Zwei Späher tauchten auf einem Hügelrücken auf, und der Jagdzug stoppte. Einer der Späher blieb auf dem Hügel stehen, während der andere zum Emir heruntergaloppierte, um seine Meldung abzugeben. Ibrahim hörte ebenfalls zu und erklärte Wayland, dass Vorreiter einen großen Schwarm Kraniche entdeckt hatten, die auf der anderen Seite des Hügels fraßen.
Langsam rückten sie weiter vor. Wayland hörte die schrillen Rufe der Kraniche, lange bevor er sie sah. Es mussten wohl Tausende sein, die sich an beiden Ufern eines breiten Wasserlaufs zusammengefunden hatten, der zum Salzsee floss.
Es war zu riskant, den Falken vor einer so riesigen Menge Vögel abheben zu lassen, sagte Ibrahim. Der Jäger würde sich vor diesem Massenauftritt der Beute fürchten. Selbst wenn sie in Paaren flogen, würden sich die Vögel im Sturm der Kranichschwingen aus den Augen verlieren.
«Wer unternimmt den ersten Flug?»
«Temur, auf eigenen Wunsch. Der Wind wird für seine Saker bald zu stark.»
Wayland war erleichtert. Wenn es den Sakern nicht gelänge, einen Kranich zu töten, stünde der Gerfalke nicht mehr unter Druck.
Das halbe Feld rückte in zwei Reihen vor und ritt in einem großen Kreis um die Kraniche herum. Als die Reiter den Kreis verengten, hörten einige der Vögel auf zu fressen und reckten ihre Hälse. Die Reiter rückten weiter vor, und die Kraniche, die ihnen am nächsten waren, hoben mit gellenden Schreien ab. Die Warnrufe schreckten weitere Tiere aus dem Schwarm auf. Einer nach dem anderen flog davon. Nur noch etwa dreißig Kraniche waren übrig, als die Reiter aufhörten, in immer engeren Kreisen um sie herumzureiten. Ibrahim deutete auf die kleine Gruppe. Sie war das Angriffsziel.
Den Falken auf der Faust, trabte Temur in Gegenwindrichtung auf die Beute zu. An seiner Seite ritt ein weiterer Falkner, der den zweiten Saker trug. Sie näherten sich bis auf eine Achtelmeile, bevor die Kraniche abhoben, beinahe in die Höhe sprangen, als würden ihre Schwingen mit Hebeln bewegt. Als der letzte abflog, warf Temur mit einem Schrei seinen Falken in die Luft.
Er flog schnell und zielgerichtet, gewann an Höhe, um den Kranichen den Fluchtweg in Windrichtung abzuschneiden. Die fünf Vögel der Gruppe verteilten sich, der Saker aber konzentrierte sich auf den Kranich, den er sich als Beute ausgesucht hatte. Weil sie spürten, dass sie nicht das Ziel des Angriffs waren, glitten die anderen Kraniche mit der Windrichtung in Sicherheit. Erst in diesem Moment ließ der Falkner den zweiten Saker fliegen.
Wayland beobachtete fasziniert, wie die beiden Falken ihre Beute gegen den Wind weitertrieben. Temurs Vogel setzte den Kranich unter Druck, während sein Jagdpartner darauf ausgerichtet war, Höhe zu gewinnen. Als dem Kranich klar wurde, dass er nicht an den Falken vorbeikäme, versuchte er, nach oben zu flüchten. In engen Spiralen schraubte er sich höher, die Sakerfalken mit größeren Kreisflügen ebenfalls steigend unter sich. Sie drehten sich wie Karussellfiguren, und der Wind trieb sie Richtung Südwesten ab. Wayland ließ sein Pferd in leichten Galopp fallen, um in der Nähe des Schauspiels zu bleiben. Keine Wolke stand am Himmel, und die unterschiedliche Größe der Vögel machte es schwierig einzuschätzen, welcher höher flog.
Die Saker waren für das Auge nur noch so groß wie Schwalben, als einer von ihnen unvermittelt über eine kurze Strecke niederstieß und den Kranich zwang, seitlich auszuweichen. Dann schwang sich der Falke wieder hinauf, und die Sonnenstrahlen schimmerten auf seiner Unterseite, als er zu einem zweiten Angriff abschwenkte. Sein Jagdpartner schraubte sich unterdessen immer noch höher in die Lüfte. Ein weiterer kurzer Sturzflug, und der Kranich drehte sich um die eigene Achse und schlug mit den Beinen. Kaum hatte er sich von dem Angriff erholt, als der zweite Falke aus einer anderen Richtung auf ihn niederstieß. Das Tempo erhöhte sich, beide Falken stiegen auf und stießen nieder wie Schmiedehämmer, ohne den Kranich je zu berühren. Doch bei jeder Finte sackte der Kranich weiter ab. Wayland konnte die Falken nicht mehr auseinanderhalten. Einer von ihnen vollführte einen Sturzflug, bei dem er den Kranich berührte. Ein Wirbel aus Federn trieb mit dem Wind davon. Temurs Unterstützer jubelten.
