Выбрать главу

halten beliebte. Dort hervor kam nun, lautlos auf Filzsohlen schleichend, der fürstliche Kammerdiener Frol Wedischtschew. Die buschigen grauen Brauen finster zusammen gezogen, trat er zu dem Sessel, wo eben noch der Polizei Präsident gesessen hatte, und spuckte wütend eine Ladun braunen Tabakseim mitten auf die lederne Sitzfläche.

SECHSTES KAPITEL,

in welchem eine Frau in Schwatz auftritt

Im Hotel erwartete Fandorin eine Überraschung. Er war schon kurz vor seinem Zimmer N- 20, als dort die Tür aufsprang und ein dralles Zimmermädchen herausgestürzt und auf ihn zugerannt kam. Sie hielt das Gesicht zur Seite gedreht, so daß Fandorin es nicht erkennen konnte; einige Details - die linksherum gebundene Schürze, das verrutschte Spitzenhäubchen, das falsch zugeknöpfte Kleid - entgingen seiner geschärften Aufmerksamkeit jedoch nicht. Masa empfing ihn auf der Schwelle. Er strahlte vor Zufriedenheit und schien durch das plötzliche Auftauchen seines Herrn überhaupt nicht in Verlegenheit gebracht.

»Die russischen Frauen sind sehr gut«, verkündete der Diener im Brustton der Überzeugung. »Wie ich vermutet hatte. Jetzt weiß ich es gewiß.«

»Gewiß?« fragte Fandorin neugierig und schaute dem Japaner in das erhitzte Gesicht. »Jawohl, Herr. Sie sind heißblütig und verlangen für die Liebe keine Geschenke. Anders als die Bewohnerinnen der französischen Stadt Paris.«

»Aber du kannst doch gar kein Russisch«, sagte Fandorin kopfschüttelnd. »Wie hast du dich denn mit ihr verständigt?«

»Französisch hab ich genausowenig gekonnt. Um sich mit einer Frau zu verständigen, bedarf es keiner Worte«, tat Masa sich vor seinem Herrn wichtig. »Der Atem und der Blick -auf die zwei Dinge kommt es an. Atmet man geräuschvoll 44

und schnell, so weiß die Frau, daß man in sie verliebt ist. Und schauen muß man so.« Er verengte seine ohnehin geschlitzten Augen noch mehr, wodurch sie auf unbegreifliche Weise zu funkeln anfingen.

»Hm-hm!« machte Fandorin und war erstaunt.

»Dann muß man ihr nur noch ein bißchen den Hof machen - bis sie nicht mehr widerstehen kann.«

»Und wie hast du es angestellt, ihr den Hof zu machen?«

»Jede Frau erfordert ihre besondere Strategie, Herr. Die Dünnen mögen Süßigkeiten, die Dicken Blumen. Der wunderbaren Frau, welche uns soeben verlassen hat, da sie Eure Schritte nahen hörte, habe ich einen Magnolienzweig verehrt und anschließend eine Nackenmassage verabreicht.«

»Und wo nahm der Verführer so schnell einen Magnolienzweig her?«

»Von da unten.« Masa deutete ins Vestibül. »Dort gibt es Blumentöpfe voll davon.«

»Und die Nackenmassage ist wozu?« »Die Nackenmassage geht über in eine Schultermassage«, erläuterte Masa seinem Herrn nicht ohne einen mitleidigen Blick. »Die wiederum geht über in eine Rückenmassage, und diese ... «

»Alles klar«, seufzte Fandorin. »Spar Dir den Rest. Und bring mir jetzt bitte rasch den Schminkkasten.« Masa horchte auf.

»Steht uns ein Abenteuerchen bevor?«

»Nicht uns, aber mir. Noch etwas: Ich habe heute morgen meine Gymnastik versäumt, und nachher muß ich gut in Form sein.«

Sogleich legte der Japaner das baumwollene Gewand ab, das ihm als Hauskittel diente. »Was darf s denn sein, Herr? Wollen wir an der Decke spa 45

zieren? Oder ist eine kleine Prügelei gefällig? Ich fände den Spaziergang besser. Die Wand ist wie geschaffen dafür.«

Fandorin warf einen abschätzenden Blick auf die tapezierte Wand sowie den Stuck an der Decke und war im Zweifel.

»Es ist arg hoch. Zwölf Shaku mindestens. Na schön, probieren wir's.«

Masa stand schon bereit - mit nichts als einem Lendenschurz bekleidet. Um die Stirn hatte er sich ein schneeweißes Tüchlein gebunden, auf das mit roter Tusche das Schriftzeichen für »Fleiß« gezeichnet war. Rasch hatte auch Fandorin sich umgezogen: enganliegendes Ringeltrikot und Gymnastikschuhe. Er hüpfte ein paarmal auf der Stelle, ging sodann leicht in die Hocke und kommandierte: »Ichi, ni, san«

Die zwei rasten los, auf die Wand zu und an ihr hinauf, bis sie, kurz bevor die Decke erreicht war, sich von der Vertikale abstießen und nach einem Salto wieder auf den Füßen landeten.

