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«Bei Gott, Vallon, wenn ich geahnt hätte, dass du mit Caitlin …»

Vallon beachtete ihn nicht mehr und richtete sich in den Steigbügeln auf. «Die geheimnisvolle Nachricht, die sie bei der Brieftaube gefunden haben, hat einen mächtigen Aufruhr verursacht. Das Zeltlager sieht aus wie ein Wespennest, in das jemand gestochen hat.»

Die Seldschuken rannten hierhin und dorthin – sie bauten das Lager ab. Packtiere drängten sich auf den Wegen. Eine Gruppe Nomaden lud Gepäck auf eine Kamelkarawane. Ein großes, halb abgebautes Zelt blähte sich wie ein Segel im Wind und zog ein Dutzend Männer hinter sich her. Als Vallon bei seiner Unterkunft angekommen war, wandte er sich noch einmal an Drogo. «Hier trennen sich unsere Wege endgültig. Von jetzt an musst du alleine weiterkommen.»

«Vallon …»

Doch Vallon sprang vom Pferd und schob sich ins Zelt. Nur Hero war da.

«Wo ist Wayland?»

«Er ist zu Syth gegangen.»

«Hast du den Grund für all die Aufregung herausgefunden?»

«Noch nicht. Ich weiß nur, dass alle Männer, die keine Krieger sind, nach Konya zurückkehren. Faruq hat mir gesagt, dass wir damit rechnen können, vor Mitternacht zum Emir gerufen zu werden.»

«Das wird interessant. Gibt es etwas zu essen? Ich bin am Verhungern.»

«Sogar die Diener sind schon weg. Bis morgen wird das Lager menschenleer sein.»

Vallon zog die Stiefel aus. Er fand ein Stück Brot und ein paar eingelegte Aprikosen und aß beides auf dem Rand seiner Pritsche sitzend. «Was für ein merkwürdiger Tag. Von ganz oben nach ganz unten, und jetzt hängen wir irgendwo dazwischen fest.»

«Wart Ihr schockiert von Waylands Taten?»

«Schockiert nicht, aber überrascht. Ich habe mich immer gefragt, aus welchem Grund er Drax und Roussel umgebracht hat. Außerdem habe ich ihn mehr als einmal seltsame Blicke mit Drogo wechseln sehen. Ich habe ihn deswegen zur Rede gestellt, und er hat behauptet, keine Geheimnisse zu haben. Ich hätte ahnen können, worum es geht, als er nicht auf einer Bestrafung bestanden hat, nachdem Drogo die Falken freigelassen hatte, aber ich war überzeugt, dass Wayland unfähig dazu sei, jemanden zu täuschen. Das zeigt nur wieder einmal, dass ein kluger Mann nichts als gegeben hinnimmt.»

«Seid ihr wütend auf ihn?»

Vallon unterbrach sich beim Kauen. «Ein Teil von mir verurteilt es, wenn ein Bauer einen Ritter umbringt, aber Wayland hatte jeden Grund dazu.»

«Und er hat unsere Hoffnungen wiederaufleben lassen. Wenn er Walter nicht in den Sumpf geführt hätte, dann hätte er uns niemals erzählt, wo er das Evangelium versteckt hat.»

«Wie müssen es aber immer noch in die Hände bekommen. Wenn Suleiman alle nach Konya schickt, haben wir vielleicht keine Gelegenheit mehr, zu dem Turm zu gehen.»

«Ich glaube, das Schicksal wird uns einen Weg zeigen.»

Vallon lachte. «Langsam macht es mir Angst, wie oft wir an dieser Zitze schon gesaugt haben. Es kann nicht mehr lange dauern, bis sie ausgetrocknet ist.»

Eine Windbö fuhr in das Zelt. Chinua marschierte mit Faruq und sechs Soldaten herein. «Seine Exzellenz befiehlt Eure Anwesenheit.» Faruq klatschte in die Hände. «Sofort.»

Vallon legte das Brot weg, wischte sich die Hände ab und zog die Stiefel an. Zusammen mit Hero verließ er das Zelt und trat in die unruhige Nacht hinaus.

Suleiman ging mit seiner Rüstung angetan im Thronraum auf und ab, hinterdrein trotteten seine Armeeführer, und ein Schreiber machte Notizen. Der Emir blieb stehen, als Vallon hereinkam, und winkte seine Gefolgschaft zur Seite. Wayland war schon da, er stand kleinlaut neben Ibrahim. Der Gerfalke saß auf der Faust des Falkenmeisters. Vallon drückte Waylands Arm. «Wird schon alles gutgehen.»

