Wulfstan rannte zum Heck und legte die Hände um den Mund.
Vallon mühte sich, ihn zu verstehen. «Was war das?»
Wayland stand neben ihm, den Bogen auf Drogo gerichtet. «Er sagt, es ist nichts Persönliches.»
Vallon sah die Galeere flussabwärts weiterfahren. Auch Drogo sah ihr nach, dann watete er kopfschüttelnd an Land.
Wayland warf Vallon einen Blick zu, wartete auf den Befehl zum Schießen. Doch inzwischen war Drogo die Geringste ihrer Sorgen. Ohne ein seetüchtiges Schiff waren sie am Ende, selbst wenn sie die Mündung des Flusses erreichten.
Drogo blieb stehen und grinste schief. «Sieh mich nicht so an, Vallon. Du hättest dasselbe getan.»
«Töte ihn», flüsterte Caitlin.
Vallon hob die Hand und schob den Bogen weg, mit dem Wayland immer noch auf Drogo zielte. «Ich habe für einen Tag mehr als genug Tod gesehen. Es wird Zeit, dass wir uns um die Lebenden kümmern.»
Richard atmete schwer wie nach einem Dauerlauf. Er lehnte immer noch halb aufgerichtet an der Eiche. In jeder anderen Haltung konnte er überhaupt nicht atmen, und sein Herzschlag beschleunigte sich gefährlich.
Hero strich ihm über die Wange. «Kannst du mich hören?»
Richard öffnete die Augen und sah ihn mit verschleiertem Blick an. «Es kommt mir vor, als würde ich ertrinken. Und es tut weh. Gott, es tut so weh.»
«Das ist der Pfeilkopf direkt hinter den Rippen. Erlaubst du mir, dass ich ihn raushole?»
«Macht das einen Unterschied?»
«Ja.»
«Und du gibst mir was von deinem Schlaftrunk.»
«Nur genug, um die Schmerzen zu betäuben. Dein Herz ist angestrengt, und du hast Blut in der Lunge. Wenn ich dich ganz einschlafen lasse, wachst du vielleicht nie mehr auf.»
Richard wimmerte.
«Um an die Pfeilspitze zu kommen, muss ich einen Schnitt von ungefähr einem Zoll Tiefe machen.»
Richard verzog das Gesicht. «Mach, was du machen musst. Schlimmer können die Schmerzen sowieso nicht mehr werden.»
Hero legte seine Instrumente zurecht. Caitlin erhitzte Wasser über dem Feuer. Als alles bereit war, gab Hero Richard einen Löffel von dem Schlafmittel. Er hustete es zusammen mit einem Mundvoll Blut wieder heraus. Drogo stand daneben und sah der Prozedur mit unheilvoller Miene zu. «Hilf uns.»
Hero wählte ein Skalpell aus und kniete sich neben Richard. Vallon umfasste Richards Schultern. Syth hob seinen linken Arm, als wäre er ein gebrochener Flügel. Drogo hielt die Beine seines Bruders fest.
Hero wusste nicht genau, auf welcher Höhe die Pfeilspitze steckte. Seine Hand zitterte, als er die Klinge auf die Haut aufsetzte. Doch er musste entschlossen arbeiten. Seine Hand wurde ruhig. Dann zog er einen kräftigen, schrägen Schnitt mitten durch den Bluterguss. Er spürte, wie die Klinge auf Knochen traf. Blut spritzte empor. Richards Körper wollte sich aufbäumen.
Hero streckte die Hand aus. «Wasser.»
Caitlin reichte ihm ein Tuch, das mit kaltem Flusswasser durchtränkt war. Vorsichtig betupfte er damit die Schnittwunde, doch sie hörte nicht auf zu bluten.
«Noch ein Tuch.»
Schließlich gelang es ihm, die Blutung fast vollständig zu stoppen. Darauf zog er die Wundränder auseinander, wischte sie ab, und sah das helle Schimmern eines Rippenknochens, bevor erneut Blut darüberlief.
«In dem Knochen ist eine Fraktur. Die Pfeilspitze muss direkt dahinter sitzen.»
«Hast du sie gesehen?»
«Nein. Ich muss danach tasten.»
Er drückte die Skalpellspitze links neben der Fraktur zwischen die Rippen und zog die Klinge nach rechts. Doch er war nicht tief genug vorgedrungen, und musste einen zweiten Versuch machen. Blut lief über seine Hände. Dieses Mal spürte er einen Widerstand.
«Ich glaube, ich habe sie gefunden.»
Er sondierte noch einmal, dieses Mal von rechts nach links, bis die Klinge hängen blieb. Hoffnung keimte in ihm auf.
«Die Pfeilspitze klemmt zwischen den Rippen.»
«Wie willst du drankommen?»
«Ich muss die Rippen aufbrechen.»
