Выбрать главу

Kurz nach sieben Uhr hielt vor dem deutschen Restaurant »Alpenrose« in der Sofijka ein schickes Gefährt: lackschwarze, stahlgefederte Kalesche, die Radspeichen ocker gestrichen, gezogen von zwei Rappen, denen rote Bänder in die Mähnen geflochten waren. ':~ (russ.)

Liebster.

»Brrr!« rief der Kutscher schallend und knallte noch dazu übermütig mit der Peitsche. »Aufwachen, der Herr! Fuhre wohlbehalten angelandet!«

Der Fahrgast hing auf der samtbezogenen Sitzbank und schnarchte: ein geschniegeltes Kaufmannsbürschchen in dunkelblauem Gehrock, himbeerfarbener Weste und Stulpenstiefeln. Auf dem Kopf des jungen Tunichtgut saß keck ein glänzender Zylinder.

Die schlaftrunkenen Augen aufklappend, lallte er: »Wo-wohin?«

»Nirgends hin, Eure Lordschaft. Wir sind da, wo Sie hinwollten. Bei der Rose.«

Vor dem stadtbekannten Restaurant standen die Fuhrwerke aufgereiht. Mißmutig schauten ihre Inhaber auf den lärmseligen Kutscher. Der krakeelte hier herum, knallte unnötig mit

der Peitsche und machte anderen die Pferde scheu. Einer aus der Reihe, ein junger Kerl im gummierten Wettermantel mit glattrasiertem, nervös zuckendem Gesicht, trat dem Störenfried entgegen und fuhr ihn wütend an: »Was machste solchen Wind? Das iss hier kein Zigeunerbasar! Troll dich oder sei friedlich wie alle!« Und leise setzte er hinzu: »Fahr zu, Sinelnikow. Gleich retour, ohne Aufhebens. Ich hab einen Wagen hier. Richte dem Chef aus, es läuft alles nach Plan.«

Unterdessen war der Kaufmann auf das Trottoir gesprungen. Schwankend winkte er dem Kutscher: »Hau ab! Ich bleib hier über Nacht.«

Der Kutscher ließ noch einmal die Peitsche knallen und trollte sich mit einem wüsten Räuberpfiff, während der beschwipste Kaufmann nach ein paar unsicheren Schritten schon wieder bedenklich schwankte. Der bartlose junge Mann kriegte ihn gerade noch beim Ellbogen zu fassen.

»Darf man helfen, gnädiger Herr? Das ist der falsche Platz zum Umfallen.«

Fürsorglich nahm er den jungen Mann beim Arm und wisperte ihm hastig zu: »Agent Kljujew, Euer Hochwohlgeboren. Da vorne steht mein Wagen, der mit dem Fuchs. Ich sitz auf dem Bock in Bereitschaft. Am Hintereingang steht Agent Nesnamow. Als Messerschleifer getarnt, mit Gummischürze. Das Objekt ist vor zehn Minuten eingetroffen. Mit rotem Klebebart. Ziemlich fuchtig. Anscheinend bewaffnet - unter der Achsel beult sich was. Und das hier lassen Seine Exzellenz übergeben.«

Schon an der Tür, ließ der »Kutscher« geschickt ein vierfach gefaltetes Papier in die Tasche des Kaufmanns gleiten, zog die Schirmmütze und tat einen tiefen Diener, bekam aber kein Trinkgeld; als die Tür vor seiner Nase zuschlug, grunzte er verdrossen. Unter dem Spott der anderen Fuhrleute (»Na, Scharmör, hat er dir die zwanzig Kopeken an den Hut gesteckt?«) schlurfte er zurück zu seiner Kutsche und kletterte mit hängendem Kopf auf den Bock.

Das Restaurant »Alpenrose« galt allenthalben als gepflegtes Lokal von europäischem Niveau. Zumindest tagsüber. Zum Frühstück und zu Mittag kamen mit Vorliebe die in Moskau ansässigen Deutschen hierher, Kaufleute ebenso wie Beamte. Sie aßen Schweinshaxe mit Sauerkraut, tranken echt bayerisches Bier dazu, lasen die Berliner, Wiener und Rigaer Zeitungen. Doch gegen Abend machten sich die langweiligen Biertrinker auf den Heimweg, um Ordnung in ihre Rechnungsbücher zu bringen, das Nachtmahl einzunehmen und hurtig in die Federn zu kriechen, während in die »Rose« ein lustigeres und spendableres Publikum einzog. Auch hier überwogen die Ausländer - aus Breiten allerdings, wo man etwas losere Sitten pflegte und die europäische Art, sich zu 47

verlustieren, der derb russischen vorzog, also ohne Gegröle und offene Hosenställe. Wenn Russen hereinschauten, so eher aus Neugier - und seit einiger Zeit auch, um zu hören, wie Mademoiselle Wanda sang.

