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Heros schwache Hoffnungen wurden am vierten Tag zunichtegemacht, als beim Wundabsaugen in erheblicher Menge eine übelriechende, eitrige Flüssigkeit austrat. Als es Abend geworden war, hatte Richard hohes Fieber und delirierte. Am nächsten Morgen hatten sich in der Wunde Gasbläschen gebildet, die das Boot in fauligen Gestank hüllten.

Am sechsten Tag erreichten sie die Mündung des Dnjepr und landeten auf der Insel St. Aitherios, die mehr als eine Meile von beiden Ufern entfernt im Fluss lag. Sie war etwa eine halbe Meile lang, flach und besaß bis auf ein paar Hügelgräber keine Besonderheiten. Das Gelände war vollkommen überschaubar, und so wussten sie, noch bevor sie an Land gegangen waren, dass niemand auf der Insel war. Sie fanden Überreste von Lagerfeuern und ein frisches Grab. Auf der Insel wuchsen keine Bäume, deshalb setzten sie Richard an einen Runenstein gelehnt hin, der zur Erinnerung an einen anderen Reisenden errichtet worden war, der auf der Straße zu den Griechen den Tod gefunden hatte. In bedrücktem Schweigen aßen sie zu Abend, während Hero bei Richard saß und darauf wartete, dass er starb.

Mitten in dieser Sterbewache kam Richard wieder zu Bewusstsein. «Hero?»

«Ich bin hier neben dir.»

«Die Schmerzen sind weg.»

«Das ist ein gutes Zeichen.»

«Morgen früh lebe ich nicht mehr. Sei nicht traurig. Denk an die schönen Zeiten, die wir zusammen erlebt haben. Denk daran, was ich verpasst hätte, wenn ich zu Hause geblieben wäre. Ich habe in den letzten acht Monaten genug erlebt für ein ganzes Leben. Ich habe so viel gesehen, so viel gelernt und auch erfahren, wie viel mehr es noch zu wissen gibt. Also bin ich zwar immer noch ein Dummkopf, aber ein Dummkopf, der Fragen stellen kann, auf die zehn weise Männern keine Antwort wissen.»

Im Licht der Sterne sahen seine Augen aus wie dunkle Schattenteiche.

«Ich wünschte, ich wäre bis zum Meer gekommen.»

Hero hielt ihn fest. «Wir sind bis zum Meer gekommen. Schau zu den Wolken hinauf. Da siehst du, wie sie das Licht vom Meer reflektieren.»

«Ich will hier nicht begraben werden. Diese Insel ist voller Geister. Sie sprechen zu mir. Ich will nicht mit ihnen zusammen sein. Wirf meine Leiche in den Fluss.»

Das waren Richards letzte Worte. Seine Atmung wurde zusehends schwächer. In diesem Augenblick kam Drogo dazu und legte Hero die Hand auf die Schulter.

«Ich will mit ihm reden.»

«Er kann dich nicht hören.»

«Es kommt auch mehr darauf an, was ich zu sagen habe.»

Hero ging ans Ufer und presste die Hände an die Schläfen. Niedrige Wellen liefen seufzend an den Strand. Er hörte Drogo murmeln, sein Monolog war von vielen Pausen unterbrochen, so als müsse er die Worte, die er zu sagen hatte, tief in sich suchen. Als er schließlich fertig zu sein schien, drehte sich Hero um und sah ihm entgegen.

«Er ist tot.»

«Ich hätte bei ihm sein sollen, als er gestorben ist.»

«Ich wollte mich mit ihm versöhnen.» Drogos Mund bebte. «Er war ein besserer Mann, als ich dachte, aber wenn man in einer Familie wie meiner aufwächst …» Er wandte sich mit zuckenden Schultern ab.

«Um dich mit Vallon zu versöhnen, ist es noch nicht zu spät.»

Drogo wirbelte wieder herum. «Richard hat mir nie etwas Böses getan. Aber Vallon …» Drogos Hand zuckte vor. «Dieser Mann hat mir alles genommen, was ich hatte.»

Am nächsten Morgen wickelten sie Richard in ein Laken, legten ihn in das Kanu und überantworteten ihn dem Meer. Ein kalter Wind peitschte Schaumkronen empor, und eine Schar Pelikane stand am Ufer und sah zu einem Lichtfenster in dem grauen Wolkenhimmel hinauf. Nachdem die anderen zurückgegangen waren, blieb Hero noch allein am Ufer stehen und sah dem Kanu nach, das von der Strömung hinausgezogen wurde.

