«Es ist keine List», sagte Hero.
Wayland füllte den Beutel, bis noch etwa eine Handvoll Silber in der Waagschale lag. Er zögerte, ließ den Rest der Münzen in seine Hand gleiten, und gab sie Ibrahim. Der Falkenmeister umarmte ihn. Die Anwesendenden applaudierten noch einmal.
Suleiman hatte wieder auf seinem Thron Platz genommen. Faruq stand lauschend neben ihm und strich sich dabei über den Finger, an dem der Ring gesteckt hatte. Dann drehte er sich zu Vallon und seinen Begleitern um. «Seine Exzellenz wird Euch noch weitere Wohltaten erweisen.»
Jetzt kommt der Haken, dachte Vallon.
Faruq trat vor ihn. «Seine Exzellenz bietet Euch eine Stellung als Hauptmann über eine Hundertschaft in seiner Leibwache an. Mit dem Titel sind Landeigentum und ein Haus in Konya verbunden. Und zu jedem Sonnenuntergang werden vor Eurer Grundstücksgrenze Trompeter Euren Rang proklamieren.»
Hero schob sich neben Vallon. «Nehmt den Posten an, wenn es das ist, was Ihr wollt. Macht Euch um mich keine Gedanken.»
«Und was ist mit dem Evangelium?» Vallon verbeugte sich vor dem Emir. «Seine Exzellenz erweist mir mehr Ehre, als mir zusteht. Übermittelt ihm meinen bescheidenen Dank, und erklärt ihm, dass ich meine Dienste schon in Byzantium versprochen habe.»
Die Seldschuken murmelten sich kopfschüttelnd Bemerkungen zu. Der Emir nahm seine Nasenspitze zwischen Daumen und Zeigefingerknöchel. Dann zupfte er sich am Bart. Faruq kam zu Hero.
«Seine Exzellenz schätzt sämtliche Bereiche der Bildung. Er lädt Euch ein, Euch in seinem Hausstand eine Position als Schreiber, Übersetzer oder Arzt auszusuchen. Er beabsichtigt, in Konya ein Hospital zu eröffnen, und sähe es gern, wenn Ihr darin arbeitet.»
Hero warf Vallon einen panischen Seitenblick zu. «Wie soll ich darauf antworten?»
«Mit der Wahrheit. Wenn du die Stellung willst, dann sag es.»
Hero strich sich nervös über den Hals. «Seine Exzellenz hat sich einen übermäßig günstigen Eindruck von meiner medizinischen Erfahrung gebildet. Ich bin nur ein Student und habe noch Jahre des Lernens vor mir, bevor ich als Medikus gelten kann. Und wenn es so weit ist, kehre ich gern nach Rum zurück, um das Wissen, das ich erworben habe, mit den Experten Seiner Exzellenz zu teilen.»
Noch mehr missbilligendes Gewisper von den Seldschuken. Der Emir lehnte sich mit unheilvoller Lässigkeit zurück. Er sagte etwas, und Faruq wandte sich an Wayland.
«Der Emir bietet dir eine Stellung als Unterfalkner an», sagte Hero.
«Ich weiß nicht. Darüber muss ich nachdenken. Und ich müsste mit Syth darüber reden.»
Hero warf einen Blick auf Suleiman. «In seiner Welt treffen die Männer die Entscheidungen. Er erwartet deine Antwort hier und jetzt.»
Vallon lächelte Faruq an. «Gebt uns einen Moment zum Nachdenken.» Er nahm Wayland beiseite. «Hast du für die Zeit in Konstantinopel irgendetwas Bestimmtes geplant?»
«Nein. Ich will nicht in einer Stadt leben.»
«Du könntest nach England zurückkehren.»
«Solange Syth schwanger ist, können wir nicht reisen.»
«Dann rate ich dir, das Angebot des Emirs ernsthaft zu erwägen. Du weißt, was für eine Art Hofhaltung er betreibt. Du hast gesehen, wie grausam er sein kann, wenn ihm jemand in die Quere kommt; aber nachdem du so dicht davor warst, von ihm getötet zu werden, glaube ich nicht, dass er sich dazu noch einmal entschließen würde.»
Wayland sah Ibrahim an. Der Falkenmeister lächelte ermutigend.
«Ich würde das Angebot nicht annehmen, wenn es bedeutet, dass ich Syth verlassen muss.»
«Das bedeutet es nicht.»
«Muss ich zum Islam übertreten?»
«Der Emir wird nicht darauf bestehen. Er beschäftigt schließlich schon genügend Juden und Christen in seiner Gefolgschaft.»
Wayland atmete tief ein und sah noch einmal zu dem freundlich lächelnden Ibrahim hinüber. «Sagt ihm, dass ich annehme.»
Die Seldschuken klatschten verhalten Beifall. Vallon klopfte Wayland auf den Arm. «Ich glaube, du hast die richtige Entscheidung getroffen.»