Der eben eingetroffene Bonvivant verharrte zwischen den weißen Marmorwänden des Foyers, besah sich hicksend die Säulen und den Läufer auf der Treppe, schleuderte dem Lakaien seinen blitzenden Zylinder entgegen und winkte den Maitre d'hotel heran.

Als erstes schob er diesem einen Rubelschein zu. Dann hüllte er ihn in seine Kognakfahne und stellte Forderungen: »Du, Hans Pfefferwurst, verschaffst mir einen Tisch. Und zwar nicht irgendeinen, sondern den, der mir paßt.« »Es ist proppenvoll«, sagte der Maitre d'hotel und hob bedauernd die Hände. Daß er Deutscher war, hinderte ihn nicht daran, ein waschechtes Eingeborenenrussisch zu sprechen.

»Wehe, du hast keinen!« sagte der Kaufmann und drohte mit dem Finger. »Dann gibt es ein Malheur. Und jetzt sagst du mir, wo hier das Klo ist.«

Der Maitre winkte einen Lakaien heran, von dem der krakeelende Gast in aller Förmlichkeit zur Toilette geleitet wurde. Diese war nach dem letzten Schrei der europäischen Technik ausgestattet: Porzellansitze, Wasserspülung und Spiegel über den Waschbecken. Doch unser Tit Titytsch (Ostrowskis Zerrbild eines Kaufmanns, wie es leibte und lebte!) hatte kein Auge für die deutschen Neumoden. Er hieß den Lakaien vor der Tür warten, zog das zusammengefaltete Papier aus der Tasche und fing, die Stirn gefurcht, zu lesen an.

Es war die Niederschrift eines Telefongesprächs.

2 Uhr 17 Minuten nachmittags. Abonnent 1 - männlichen Geschlechts, Abonnent 2 - weiblichen Geschlechts.

Aclass="underline" Fräulein, bitte Nummer 762 ... Ist dort das »Anglija«?

Hier Georg Knabe. Ich möchte Frau Wanda sprechen. Stimme (unklaren Geschlechts): Sofort, der Herr. A2: Wanda am Apparat. Wer ist da?

Aclass="underline" [Randnotiz:] (ab hier auf deutsch) Ich bins. Hören Sie, es ist wichtig. Hochwichtig sogar. Sagen Sie mir eines: Haben Sie etwas mit ihm gemacht? Sie wissen, was ich meine. Ja oder nein? Sagen Sie die Wahrheit, ich flehe Sie an!

A2 (nach einer längeren Pause): Was Sie meinen, habe ich nicht gemacht. Es ist von allein passiert. Aber was haben Sie denn? Sie klingen so komisch.

Aclass="underline" Sie haben also nicht...? Oh, dem Himmel sei Dank! Sie können sich nicht vorstellen, in wasfür einer Lage ich bin. Es ist ein Alptraum.

Aclass="underline" Freut mich für Sie ... (Nächster Satz unverständlich.)

Aclass="underline" Hören Sie auf zu scherzen. Alle lassen sie mich hängen! Statt dankbar zu sein für die ergriffene Initiative - nichts als der pure Undank. Und noch schlimmer. Es könnte passieren, daß das Ihnen bekannte Ereignis den Konflikt nicht hinausschiebt, sondern im Gegenteil heraufleschwört - so hat man mir es mitgeteilt. Und Sie haben wirklich nichts getan?

A2: Wenn ich es Ihnen sage.

Aclass="underline" Und wo ist die Ampulle?

A2: Bei mir auf dem Timmer. Versiegelt.

Aclass="underline" Ich muß unbedingt kommen und sie abholen. Noch heute.

Aclass="underline" Ich trete heute im Restaurant auf und kann dort nicht weg. Es reicht, daß ich zwei Auftritte versäumt habe.

Aclass="underline" Ich weiß. Ich komme hin. Der Tisch ist schon bestellt. Für um sieben. Wundern Sie sich nicht, ich werde maskiert sein. Konspirationshalber. Packen Sie die Ampulle ein. Und 48

übrigens, Fräulein Wanda, ich finde, Sie nehmen sich in letzter Zeit reichlich viel heraus. Ich bin keiner, mit dem man seine Scherze treibt, das sollten Sie wissen. A2: (legt, ohne zu antworten, auf) Stenogramm und Übersetzung aus dem Deutschen: Julius Schmidt

Unter dem Stenogramm stand in fliehender Gardistenschrift ein Zusatz: Nicht, daß er sie vor

Schreck noch um die Ecke bringt! K.