Nachdem er sie den Jungen gegeben hatte, rannten sie damit wie der Wind über die Ebene davon.
«Sie müssen uns für vollkommen verrückt halten», sagte Hero.
Wayland lachte und klopfte ihm auf den Rücken. «Du bist ein Genie. Auf die Idee mit dem Drachen wäre ich in hundert Jahren nicht gekommen.»
«Und ich könnte in hundert Jahren nicht lernen, einen Pfeil gerade abzuschießen oder Tierfährten zu lesen.»
Wayland lächelte ihn an. «Wir sind ein gutes Gespann, oder?»
Hero nickte. «Ich wünschte nur, Richard wäre hier.»
«Und Raul. Ich glaube nicht, dass er uns allein hätte weiterfahren lassen, wenn er in Nowgorod noch am Leben gewesen wäre.»
«Ich auch nicht.»
Bei Sonnenaufgang brachen sie zum Zeltlager der Nomaden auf, trabten durch ganze Ströme blökender Schafsherden und Reihen stöhnender Kamele. Als sie ankamen, waren die Zwillingsgipfel im Süden blau und golden überhaucht. Die beiden afghanischen Jungen rasten aus ihrem Zelt und lockten mit ihren Rufen auch die übrige Familie an den Eingang. Der gebeugte Patriarch mit dem immensen schwarzen Turban musste der Drachenbauer sein. Von dem Vater der Jungen war nichts zu sehen. Ihre Mutter wiegte einen Säugling, und drei Töchter spannen im Stehen mit Fallspindeln Wolle.
Aber es war der Hund, der vor einem gemauerten Zwinger angebunden war, der Wayland und Syth dazu veranlasste, sich verblüfft anzustarren. Riesig, zottelig und bedrohlich stellte er sich auf die Hinterbeine, zerrte an seiner Leine und bellte tief und dröhnend. Es war eine Hündin, die gerade geworfen hatte. Hinter ihr balgten sich fünf flaumige Welpen um ein Stück Tierfell.
Die Besucher stiegen ab, und die Jungen führten die Pferde weg. Ihr Großvater trat auf seine Gäste zu und hielt ihnen stolz das Brustbild entgegen, das auf der Münze abgebildet war, die Hero seinen Enkeln gegeben hatte.
«Ich glaube, er will uns sagen, dass er mit Mahmud, dem Kaiser von Ghazni, gekämpft hat.»
Der alte Mann führte sie in das Zelt und bot ihnen Plätze am Feuer an. Die drei Mädchen zogen sich in eine Ecke zurück und stießen einander mit den Ellbogen an. Syth lächelte ihnen zu, und sie brachen in Gekicher aus.
Hero gab dem Drachenbauer einen Ballen Baumwolltuch. Wayland hatte es über Ibrahim beschafft, ohne sich in schwierige Erklärungsversuche zu stürzen. Außerdem hatte er ein Bündel Rohrstöcke für den Rahmen bekommen und ein paar hundert Schritt Seidenschnur. Der Drachenbauer rollte etwas Stoff von dem Ballen ab, befühlte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und kommentierte die Qualität seiner Frau gegenüber. Hero hatte ihm erklärt, dass der Drachen mannsgroß sein müsse, und gefragt, ob er ihn noch heute bauen könne.
Der alte Mann ging mit den Materialien zum Eingang, wo das Licht besser war, und machte sich mit Messer, Nadel und Faden an die Arbeit. Die Frau bewirtete ihre Gäste mit Fladenbrot und Weißkäse, und dann warteten alle in friedlichem Schweigen ab. Die Mädchen spannen wieder Wolle, und die Jungen übten sich im Freien mit ihren Schleudern. Durch das Gewebe des Zelttuchs konnte Wayland schemenhaft den Umriss der fernen Berge ausmachen. Einer der Welpen wanderte ins Zelt. Bevor die Frau ihn hinausjagen konnte, hatte Syth ihn auf den Schoß genommen und lächelte Wayland über ihren Gesichtsschleier hinweg an.
Die Mittagszeit war verstrichen, als der Drachenbauer fertig war. Er würde mit ihnen hinausgehen, sagte er, testen, wie der Drachen flog, und eventuell Änderungen vornehmen.
Sie machten sich auf den Weg. Seinen jüngsten Enkelsohn hatte der Drachenmeister vor sich im Sattel, der ältere ritt ein eigenes Pferd. Sie hielten auf der Hochebene. Dort legte der Großvater den Drachen ab und ließ von einer Spule in einem Holzrahmen eine Leine ablaufen.