Suleiman glitt von seinem Thron herunter. Chinua machte sich daran, Vallon und seine Männer hinauszueskortieren.
«Vallon.»
Er drehte sich um und sah, dass es der Emir war, der gesprochen hatte. «Ich komme nach», erklärte Vallon den anderen.
«Ich bin enttäuscht, dass Ihr mein Angebot abgelehnt habt, in meiner Armee zu dienen», sagte Suleiman in brauchbarem Arabisch. «Ich bin noch bis zum Hellwerden hier, falls Ihr Eure Meinung ändert. Wenn nicht, müsst Ihr und der Grieche morgen nach Konya aufbrechen. Von dort aus wird Euch eine Eskorte sicher bis zur Grenze begleiten.»
Dieser Weg lag in der entgegengesetzten Richtung zu dem Turm, in dem das Evangelium versteckt war. Vallon überlief eine Gänsehaut bei dem Gedanken an das Risiko, das er eingehen würde. «Eine Eskorte ist nicht notwendig. Wir können allein reisen. Wir haben geplant, die nördliche Route zu nehmen und von hinten um den Salzsee herumzureiten.»
Suleiman schüttelte den Kopf. «Ich werde meinen Gästen nicht erlauben, ohne Schutz zu reisen.» Er zuckte mit den Schultern. «Und was die Route angeht, könnt Ihr Euch entscheiden, wie Ihr wollt.»
Vallon verbarg seine Erleichterung. Beinahe geschafft.
«Wird Walters Bruder mit Euch reisen?»
«Nein. Ich habe seine Gegenwart lange genug ertragen.»
«Was soll ich mit ihm machen?»
Eines wusste Vallon. Wenn er jetzt ‹Tötet ihn› sagte, würde der Emir diese Bitte so beiläufig erfüllen, als hätte er um ein Glas Wasser gebeten. «Lasst ihn allein nach Konstantinopel reisen. Ich werde ihm das Geld dafür geben.»
Ohne sich umzudrehen, erteilte Suleiman einen Befehl. Zwei seiner Männer gingen hinaus.
«Habt Ihr noch etwas zu besprechen?», fragte Vallon. «Ich möchte Eure Zeit nicht länger als notwendig in Anspruch nehmen.»
Suleiman sah Vallon unter seinen schweren Augenlidern heraus an. «Die isländische Frau.»
Vallon zwang sich zu einem Lächeln. Jetzt kommt er damit heraus. Wenn er mir sagt, dass er sie nicht gehen lässt, kann ich nicht das Geringste dagegen tun. «Caitlin? Was ist mit ihr?»
«Wird sie mit Euch nach Konstantinopel reisen?»
«Wenn sie es möchte.»
«Ist sie denn nicht sicher?»
«Wir haben noch nicht darüber gesprochen.»
«Ihr habt Eure Pläne nicht mit Eurer Geliebten besprochen?»
«Wir sind kein Liebespaar. Das war eine Lüge, um sie zu schützen.»
«Ich weiß. Die Dienerinnen wiederholen mir jedes Wort von ihr.» Suleiman trat dicht vor Vallon. «Lasst sie hier bei mir, und ich gebe Euch noch einmal so viel.»
Vallon schüttelte den Kopf.
«In Gold.»
Ein Vermögen. Vallon schluckte. «Ich werde sie nicht zwingen, irgendetwas gegen ihren Willen zu tun. Wenn sie bleiben möchte, werde ich nicht versuchen, sie umzustimmen. Sie wird selbst die Wahl treffen, und ich werde keinerlei Bezahlung annehmen. Wenn sie gehen will, nehme ich sie mit.»
Suleiman musterte ihn nickend. «Sehr gut. Legen wir es in Gottes Hand.»
Vallon verbeugte sich und zog sich schrittweise zurück. Doch Suleiman hielt ihn mit ausgestreckter Hand erneut zurück. «Bevor wir uns trennen, erzählt mir, was Euch hergebracht hat. Den wahren Grund, meine ich. Es war nicht Geld und auch keine Zuneigung zu Walter. Also, was war es?»
Vallon senkte seinen Blick auf den Teppich, in den ein Muster aus Nelken und Skorpionen eingewebt worden war. «Alle Reisen haben verborgene Ziele.»
«Und was ist Eures?»
«Ich bin nicht sicher, ob ich Euch richtig verstehe.»
«Als Cosmas das Lösegeld für Walter ausgehandelt hat, hätte ich zu gern erfahren, was einen angesehenen griechischen Diplomaten dazu veranlasst, sich um das Schicksal eines normannischen Söldners zu scheren.»
«Das weiß ich nicht. Ich habe Cosmas erst in der Nacht kennengelernt, in der er gestorben ist. Wir haben kaum ein Wort gewechselt.»