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Nun, wo der Falke die Haube trug und angeleint war, zog der Falkenmeister eine Ledermanschette übers rechte Handgelenk. Wayland erschien das unpraktisch, aber es erklärte, warum es den Seldschuken missfallen hatte, dass er den Falken auf die linke Faust nahm. Der Falkenmeister schob seine umhüllte Hand hinter die Beine des Gerfalken. Der Vogel trat mit einem Schritt nach hinten darauf, und nur eine leichte Anspannung in seiner Körperhaltung ließ erkennen, dass er sich bewusst war, von jemand anderem getragen zu werden. Der Falkenmeister befühlte die Flugmuskulatur, prüfte, wie viel Fleisch vor dem Kielknochen saß, und nahm die Oberschenkel des Falken zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann ließ er seine Gesellen einen nach dem anderen das Tier halten, sodass sie sich einen eigenen Eindruck verschaffen konnten. Der Jüngste bekam den Vogel als Letzter, und als er sein Gewicht spürte, keuchte er übertrieben auf und ließ seine Faust sinken, so als könne er den Falken kaum tragen.

Wayland grinste. «Ein kräftiger Vogel, oder?»

Der Falkenmeister wedelte schlaff mit der Hand und versenkte die Faust dann in einem Seidenkissen, um anzuzeigen, dass die Muskulatur des Falken weich und untrainiert war.

Er sagte etwas, und einer seiner Gesellen stellte sich mit einem Seidentuch in den Händen hinter den Falken. Er legte es dem Vogel um die Schultern, hob ihn von der Faust und drückte ihn bäuchlings auf das Kissen. Der Falke kämpfte einen Moment und schrie erbärmlich, dann lag er still. Der Falkenmeister fächerte zuerst den einen und danach den anderen Flügel auf. Wayland zuckte zusammen. Alle Schwungfedern waren gebrochen und schartig, die Haut zwischen den Krallen war mit Kotbröckchen verklebt, die so hart waren wie Mörtel. Die Schwanzfedern sahen ebenso mitgenommen aus. Wayland versuchte zu erklären, dass auf solch einer langen Reise, die der Falke im Käfig hatte verbringen müssen, eine ordentliche Gefiederpflege unmöglich war. Der Falkenmeister antwortete ausführlich darauf, und Wayland schnappte mehrfach den Namen des Emirs auf. Aus der Art, wie der Falkenmeister den Kopf schüttelte, schloss Wayland, dass er Suleiman den Falken in seinem derzeitigen betrüblichen Zustand nicht präsentieren konnte.

Der Gehilfe hob den Vogel von dem Kissen. Der Falkenmeister nahm ihn an den Beinen und untersuchte die Fänge auf Zeichen von Sohlengeschwüren. Die Unterseiten zeigten keinerlei Verletzungen oder Entzündungen, die gefurchten Sohlen erinnerten merkwürdigerweise an die Handfläche eines Babys. Dann drückte der Falkenmeister den Vogelschnabel auf, um sicherzugehen, dass kein Befall durch den Gelben Knopf oder andere Infektionen vorlag.

Einer seiner Gesellen stellte einen kleinen Bronzemörser über eine Kohlenpfanne. Während der Mörser erhitzt wurde, ging der Falkenmeister einige Gefäße mit gesammelten Schwungfedern aus der Mauser durch und suchte die hellsten heraus. Dann brachte er seine Auswahl zum Tisch und legte etwa vierzig dreikantige Holznadeln zurecht. Wayland wurde klar, dass die Seldschuken die abgebrochenen Federn des Falken verlängern wollten.

Auf ein Wort des Falkenmeisters breitete einer seiner Gesellen die linke Schwinge des Falken auf einem Brett aus. Der Falkenmeister nahm ein Messer, schliff die Klinge auf einem Lederband nach und schnitt die innerste Schwungfeder unterhalb des gebrochenen Schafts ab. Dann sah er die Mauserfedern durch, wählte eine aus, verglich sie mit der gebrochenen, fand sie nicht passend, nahm eine andere und machte einen neuen Vergleich. Als er zufrieden war, schnitt er die Mauserfeder der Länge nach auf. Der zweite Gehilfe hatte in dem Mörser Harz geschmolzen. Der Falkenmeister nahm eine der Holznadeln, tauchte ein Ende in das Harz und führte sie in den Schaft der Ersatzfeder ein. Dann tauchte er das andere Ende in das Harz und schob es in den hohlen Schaft der abgeschnittenen Schwungfeder. Er wartete ein paar Sekunden ab, dann zog er an der Feder. Die eingepfropfte Feder hielt. Repariert entsprach sie der ursprünglichen Federlänge und war farblich und in ihrer Ausrichtung so gut angepasst, dass man schon sehr genau hinsehen musste, um den Ansatz zu erkennen.

