie gutgelaunt gestorben.»
Vallon schlug ihm mit dem Handrücken gegen die Brust. «Und willst du wissen, warum?»
Eine der Galeeren lag knapp hinter der Mitte der Stromschnelle auf der Seite in den schäumenden Wellen. Der Rest der Flotte war schon durchgekommen und suchte unterhalb des Katarakts nach Überlebenden.
Drogo griff sich an die Stirn. «O nein!»
Vallon brach das Schweigen. «Tostig, Olaf, ihr reitet flussabwärts und warnt uns, falls sich irgendwelche Reiter nähern.»
Die Suche auf dem Fluss dauerte nicht lange. Jeder, der in der Galeere mitgefahren war und nicht schwimmen konnte, musste ertrunken sein. Die erste Galeere und die übrigen Boote sammelten sich, bildeten eine Reihe und setzten ihre Fahrt flussabwärts fort. Vallon hob den Kopf. Die Sterne im Osten verblassten zu hellem Grau.
«Die Zeit wird knapp», sagte Drogo.
Vallon hob den Kopf des Mannes auf, den er getötet hatte, und musterte sein erstarrtes Antlitz. Es waren kräftige Gesichtszüge umrahmt von schwarzen Zöpfen, die hinter die Ohren geflochten waren. Auf dem Kopf saß ein kegelförmiger Hut mit einem Pelzrand. Vallon nahm den Hut und setzte ihn sich auf. Dann warf er den Kopf in die Schlucht. Der Mann hatte einen Bogen, einen Köcher und einen Weidenschild getragen. In der Nähe lag eine eisenbeschlagene Keule. Vallon zog den Bogen von der Schulter des Toten. Es war ein Kompositbogen, die Spitzen höchstens vier Fußbreit voneinander entfernt und nach vorne gebogen, um Geschwindigkeit und Reichweite der Pfeile zu erhöhen. Er hängte sich den Bogen, den Köcher und den Schild über den Rücken und rollte dann den Körper dem Kopf hinterher.
«Nehmt den anderen ebenfalls Kleidungsstücke und Waffen ab. Im Dunkeln werden uns die Kumanen nicht genau sehen. Vergesst die Lanzen nicht.»
«Mein Pferd lahmt», sagte Wulfstan. «Meint Ihr, ich kann eins von den Nomadenpferden reiten?»
«Du kannst es versuchen. Aber sie sind feuriger als die Gäule, die du gewohnt bist.»
Der Schiffskonvoi war nun auf gleicher Höhe mit der Felsnase. Eine Gestalt winkte aus einem der Boote herauf. Vallon hob den Arm. «Das ist Wayland.»
Wulfstan fluchte. Eines der Nomadenpferde galoppierte weg. Vallon rannte zu ihm hinüber. «Was zum Teufel treibst du da?»
«Das Aas hat mich gebissen», sagte Wulfstan und bewegte den Unterarm. Die anderen beiden Pferde hielt er immer noch am Zügel fest.
Sogar im Dunkeln erkannte Vallon, dass sie ihren eigenen Tieren überlegen waren. «Nimm das andere», sagte er zu Drogo. Dann reichte er ihm zwei Lanzen. «Du und Fulk, ihr wisst ja, wie man damit umgeht.»
Sie verteilten die Waffen und ritten mit einem guten Abstand zur Schlucht weiter. Es war immer noch so dunkel, dass der Letzte aus ihrer Gruppe den Ersten nicht genau sehen konnte. Die Steppe begann langsam abzufallen. Sie kamen in eine Senke, und Augenblicke später dröhnten rechts von ihnen die Hufschläge eines Reitertrupps vorbei.
«Halt dein Pferd unter Kontrolle», mahnte Vallon Wulfstan leise.
Der Wikinger drehte sich mit seinem tänzelnden Pferd im Kreis. «Hat wohl schon Frühlingsgefühle, was?», sagte er.
Die Hufschläge verhallten. Vallon hob die Hand, und sie ritten weiter. Als sie aus der Senke waren, hielten sie erneut an. Zwei Bereiche mit Lagerfeuern zeigten die Lage der Furt an. Es waren zwanzig oder mehr Männer auf ihrer Uferseite und ein halbes Dutzend auf der anderen. Vallon sah Gestalten zwischen den Flammen herumgehen, die schwarzen Umrisse in der Entfernung erinnerten ihn an Termiten.
Er hob sein Schwert. «Seht ihr diese Landzunge unterhalb der Furt? Dort sammeln wir uns nach dem Angriff.»
Sie ritten bis auf eine Viertelmeile an die Feuer heran. Das Ende der Schlucht lag eine Achtelmeile zu ihrer Linken. Graues Licht schob sich über die Steppe und ließ in den Niederungen Teiche aus Dunkelheit stehen. Tostigs Zähne klapperten.
«Die Angst ist weg, sobald wir uns auf sie stürzen», sagte Wulfstan.
Der Isländer fuhr auf. «Ich habe keine Angst. Ich friere bloß.»
Wulfstan lachte. «Aber nicht mehr lange.»
«Wir greifen die Bogenschützen am Ufer an», sagte Vallon. «Bildet einen Keil hinter mir. Schlagt wie ein Hammer zu, nicht wie ein Hagelschauer. Und keine langwierigen Einzelgefechte. Zuschlagen und weiterreiten.»
Die nächste Gruppe Kumanen galoppierte in das Lager, die Rufe der Neuankömmlinge wurden mit Grüßen beantwortet.
«Hört ihr das?», sagte Vallon. «Wenn wir auf sie zureiten, sind wir für sie nur das nächste Wolfsrudel, das sich zum Festmahl einfindet.»
Sie warteten. Ein schwefelgelber Rand kroch über den östlichen Horizont.
Fulk lenkte sein Pferd mit den Knien neben das von Vallon. «Was tun wir, wenn sie erst nach dem Hellwerden durchkommen?»
«Dann greifen wir trotzdem an. So retten wir vielleicht wenigstens den Schiffsverband.»