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»Da hat der General nie mit sich reden lassen.« Gukmassow lächelte bitter. »Wenn ich was gesagt hab, hat er mich angeschaut, als ob ... Außerdem hatten Seine Exzellenz andere Spaziergänge hinter sich als im friedlichen Moskau. Mutterseelenallein durch die türkischen Berge und die turkmenischen Steppen.« Düsteren Blickes zwirbelte der Jessaul seinen Schnauzbart. »Ins Hotel haben Seine Exzellenz ja auch zurückgefünden. Nur den Morgen nicht mehr erlebt.«

»Wie fanden Sie den Leichnam vor?« fragte der Polizeichef.

»Er hat dort gesessen.« Gukmassow wies auf den Lehnstuhl. »Hintenüber gelehnt. Die Schreibfeder lag auf dem Fußboden.«

Karatschenzew ging in die Hocke und betastete die Tintenflecke auf dem Teppich.

»Tja. Gottes Wege ...«, sagte er seufzend.

Die pietätvolle Pause wurde von Fandorin harsch unterbrochen. Während er nicht davon abließ, den vermaledeiten Kandelaber zu streicheln, raunte er vernehmlich zum Hotelchef hinüber: »Wie kommt es, daß Sie noch keine Elektrizität im Haus haben? Darüber wundere ich mich schon die 14 ganze Zeit. So ein modernes Hotel, und G-g- ... Gas gibt es auch nicht. Kerzenlicht auf den Zimmern!«

Der Franzose holte zu einer Erklärung aus, der zufolge Kerzenlicht immer noch hon ton sei, und im Restaurant habe man selbstverständlich elektrisches, und spätestens im Herbst würden die Leitungen im übrigen Haus gelegt - Karatschenzew unterbrach das nicht zur Sache gehörende Geschwätz mit zornigem Hüsteln.

»Und wie haben Sie die Nacht zugebracht, Gukmassow?« fragte er, sein Verhör fortsetzend.

»Ich habe einen alten Kampfgefährten besucht, Oberst Dadaschew. Wir haben gesessen und geredet. Im Morgengrauen kam ich zurück ins Hotel und bin gleich schlafen gegangen.«

»Richtig«, mischte Fandorin sich ein, »der Nachtportier sagte mir, es sei schon hell gewesen, als Sie kamen. Sie schickten ihn nach einer Flasche Selterswasser.«

»Das stimmt. Ich hatte, geb ich zu, einen über den Durst getrunken. Davon bekam ich einen trockenen Hals. Sonst stehe ich meistens sehr früh auf, aber ausgerechnet diesmal hab ich verschlafen. Da wollte ich gleich rüber zum General, zum Rapport - aber Lukitsch sagte mir, Seine Exzellenz seien noch nicht auf. Gut, dachte ich, wahrscheinlich hat er bis in die Nacht gearbeitet. Dann, wie es halb neun war, hab ich gesagt: Nein, Lukitsch, jetzt gehen wir ihn wecken, sonst nimmt er's uns übel. Es war einfach nicht seine Art. Wir gehen also rein, und er sitzt so da« - Gukmassow ließ den Kopf in den Nacken kippen, klappte die Lider nach unten und öffnete den Mund halb - »und ist schon ganz kalt. Wir haben den Arzt gerufen, eine Depesche ans Korps geschickt... In dem Moment standen Sie vor mir, Fandorin. Entschuldigen Sie, daß ich Sie nicht so begrüßt habe, wie es sich ziemt für 15

einen alten Gefährten. Sie können sich vorstellen, daß mir der Sinn nicht danach stand.« Anstatt die Entschuldigung anzunehmen, die, mochte man meinen, unter den gegebenen Umständen gar nicht nötig gewesen wäre, hielt Fandorin nur den Kopf ein wenig schief, legte die Hände auf den Rücken und sagte: »Wie mir in der Restauration zu Ohren kam, hat gestern eine gewisse Dame für Seine Exzellenz gesungen und angeblich sogar bei ihm am Tisch gesessen. Irgendeine stadtbekannte Person? Wanda heißt sie, wenn ich mich recht entsinne. Und anschließend seien alle, der G-... General inklusive, mit ihr davongefahren. Ist das wahr?«

»Stimmt, eine Sängerin war dabei«, antwortete Gukmassow in knarzigem Ton. »Wir haben sie mitgenommen, irgendwo abgesetzt und sind weitergefahren.«

»Wo abgesetzt? Im >Anglija< vielleicht, Stoleschnikow Pe-reulok?« fragte der Kollegienassessor nach, der erstaunlich gut informiert zu sein schien. »Ich habe gehört, F-frau Wanda logiert dort?«

Gukmassow schob die dunklen Brauen zusammen, und seine Stimme wurde noch hölzerner, man meinte es splittern zu hören: »Ich weiß in Moskau nicht Bescheid. Irgendwo in der Nähe, fünf Minuten Fahrt von hier.«

Fandorin nickte versonnen und schien gleich darauf jedes Interesse am Jessaul Gukmassow verloren zu haben - er hatte neben dem Bett die Tür zum Wandtresor entdeckt. Er ging hin, drehte am Knauf, das Türchen öffnete sich.

