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Churtinski schielte mürrisch zu Fandorin herüber; die Erwähnung seiner plebejischen Herkunft war ihm augenscheinlich gar nicht recht.

»Ja, und hier noch, was die Gaspreise angeht, Durchlaucht, da habe ich eine Aktennotiz vorbereitet. In Anbetracht der erwünschten Einsparungen bei der Straßenbeleuchtung sollten wir den Tarif senken. Auf drei Rubel pro tausend Fuß kubik. Ist auch so teuer genug.« »Schon gut, gib deine Papierchen her, ich lese sie in der Kutsche durch und unterschreibe.« Dolgorukoi war aufgestanden. »Höchste Zeit aufzubrechen. Es wäre unanständig, eine so hochangesehene Persönlichkeit warten zu lassen. Kommen Sie, Fandorin, wir halten unterwegs ein Schwätzchen.«

»Vernahm ich recht, daß Seine Majestät nicht zum Begräbnis anreisen?« erkundigte Fandorin sich auf dem Flur ehrerbietig beim Fürsten. »Sobolew ist doch aber nicht irgendwer.«

Dolgorukoi sah den Kollegienassessor von unten her an und versetzte bedeutsam: »Er kann nicht. Schickt seinen Bruder, den Großfürsten. Warum, geht uns nichts an.« Fandorin verbeugte sich schweigend.

Zum Schwätzchen unterwegs kam es indes nicht. Kaum saßen sie in der Kutsche, der Gouverneur in den weichen Polstern, Fandorin auf der lederbezogenen Bank gegenüber, als die Tür plötzlich wieder aufflog und der fürstliche Kammerdiener Frol Wedischtschew unter Ächzen zustieg. Umstandslos quetschte er sich neben den Fürsten.

»Fahr zu, Mischka, fahr schon!« brüllte er dem Kutscher zu.

Sodann wandte er sich, ohne Fandorin die geringste Beachtung zu schenken, an Dolgorukoi.

»Ich komme mit, Fürst«, verkündete er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

»Was willst du denn, mein lieber Frol«, versetzte der Fürst milde. »Die Arznei hab ich geschluckt, jetzt störe uns bitte nicht, ich habe eine wichtige Unterredung mit Herrn Fan- dorin.«

»Ach wo, die hat Zeit«, fauchte der Despot und winkte wütend ab. »Sagen Sie, was hat Ihnen der Hofrat wieder für Papiere untergejubelt?«

»Hier hab ich sie, Frol.« Der Fürst öffnete seine Mappe. »Ein Auftrag für den Künstler Gegetschkori zur restlichen Ausmalung der Kathedrale. Der Voranschlag liegt bei, siehst du? Und das hier ist der Vertrag mit dem Kaufmann Sykow. Wir werden nämlich in Moskau eine unterirdische Eisenbahn graben, damit man schneller überall hinkommt. Und dann ist hier noch ein Papierchen zur Senkung der Gaspreise.«

Wedischtschew überflog die Papiere.

»Der Gegetschkori sollte die Kathedrale auf gar keinen Fall kriegen, das ist ein ausgemachter Gauner«, erklärte er entschieden. »Lieber nehmen wir einen von den hiesigen Leuten. Die müssen ja auch leben. Das kommt uns in jedem Fall billiger und wird bestimmt nicht weniger hübsch. Wo soll das viele Geld denn herkommen? Wir haben keins. Und der Gegetschkori hat dem Churtinski doch bloß versprochen, sein Sommerhaus in Alabino anzupinseln! Von daher weht der Wind.«

»Du meinst also, Gegetschkori sollte den Auftrag nicht kriegen?« fragte Dolgorukoi zweifelnd und steckte das Papier zuunterst.

»Das fehlte noch!« beschied Frol ihm knapp. »Und hier diese Untergrundbahn - ein einziger Schwachsinn! Ein Loch in die Erde graben und eine Lokomotive reinfahren lassen -was soll das? Da könnte man die Steuergelder gleich in den Wind streuen! Was für eine dämliche Idee!«

»Nein, nein, da irrst du dich«, widersprach der Fürst. »Die Metro ist eine feine Sache. Bei dem Verkehr, den wir haben - sieh doch, man kommt kaum vorwärts.«

Tatsächlich war die Kutsche des Gouverneurs am Tor zur Neglinnaja steckengeblieben, und so sehr die Begleitgendarmen sich auch mühten, der Weg war nicht freizubekommen, da die Markthändler vom Ochotny Rjad wie jeden Samstag die Straßen mit ihren Karren und Fuhrwerken verstopften.