Der Kranich begriff, dass er den Fluchtversuch über die Höhe aufgeben musste, und sank mit hochgereckten Flügeln. Wayland hatte einen der Falken aus den Augen verloren. Der Saker, der den Kranich getroffen hatte, schwebte angriffsbereit über seiner Beute, zielte, und stürzte sich hinab. Dieses Mal hörte Wayland den Aufprall und sah den Kranich in der Luft taumeln. Während er noch den Saker beobachtete, der sich zu seinem nächsten Angriff emporschwang, fegte sein Partner herab und nahm den Rücken des Kranichs ins Visier. Jäger und Beute rasten in einem stürmischen Wirbel herab. Dann verkrallte sich der zweite Saker in den Kranich, und alle drei Vögel stürzten wie ein Wrack vom Himmel. Der Horizont kippte zurück in Waylands Sichtfeld. Kranich und Falken trudelten mit einer Geschwindigkeit zur Erde, die für alle drei Tiere lebensbedrohlich war. Weniger als fünfzig Fuß vom Boden entfernt ließen die Falken ihre Beute los. Mit einem dumpfen Geräusch kam der Kranich auf und wandte sich mit seinem dolchartigen Schnabel und klatschenden Flügeln zu seinen Gegnern um. Einer der Saker packte ihn von hinten, sodass er nach vorn fiel. Der Kranich trat mit den Beinen aus, und dann konnte Wayland ihn nicht mehr sehen, weil ein Dutzend Seldschuken hingaloppierten. Einer von ihnen sprang vom Pferd. Es war Temur selbst. Als es ihm gelungen war, sich durch das Gedränge zu schieben, sah Wayland den toten Kranich vor sich und den Emir, der seine Saker mit einem Messer in der Hand dazu anhielt, das bloßgelegte Herz des Kranichs zu fressen. Trompeter feierten den Jagderfolg. Temur blickte mit einem beinahe wahnsinnigen Grinsen in die Runde.
Wayland drehte sich um. Hinter ihm stand Vallon. Er lächelte kläglich. «Das wird wohl noch recht spannend.»
Einige Seldschuken waren dem Hauptschwarm der Kraniche nachgeritten und hatten etwa ein Dutzend der Vögel in einem kleinen Sumpfgebiet in der Nähe des Salzsees isoliert. Wayland wartete an seinem südlichen Ufer, während hundert berittene Treiber das Röhricht durchkämmten. Der Wind war stark genug, um den Schnee aufzuwirbeln, der sich in den Senken gesammelt hatte. Ibrahim wiederholte immer wieder Anweisungen, die Wayland nicht verstand. Er konnte nur daran denken, dass er ausschließlich auf den Befehl des Emirs handeln durfte. Suleiman und seine führenden Offiziere hatten etwa vierzig Schritt entfernt Stellung bezogen. Der Emir deutete mit seinem Stab auf Wayland, und Ibrahims Stimme wurde noch eindringlicher.
Die Jagdlust des Gerfalken machte es schwer, ihn zu bezähmen. Das Tier verstand jede Bewegung Waylands als Auftakt zum Fliegen, sprang hoch und ruderte mit den Flügeln. Wayland hatte ihm die Drahle abgenommen und die Langfessel durch die Schlitze in den Geschühriemchen gefädelt. Eingedenk der Schwierigkeiten, die er gehabt hatte, als er den Falken auf den Übungskranich fliegen lassen wollte, hatte er die Haube nur ganz lose befestigt, sodass er sie jeden Augenblick abziehen konnte.
Er konzentrierte sich auf die Seldschuken, die sich durch das Marschland arbeiteten. Es war eine gute Falle. Der Salzsee lag mehr als eine Meile in Gegenwindrichtung, seine Sümpfe waren die naheliegendste Zuflucht für jeden aufgescheuchten Kranich. Doch bisher hatte sich noch keiner gezeigt, dabei hatten die Treiber schon die Hälfte des Sumpfgebietes durchkämmt. Die Furcht davor, den Falken zu diesem wichtigen Flug aufsteigen zu lassen, wurde von der Befürchtung abgelöst, dass er überhaupt nicht fliegen würde.
Vier Enten erhoben sich quakend aus dem Marschland und stiegen gegen den Wind auf. Dann aber schienen sie Luft zu treten und kehrten eilig um, als würden sie an Fäden weggezogen. Der Falke hörte sie vorbeirauschen und griff sie blind an. Waylands Pferd scheute. Er versuchte es zu beruhigen, während er zugleich den Falken wieder auf seine Faust zurückschwingen musste. Die Langfessel hatte sich um die Geschühriemchen gewickelt, und die Haube war abgerutscht. Es war ein Albtraum – ein Pferd, das scheute, und ein widerspenstiger Falke ausgerechnet dann, wenn jeden Moment das Beutetier auffliegen konnte. Einer der Unterfalkner nahm das Pferd am Zaum. Wayland ließ sich aus dem Sattel gleiten und suchte nach der Falkenhaube. Das Pferd hatte sie zertrampelt. Ibrahim drückte ihm eine Ersatzhaube in die Hand, und er stülpte sie dem Falken über den Kopf.