Feder für Feder baute der Falkenmeister die linke Schwinge wieder auf. Auch wenn sich der Vogel recht ruhig verhielt, machte sich Wayland Sorgen darüber, ob diese langwierige Prozedur das Tier überfordern könnte. Sogar ihm selbst war in dem warmen Zelt leicht übel, und er fühlte sich schwach auf den Beinen. Der Falkenmeister bemerkte, wie er sich über die Stirn fuhr, und befahl einem seiner Gesellen, Wayland etwas zu trinken zu bringen.

Die eiskalte Flüssigkeit war süß und sauer zugleich, wohltuend und erfrischend. Dankend gab Wayland den leeren Becher zurück. Der Falkenmeister unterbrach seine Arbeit und fragte Wayland mit Gesten, ob er müde sei.

«Sehr müde.»

Der Falkenmeister machte ihm verständlich, dass er noch lange nicht fertig sein würde und Wayland sich ausruhen sollte. Ein Nein ließ er nicht gelten, und so führte einer der Gesellen Wayland zu einem Diwan, über den ein Kelim gebreitet war, und drückte Wayland sanft darauf hinunter, damit er die Arbeit der Seldschuken im Sitzen weiterverfolgen konnte.

«Ibrahim», sagte der Falkenmeister.

Wayland sah ihn an.

Der Falkenmeister deutete auf sich selbst. «Ibrahim.»

«Wayland.»

«Wellund.»

Schwarzer Nebel begann durch Waylands Sichtfeld zu ziehen. Die Gestalten am Tisch schienen in einen Tunnel zurückzuweichen. Das Nächste, was er mitbekam, war, dass ihn jemand wach rüttelte.

Es war beinahe dunkel in dem Zelt, und einen Moment lang wusste er nicht, wo er sich befand. Einer der Gesellen bot ihm ein heißes Getränk an. Da fiel ihm der Falke ein, und er stellte fest, dass der Tisch leer war. Der Falkenmeister tauchte aus den Schatten auf und deutete auf eine der Nischen, die von dem Licht der einzigen Lampe erhellt wurde. Dort saß der Falke mit einer Haube auf einem Sitzblock. Wayland kam schwankend auf die Füße und ging hinüber. Die Seldschuken hatten jede einzelne Schwungfeder repariert und seine Krallen und den Schnabel beschnitten, sodass der Falke beinahe so vollkommen aussah wie an dem Tag, an dem er ihn zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hatte. Als Wayland den Falknern seinen Dank aussprechen wollte, überrollte ihn eine Woge von Gefühlen, und er begann zu schluchzen.

Die Seldschuken wandten sich ab, um ihre Verlegenheit zu verbergen, und als er sich wieder unter Kontrolle hatte, drängte ihn der Falkenmeister, etwas zu trinken. Der Becher enthielt einen würzigen Aufguss, der den Kopf klar und den Bauch warm werden ließ. Wayland registrierte, dass es inzwischen Abend war und er seit der Mittagszeit geschlafen hatte. Einer der Gesellen brachte ihm eine Schüssel und einen Krug mit warmem Wasser. Die Kleidung, die er für Herrn Vasilis Fest gekauft hatte, lag sauber auf dem Diwan, und der Falkenmeister bedeutete ihm, dass er sich für seine Audienz bei dem Emir umziehen müsse. Sie überließen ihn seiner Toilette. Die Kleidung, die er auszog, war so steif vor Dreck, dass sie von alleine stehen blieb. Er wusch sich Gesicht und Hände und kämmte sein verfilztes Haar. Während er sich anzog, steckte ein Seldschuke den Kopf herein und verkündete, der Emir habe sie zu sich bestellt. Der Falkenmeister winkte ihn fort.

Dann musterte er Wayland und entschied, dass er den Anforderungen genügte. Darauf ging er zu dem Falken und beugte sich zu ihm. Er löste die Kurzfessel und wollte den Vogel gerade auf die Hand nehmen, als er sich anders entschloss. Er streifte seinen Handschuh ab und schob ihn über Waylands Hand.

«Danke», sagte Wayland. «Wir beide haben einen langen gemeinsamen Weg hinter uns.»

Hero stand mit Vallon und Drogo im Thronsaal des Emirs, einem weitläufigen und mit vielen Teppichen ausgelegten Raum im Herzen des goldfarbenen Zeltpavillons. Eine Reihe Wachsoldaten hatte vor ihnen Aufstellung genommen, und noch mehr Wachen standen hinter ihnen. Ein Dutzend Kohlenpfannen und hundert Öllampen verräucherten den Saal. Da erklangen Pauken und Trompeten. Die Wachen nahmen Achtungsstellung an. Durch einen der beiden Eingänge zu dem Raum kam mit langen Schritten ein Offizier, dem ein halbes Dutzend Würdenträger mit hohen Spitzhüten und Seidengewändern mit enorm weiten Ärmeln folgten. Sie postierten sich hinter dem Thron. Die Paukenschläge näherten sich.