«Ich habe einen Öffnungsmechanismus gemacht», sagte Hero. Er zeigte Wayland eine kurze Schnur mit einem dicken Knoten am Ende. «Das hängt unten am Schwanz des Drachen.» Dann zog er eine weitere Schnur von etwa zehn Fuß Länge heraus, an deren einem Ende eine Klammer befestigt war, die von einer Feder gespreizt wurde. «Du bindest das freie Ende an den Köder und hängst die Klammer mit der Feder über den Knoten. Wenn er das Futter packt, zieht er die Klammer auf. Jedenfalls stelle ich es mir so vor.»
Wayland testete den Mechanismus, indem er die Klammer über dem Knoten hängte und zog, um zu sehen, wie viel Kraft nötig war, um sie zu lösen. Ein fester Ruck genügte. Er nickte. «Das wird funktionieren.»
Er befestigte den Köder. Der Großvater sagte etwas, woraufhin der ältere Junge mit dem Drachen gegen die Windrichtung rannte und ihn losließ. Sein Erbauer ruckelte mit der Leine hin und her wie ein Angler, der einen Fisch anlocken will, und der Drachen schoss in den Himmel hinauf. Der Alte lachte und begann, die Leine abrollen zu lassen.
«Zu hoch», sagte Wayland. «Leine einholen. Niedriger. Noch niedriger. So, jetzt ist es gut. In dieser Höhe halten, bitte.»
Der Drachen stand sechzig Fuß über ihnen im Wind. Wayland nahm dem Falken die Haube ab. Der Vogel verdrehte den Kopf, um den Drachen zu sehen, breitete die Flügel halb aus, faltete sie wieder zusammen und breitete sie erneut aus. Wayland ließ den Falken selbst entscheiden, wann er losfliegen wollte. Seine Faust federte nach unten, als sich das Tier abstieß und mit starken Flügelschlägen in Richtung des Köders aufstieg.
Der Falke packte den Köder, und der Drachen ruckte heftig. Mit dem Stück Fleisch in den Krallen hielt den Falken nichts mehr zurück, und er flog einfach weiter.
Die beiden Jungen sprangen auf das Pferd und galoppierten dem Vogel nach. Wayland beobachtete, wie er zu einem winzigen Punkt am Himmel wurde.
Hero war untröstlich. «Daran hätte ich denken müssen.»
«Er wird nicht weit fliegen. Die Jungen werden ihn finden.»
Der Falke hatte den Köder mehr als eine halbe Meile weit weggebracht und war gerade dabei, Stückchen aus dem Fleischbatzen zu zerren, als sie bei ihm ankamen. Wayland nahm ihn hoch und dankte den Jungen.
«Hast du eine Ersatzdrahle?», fragte Hero, als sie zurückritten. «Wenn ja, kann ich noch etwas einbauen, damit er nicht mit dem Köder wegfliegt.»
«Glaubst du, wir sollten noch einen Versuch machen? Ich will ihn nicht überanstrengen.»
«Wir haben nur noch sieben Tage.»
«Du hast recht.»
Hero bereitete eine Leine vor, mit der er verhindern wollte, dass der Falke den Köder wegtrug. Das eine Ende dieser Rückhalteleine band er an den Köder, das andere an eine Drahle. Dann fädelte er die Drachenleine durch einen der Drahlenringe, sodass der Falke gezwungen war, der Drachenleine folgend zum Boden zurückzufliegen, wenn er den Köder gepackt hatte.
Die Sonne hing über dem Horizont, als die Jungen den Drachen erneut steigen ließen. Jetzt, wo sie verstanden hatten, worum es ging, beteiligten sie sich mit Feuereifer und drängten ihren Großvater, den Drachen höher und höher steigen zu lassen. Das zahnlose Grinsen des Alten zeigte, dass er genauso begeistert bei der Sache war wie die Kinder.
Hero lächelte Wayland an. «Der alte Mann sagt, er hätte diesen Drachen gebaut, damit er bis in den Himmel steigt.»
«Das ist zu hoch. Sag ihm, er soll ihn ein Stück niedriger fliegen lassen.»
Wayland ritt in Windrichtung und nahm dem Falken die Haube ab. Dieses Mal flog er nicht sofort aufs Ziel. In fünfzig Fuß Höhe begann er zu kreisen und sich vom Aufwind weiter hinauftragen zu lassen. Der Falke war so hoch über dem Drachen wie der Drachen über der Erde, als er schließlich die Flügel anlegte und in flachem Winkel niederstieß. Er packte den Köder und wollte damit wegfliegen, doch die Rückhalteleine machte es ihm unmöglich. Und von diesem Augenblick an ging alles daneben. Die Drachenleine war in zu flachem Winkel gespannt, als dass die Rückhalteleine an dem Drahlenring hätte herunterlaufen können. Der Falke hing kopfüber an dem Köder wie eine wütende Fledermaus und kämpfte gegen die aufwärts gerichteten Zugkräfte des Drachens. Es sah schrecklich aus.