»Ich bin höher gekommen, Herr, bis zu der Rose da, Ihr wart zwei Rosen darunter!« brüstete sich Masa, auf das Tapetenmuster zeigend.

Statt einer Antwort kommandierte Fandorin erneut: »Ichi, ni, san!«

Das atemberaubende Kunststück ward wiederholt, und diesmal berührte der Diener im Saltoflug mit einem Fuß die Decke.

»Ich war oben und Ihr nicht!« verkündete er. »Und dabei sind Eure Beine viel länger als meine!«

»Du bist eben aus Gummi gemacht«, brummte Fandorin, der etwas außer Atem war. »Aber gut, jetzt kämpfen wir.«

Der Japaner machte eine artige Verbeugung und nahm

* (jap.) Ein, zwei, drei!

unlustig die Grundstellung ein: eingewinkelte Knie, auseinandergestellte Füße, hängende Arme.

Fandorin sprang hoch, drehte sich in der Luft, und sein vorschnellender Fuß traf den Rivalen, ehe der ausweichen konnte, mit der Schuhspitze ziemlich heftig am Kopf.

»Erster Treffer!« rief er. »Jetzt du!«

Masa tat, indem er sich die weiße Binde vom Kopf riß und zur Seite schleuderte, eine ablenkende Bewegung. Während Fandorin dem fliegenden Ding unwillkürlich hinterhersah, kam der Diener wie ein Gummiball über den Boden gerollt; mit einem Schrei aus tiefer Brust suchte er seinem Herrn einen Kick unter den Knöchel zu versetzen, der ihn umreißen sollte. Doch Fandorin sprang im letzten Moment zurück und schaffte es gar noch, dem kleinen Mann die Handkante gegen das Ohr zu stupsen.

»Treffer zwei!«

Flink stand der Japaner wieder auf den Füßen und wirbelte im Halbkreis durch das Zimmer. Fandorin tänzelte derweil auf der Stelle, die ausgestellten Handflächen in Taillenhöhe.

»Ach, Herr, wie unverzeihlich! Ich vergaß Euch Meldung zu machen«, sagte Masa, ohne in seinen Bewegungen innezuhalten. »Vor einer Stunde war eine Frau hier und wollte Euch sprechen. Ganz in Schwarz.«

Fandorin ließ die Arme sinken.

»Was für eine Frau?«

Im selben Moment bekam er einen Tritt vor die Brust. Er flog gegen die Wand, während Masa triumphierend verkündete:

»Treffer eins! Jung war sie nicht, und schön war sie auch nicht. Alles, was sie anhatte, war schwarz. Ich verstand nicht, was sie wollte, und sie ging wieder.«

Fandorin stand da und rieb sich die geprellte Brust.

»Es wird Zeit, daß du russisch lernst! Nachher, wenn ich aus dem Haus bin, nimmst du das Wörterbuch, das ich dir geschenkt habe, und lernst achtzig Wörter auswendig.«

»Vierzig sind genug!« protestierte Masa. »Ihr wollt Euch nur an mir rächen! Außerdem habe ich heute schon zwei Wörter gelernt: Milaska, das heißt: verehrter Herr, und Ki-taitsik, das heißt: Japaner.«

»Milaska?... Ach herrje. Milaschka'1'! Ich kann mir denken, wer dir das beigebracht hat. Wage ja nicht, mich so zu nennen! Übrigens, falls es dich interessiert: Sie hält dich für einen Chinesen. Achtzig Worte und keines weniger, sage ich! Und das nächste Mal schlägst du dich gefälligst auf ehrlichere Art.«

Fandorin setzte sich vor den Spiegel und begann sich zu schminken.

Er probierte einige Perücken und entschied sich für eine dunkelblonde, Pagenschnitt mit glattem Mittelscheitel. Sein gezwirbeltes schwarzes Lippenbärtchen strich er nach unten und überklebte es mit einem viel üppigeren aus hellerem Haar. Ans Kinn kam ein dichter Fransenbart. Die Brauen wurden passend nachgeschminkt. Er verlieh ihnen ein nervöses Zucken, stülpte die Lippen hervor, ließ den Glanz aus seinen Augen verschwinden und die roten Wangen etwas hängen, fläzte sich auf den Stuhl und war plötzlich, wie durch einen Zauberstab berührt, der flegelhafte Marktbudenkrämer vom Ochotny Rjad.