Er war tief in seine traurigen Gedanken versunken, als er Wayland seinen Namen sagen hörte. Aufgeschreckt drehte sich zu ihm um. «Ich war völlig abwesend. Hat Vallon einen Rat einberufen? Halte ich euch alle auf?»

«Es geht um Syth. Sie ist krank.»

«O nein! Warum hast du mir das nicht früher gesagt?»

«Ich wollte dich nicht stören. Sie hat es mir erst heute Morgen erzählt. Dass sie schon seit drei Tagen krank ist.»

«Und was hat sie?»

«Sie übergibt sich. Und drei von den Falken scheinen auch krank zu sein.»

«Ich gehe gleich zu ihr.»

Syth sah ihm zurückhaltend entgegen. Von ihrer strahlenden Erscheinung war kaum noch etwas übrig. Sie hatte Schatten unter den Augen, und ihr Haar war strohig und hing schlaff herunter. Hero maß ihren Puls, hörte sie ab und fühlte an ihrer Stirn, ob sie erhöhte Temperatur hatte. Er konnte nichts Auffälliges feststellen.

«Beschreibe mir die Symptome.»

Sie schnitt ein Grimasse und machte ein würgendes Geräusch.

«Du musst dich übergeben?», sagte Hero. «Nach dem Essen?»

«Schon beim Gedanken an etwas zu essen. Manchmal wird mir sogar bei einem Geruch schlecht.»

«Du hast aber kein Fieber. Vielleicht hast du etwas Falsches gegessen.»

Caitlin kam zu ihnen herüber. «Was ist denn?»

«Syth ist krank. Sie erbricht sich ständig.»

Caitlin legte Syth die Hände auf die Schultern. «Um welche Tageszeit wird es dir denn schlecht?»

«Am schlimmsten ist es morgens.»

Caitlin blickte die Männer an. «Lasst uns doch mal einen Moment allein.»

Hero sah zu, wie Wayland unruhig auf und ab ging. «Das wird schon wieder», sagte er, «sie braucht nur etwas Erholung.»

«Und wie soll Syth sich erholen? Vor uns liegt das Schwarze Meer und hinter uns zweitausend Meilen kumanenverseuchte Steppe.»

«Ihr Schafsköpfe!»

Hero drehte sich um. Caitlin hatte die Hände in die Hüften gestemmt und lächelte breit.

«Ich kann noch nachvollziehen, dass Wayland nicht begriffen hat, was mit Syth los ist, aber in deinem Fall …»

Hero lief rot an. «Ich gebe zu, dass mein medizinisches Wissen Lücken hat.»

«Man muss doch kein Arzt sein, um festzustellen, was Syth hat. Das Mädchen ist nicht krank. Syth ist schwanger.»

Beim Mittagessen hielt Vallon eine Besprechung ab. «Ich wollte unsere Lage nicht erörtern, solange Richard am Leben war. Wir stecken ernsthaft in Schwierigkeiten. Die Frage ist, wie wir aus dem Schlamassel herauskommen.»

«Wir müssen der Galeere folgen», sagte Drogo. «Wir halten uns an der Küste Richtung Westen. Die Russen segeln nicht direkt nach Konstantinopel. Sie halten unterwegs bei Handelsposten.»

«Siehst du das auch so?», fragte Vallon Hero.

«Ich weiß nicht recht. Der nächste Hafen liegt an der Donaumündung. Wir könnten eine Woche brauchen, bis wir dort sind, und wir müssten jeweils über Nacht anlegen. Die Nomaden halten die Küste besetzt, und früher oder später laufen wir ihnen in die Arme. Igor hat mir erzählt, dass es auf der Krim-Halbinsel eine griechische Kolonie gibt.»

«Wie weit ist das?»

«Ich weiß nicht.»

«Wie lange reichen unsere Essensvorräte noch?»

«Fünf Tage.»

«Wayland? Irgendwelche Vorschläge?»

Der Falkner warf einen Blick auf Syth, bevor er antwortete. «Haben wir unseren Plan aufgegeben, Anatolien zu erreichen?»

«Vergiss Anatolien. Unser Überleben ist das Einzige, worauf es ankommt.»

Noch einmal ließ Wayland seinen Blick auf Syth ruhen. «Ich weiß nicht, welche Richtung wir einschlagen sollen.»