Der Emir ließ sich auf seinem Thron nieder. Faruq wechselte ein paar Worte mit ihm, bevor er sich zum Raum umdrehte. «Wir haben keine Zeit für Formalitäten. Die Taube hat eine Botschaft aus Persien überbracht. Sultan Alp Arslan ist tot – mögen ihm seine Ruhmestaten im Paradies vergolten werden. Er starb vor zwei Wochen, als seine Armee einen Aufstand am Fluss Oxus niederschlug. Ein Gefangener hat ein Messer gezogen und ihm eine tödliche Wunde beigebracht. Mehr wissen wir nicht.»

Suleiman schaukelte auf dem Thron hin und her und stieß schadenfroh seinen Stab auf den Boden. Faruq rang sich ein Lächeln ab.

«Die Taube gehörte Emir Temur.»

Vallon krallte seine Finger um Waylands Arm. «Du bist gerettet.»

«Ich verstehe nicht, was …»

«Ich auch nicht. Hören wir einfach zu.»

Faruq ergriff wieder das Wort. «Alp Arslans Reich erstreckt sich vom Hindukusch bis zum Mittelmeer. Sein Sohn und Erbe ist erst dreizehn Jahre alt. Die Nachfolge ist nicht geregelt. Solange rivalisierende Gruppen in Persien noch ihre Ränke spinnen, beabsichtigt Seine Exzellenz, in Rum sein eigenes Sultanat zu begründen.» Faruq hob die Hand. «Aller Segen stammt von Gott, gepriesen sei sein Name, und nachdem Seine Exzellenz das Wirken der Hand Gottes in den heutigen Ereignissen gespürt hat, wird er die Übermittler seines glücklichen Schicksals belohnen.»

Suleiman schnippte mit den Fingern. Ein Wachmann rief etwas in einen der Durchgänge. Darauf hastete ein Diener mit einer Waage herein, an deren einer Seite etwas befestigt war, dessen Sinn sich Vallon nicht erklären konnte. Der Diener stellte die Waage auf einen Tisch. Neben der Waage stand Suleimans Kriegshelm, der mit einem Helmbusch aus Fischadlerfedern geschmückt war.

Der Emir schnippte erneut mit den Fingern, und Ibrahim trat mit dem Gerfalken vor. Er setzte ihn auf eine Seite der Waage, und Vallon wurde klar, dass dort eine Sitzstange für den Vogel angebracht worden war.

Suleiman kam von seinem Thron herunter und streckte die Hand aus. Ein anderer Diener reichte ihm einen Lederbeutel. Der Emir schöpfte eine Handvoll Silbermünzen aus dem Beutel und ließ sie in die leere Waagschale rieseln. Zwei oder drei Münzen sprangen heraus und rollten fort. Offiziere liefen ihnen nach und hoben sie auf. Der Wind fuhr klagend um den Pavillon, die Zeltwände des Thronraums wurden nach innen gedrückt und dann wieder nach außen gezogen. Mit einem Grinsen nahm der Emir die nächste Handvoll Silber.

«Was wiegt der Gerfalke?», wisperte Vallon aus dem Mundwinkel.

«Ungefähr fünf Pfund», sagte Wayland.

«Tja, dann gehen wir nicht mit leeren Händen.»

Suleiman häufte händeweise Silber auf die Waagschale. Dann drehte er den Beutel schwungvoll um, damit auch noch die letzten Münzen herausfielen. Der Balken der Waage bewegte sich. Die Schale mit dem Silber senkte sich, dann hob sie sich wieder. Der Emir runzelte die Stirn. Er drückte die Schale mit dem Silber herunter und ließ sie dann los, aber die Waage war nicht zu beeinflussen, und sie senkte sich erneut auf die Seite des Gerfalken.

Vallon trat einen Schritt vor. «Seine Exzellenz ist mehr als großzügig. Bitte sagt ihm …»

Suleiman hielt ihn mit einer Geste vom Weitersprechen ab. Dann sah er sich mit wütender Entschlossenheit um, und sein Blick blieb an Faruq hängen. Er packte die Hand des Würdenträgers und zog Faruq einen Rubinring vom Finger. Dann hielt er den Ring über das in der Waagschale aufgehäufte Silber.

«Hoffentlich gibt das den Ausschlag», murmelte Vallon.

Suleiman ließ den Ring auf das Silber fallen. Die erbebende Schale sank, der Falke hob sich. Die Zuschauer applaudierten, und Faruq rang sich ein schwaches Lächeln ab. Der Emir hielt Vallon den Lederbeutel hin.

«Das Silber gehört Euch», sagte Faruq.

Vallon stieß Wayland an. «Du hast es gewonnen. Du sammelst es ein.»

Verlegen ging Wayland nach vorn. Er nahm eine Münze, ließ sie in den Beutel fallen, und sah zu den anderen zurück.