Wedischtschew aber schüttelte den Kopf: Du müßtest doch wissen, daß dein Sträuben ganz umsonst ist, mein lieber Fürst, mochte das heißen.

»Jetzt ist der Dolgorukoi völlig verrückt geworden, werden die Abgeordneten in der Duma sagen«, meinte er dann. »Und Ihre Erbfeinde in Petersburg würden in die Hände klatschen. Unterschreiben Sie das bloß nicht, Fürst.«

Der Gouverneur seufzte konsterniert und schob auch das zweite Papier in die Mappe zurück.

»Und was machen wir mit dem Gas?«

Wedischtschew nahm die Aktennotiz, hielt sie etwas von sich weg und las, lautlos die Lippen bewegend.

»Doch, doch, das kann man machen. Die Stadt hat was davon, und die Moskauer sind's auch zufrieden.«

»Ganz meine Meinung«, befand der Fürst, dessen Miene sich aufhellte, während er das von innen an die Tür geschraubte kleine Pult mit den Schreibutensilien öffnete und schwungvoll unterschrieb.

Fandorin, erschüttert von dieser unglaublichen Szene, tat sein Bestes, sich nichts anmerken zu lassen, und schaute höchst interessiert aus dem Kutschenfenster. Eben fuhren sie vor dem Haus der Fürstin Beloselskaja-Beloserskaja vor, wo Herzog Lichtenburgski und seine Gemahlin, geborene 38

Sinaida Dmitrijewna Sobolewa, per morganatischer Ehe zur Gräfin Mirabeau avanciert, Quartier bezogen hatten.

Fandorin wußte, daß Jewgeni Lichtenburgski, russischer Gardegeneralmajor und Kommandeur des Potsdamer Leibkürassierregiments, ein leiblicher Enkel des Zaren Nikolai war. Allerdings hatte der Herzog den berühmten Basiliskenblick von seinem bösen Großvater nicht geerbt - seine Augen waren wie hellblaues Meißner Porzellan und schauten höflich und milde durch den Kneifer. Dafür war die Ähnlichkeit der Gräfin mit ihrem berühmten Bruder um so frappanter: nicht so sehr in der Statur, auch die Haltung schien weniger kämpferisch und das Gesichtsoval weicher geformt, das Tiefblau der Augen war jedoch exakt dasselbe und die Sobolewsche Rasse insgesamt unverkennbar.

Die Audienz geriet von Anfang an verquer.

»Die Gräfin und ich, wir sind in ganz anderer Angelegenheit hier, und dann so ein Unglück!« begann der Herzog ausgiebig gestikulierend, so daß der altertümlich gefaßte Saphir am Ringfinger gut zur Geltung kam. Ein leichter Akzent verriet seine deutsche Herkunft.

Gräfin Mirabeau ließ ihn nicht ausreden.

»Wie konnte das bloß geschehen?« rief sie verzweifelt, und augenblicklich kullerten große Tränen über ihr bezauberndes, wenngleich vom Weinen angeschwollenes Gesicht. »Fürst, sagen Sie doch, ist es nicht furchtbar?«

Der Mund der Gräfin verzog sich zu einer kleinen Sichel, und sie konnte erst einmal nicht weiterreden.

»Es ist gekommen, wie Gott befohlen«, murmelte der Herzog bestürzt und blickte Dolgorukoi und Fandorin hilfesuchend an.

»Jewgeni Maximilianowitsch, Eure Hoheit, ich kann Ihnen versichern, daß die Umstände des plötzlichen Todes Ihres werten Anverwandten auf das sorgfältigste geprüft werden«, teilte der Gouverneur mit bewegter Stimme mit. »Herr Fandorin an meiner Seite ist als Sonderbeauftragter damit befaßt.«

Fandorin verbeugte sich. Während der Herzog den jungen Beamten aufmerksam musterte, hörten die Tränen der Gräfin nicht auf zu strömen.

»Sinaida Dmitrijewna, mein Herzchen«, schluchzte nun auch der Fürst. »Herr Fandorin ist ein Kampfgefährte Ihres lieben Bruders. Der Zufall wollte es, daß er im selben Hotel wie er abgestiegen ist, im >Dusseaux<. Er ist ein sehr geschickter und erfahrener Ermittler, er

wird die Sache angehen und uns auf dem laufenden halten. Nicht doch, meine Liebe, Tränen können ihn uns ja auch nicht wiederbringen ...«

Der Zwicker des Herzogs blitzte kalt und gebieterisch.