Vallon zuckte zusammen. «Die Schmerzen wären mehr, als ein Mensch ertragen kann. Lass mich versuchen, sie vom anderen Ende aus durchzuschieben.»
«Aber seid vorsichtig. Der Schaft steckt in der Lunge. Er wird brechen, wenn Ihr zu stark schiebt.»
Vallon nahm den Pfeil dicht an der Eintrittswunde und drückte, zuerst sanft, dann mit mehr Kraft. Richard schrie auf wie ein gequältes Tier.
«Er bewegt sich nicht.»
Hero wischte das Blut ab. «Versucht, ihn ganz leicht zu drehen.»
Erneut kam ein mitleiderregender Schrei von Richard.
«Ich glaube, er kommt», sagte Hero. «Dreht weiter. Die Ränder der Pfeilspitze sind vermutlich umgebogen.
Vallon ließ sich zurücksinken. «Verdammt.»
«Was?»
«Der Schaft hat sich von der Spitze gelöst. Ich kann ihn ganz einfach drehen.»
«Dann lasst ihn so, wie er ist», sagte Hero. Er spülte den Schnitt aus und sah eine schmale Stahlzunge zwischen den Rippen herausragen. «Ein Teil ist durch. Genug, um ihn zu fassen zu bekommen. Aber ich muss noch einen Schnitt setzen.»
Er machte einen zweiten Einschnitt parallel zu den Rippen. Er wischte sich den Schweiß weg, der ihm in die Augen zu laufen drohte, und suchte sich eine Zange aus. Erneut säuberte er die Schnitte, packte mit der Zange die Pfeilspitze und zog. Die Zange glitt ab. Er versuchte es ein halbes Dutzend Mal, bekam die Spitze aber nicht richtig zu fassen. Bei jedem Versuch schrie Richard laut auf.
«Ich rutsche immer ab.»
Vallon streckte die Hand aus. «Lass es mich versuchen.»
Hero spreizte die Wundränder, um ihm die Stahlspitze so freizulegen wie möglich, und saugte mit einem feuchten Tuch das Blut weg.
«Ich hab sie», sagte Vallon. Sein Kinn zitterte vor Anspannung. Er zog, und Richard schrie. Er zog so fest, dass er rückwärts wegkippte, als die Zange abrutschte. «Ich habe gespürt, dass sie sich bewegt hat.»
Hero stellte fest, dass nun die Hälfte des Pfeilkopfes zwischen den Rippen herausragte.
«O Gott!», stöhnte Richard. «Lasst mich sterben!»
Hero wischte Richard die Stirn ab. «Sie ist beinahe raus. Noch einmal durchhalten.»
Vallon setzte wieder mit der Zange an, und dieses Mal zog er die Pfeilspitze ganz heraus. Muskeln und Blutgefäße rissen. Arterielles Blut schoss aus der Wunde, und es sah so aus, als würde Richard verbluten, bevor die Umschläge mit kaltem Wasser den Blutfluss stoppen konnten. Er hatte das Bewusstsein verloren, und sein Herz raste wie das eines gefangenen Vogels. Vallon zog den Pfeilschaft aus Richards Rücken, und ein weiterer Blutstrahl spritzte aus dem Körper und versiegte. Hero drehte die verformte Pfeilspitze zwischen den Fingern.
«Du bist tapferer als ich», sagte Vallon. «Und Richard genauso.»
Sie waren schon zurück auf dem Fluss, als Richard wieder zu Bewusstsein kam. Er atmete etwas leichter und konnte schluckweise Wasser trinken. An diesem Abend schlugen sie ihr Lager auf einer Insel weiter flussab auf und wechselten sich damit ab, Richard in der Haltung zu stabilisieren, in der er die geringsten Schmerzen hatte. Am nächsten Morgen waren die Kumanen verschwunden. Hero wechselte den Verband von Richards Wunde. Er hatte sie nicht vernäht, sodass das Wundsekret besser abfließen konnte. In der trüben Morgendämmerung erinnerte Richards Gesichtsfarbe an eine mehrere Tage alte Leiche, und seine Augen waren tief in die Höhlen gesunken.
Sie glitten durch die menschenleere Steppe. Am nächsten Tag konnte Richard eine Schale Brühe zu sich nehmen. Die Operationswunde bereitete ihm weniger Schmerzen als die inneren Verletzungen. Bei jedem Atemzug hatte er das Gefühl, als würde in seine Lunge eine Nadel gestochen und der Faden festgezogen. Eine gewisse Erleichterung brachte es ihm, wenn Blut aus der Wunde abgesaugt wurde, dann konnte er ein wenig schlafen. Nach drei Tagen wagte Hero zu hoffen, dass er es schaffen würde. Morgens, abends und nachts wechselte er den Verband. Die Wunde eiterte etwas, aber das war zu erwarten gewesen, und an den Wundrändern bildete sich erstes Granulationsgewebe.