»Ist er leer?« fragte der Polizeichef.

»Jawohl, Euer Exzellenz. Der Schlüssel steckt von außen.« »Auch gut.« Karatschenzew schüttelte sein rothaariges Haupt. »Was wir an Papieren noch finden, kommt unter Siegel. Wir sortieren später, was den Anverwandten zusteht, was 16

dem Ministerium und was Seiner Majestät persönlich. Professor, Sie können Ihre Gehilfen rufen und sich ans Einbalsamieren machen.«

»Was denn, doch nicht etwa hier?« entrüstete sich Welling. »Einbalsamieren ist etwas anderes als Weißkraut einlegen, Herr General!«

»Verlangen Sie von mir, daß ich den Leichnam quer durch die Stadt in Ihre Akademie bugsiere? Schauen Sie aus dem Fenster, da fällt kein Apfel zur Erde. Nein, das müssen Sie schon hier zuwege bringen. Jessaul Gukmassow, ich danke Ihnen, Sie können gehen. Und Sie«, nun wandte er sich an den Hotelchef, »sehen zu, daß Sie alle Wünsche des Herrn Professor befriedigen.«

Allein mit Fandorin, nahm der General den jungen Mann beim Arm, führte ihn von dem Leichnam weg ein Stück beiseite und fragte halblaut, so als könnte der Tote es hören: »Nun? Was meinen Sie? Ihren Fragen und Ihren sonstigen Anstalten durfte ich entnehmen, daß Gukmassows Erklärungen Sie nicht zufriedenstellen. Glauben Sie, daß er mit etwas hinter dem Berg hält? Seine Nachlässigkeit in bezug auf die Morgenrasur hat er jedenfalls schlüssig begründet, finden Sie nicht? Er hat gesoffen und verpennt - die normalste Sache der Welt.«

»Gukmassow wäre gar nicht imstande zu verschlafen«, sagte Fandorin achselzuckend. »Das ginge gegen seine Natur. Und erst recht nicht käme er auf die Idee, bei Sobolew zum Rapport zu erscheinen, ohne sein Äußeres in Ordnung gebracht zu haben. Der Jessaul lügt, soviel ist klar. Aber das ist es nicht, Eure Exzellenz ...«

»Sondern?« Karatschenzew horchte gespannt.

»Die Sache ist noch ernster, als ich vermutete. Sobolew ist nicht hier zu Tode gekommen.« 16

»Was soll das heißen, nicht hier?« staunte der Polizeichef. »Wo sonst?«

»Das weiß ich nicht. Aber gestatten Sie zu fragen, wieso der Nachtportier, mit dem ich gesprochen habe, Sobolew nicht hat heimkehren sehen?«

»Na, vielleicht hat er nicht aufgepaßt und will es nicht zugeben«, erwiderte Karatschenzew, mehr um der Polemik willen, als daß er ernsthaft daran glaubte.

»Das kann nicht sein, und ich werde Ihnen sagen, warum. Aber zuvor darf ich Ihnen noch ein Rätsel aufgeben, das Sie mir b-b-... bestimmt nicht lösen. Wenn Sobolew in der Nacht zurückgekommen wäre und an diesem Sekretär gesessen und geschrieben hätte, dann gewiß nicht, ohne sich ein Licht anzuzünden. Die Kerzen in den Kandelabern sind aber noch frisch, wie Sie sehen!«

»Tatsächlich!« Der General schlug sich mit der flachen Hand auf den in straffer Reithose steckenden Schenkel. »Fandorin, Sie sind ja ein Fuchs! Und aus mir wird wohl nie ein rechter Kriminalist.« Er zeigte ein entwaffnendes Lächeln. »Sie müssen wissen, ich bin erst seit kurzem zur Gendarmerie versetzt, war früher bei der Gardekavallerie. Aber sagen Sie doch, wie könnte die Sache sich zugetragen haben?«

Fandorins schöne Zobelbrauen zuckten vor Anspannung.

»Ich bin kein Wa-... Wahrsager. Aber eines steht fest: Der General ist nach dem Abendessen nicht auf seinem Zimmer gewesen, weil es zu der Zeit schon finster wurde, und Licht hat er, wie wir nun wissen, nicht gemacht. Auch nach Aussage der Kellner ist Sobolew mit seinem Gefolge vom Tisch weg aufgebrochen. Und der Nachtportier ist ein so gründlicher und auf seinen Ruf bedachter Mann, daß ich nicht glaube, er könnte sich von seinem Posten entfernt und die Rückkehr des Generals verpaßt haben.«