Выбрать главу

Er kam nicht dazu, sich umzudrehen, denn Erdeli sprang mit dem Ruf: »So zwinge ich dich zum Duell!« auf ihn zu und wollte ihm eine Ohrfeige verpassen. Mit verblüffender Gewandtheit gelang es Fandorin jedoch, den ausgeholten Arm zu packen und das fürstliche Handgelenk mit zwei Fingern zusammenzupressen - dem Anschein nach nicht sehr kräftig, doch der Oberleutnant verzog das Gesicht vor Schmerz.

»Drrrecksack!« winselte er im Falsett und schwang nun den freien linken Arm. Fandorin, den penetranten Fürsten zurückstoßend, sagte verächtlich: »Geben Sie sich keine Mühe. Wir können die Ohrfeige als verabreicht ansehen. Ich werde Sie zum Duell fordern und die Beleidigung mit Blut büßen lassen.«

»Na wunderbar!« tat der phlegmatische Stabsoffizier, den Gukmassow als Oberstleutnant Baranow vorgestellt hatte, zum ersten Mal den Mund auf. »Nenn ihm deine Bedingungen, Erdeli!«

Dieser rieb sich das Handgelenk und zischte haßerfüllt: »Mit der Pistole. Sofort. Und auf Tuchfühlung.«

»Was heißt denn das, auf Tuchfühlung?« fragte Fandorin interessiert. »Ich habe von dem Brauch schon gehört, kann mir aber leider nichts Genaues darunter vorstellen.«

»Ganz einfach«, gab der Oberstleutnant liebenswürdig Auskunft. »Die Duellanten ergreifen mit der freien Hand je einen Zipfel eines gewöhnlichen Taschentuches. Sie können meines nehmen, es ist sauber.« Bei diesen Worten zog Baranow tatsächlich ein großes rot-weiß kariertes Taschentuch hervor. »Dann werden die Pistolen aufgenommen. Gukmassow, wo hast du deine LePage?«

Der Angesprochene nahm einen länglichen Kasten vom Tisch und klappte den Deckel auf. Die langen, inkrustierten Läufe blitzten.

»Die Duellanten losen die Pistolen aus«, fuhr Baranow gutmütig lächelnd in seinen Erläuterungen fort. »Dann wird gezielt - wobei es auf die Entfernung eigentlich nichts zu zielen gibt. Und auf Kommando wird geschossen. Das ist eigentlich alles.«

»Die Pistolen werden ausgelost? Heißt das etwa, eine ist geladen und die andere nicht?« »So ist es.« Der Oberstleutnant nickte. »Darin liegt ja der Witz des Ganzen. Sonst wäre es kein Duell, sondern ein Doppelselbstmord.«

»Wenn das so ist«, sagte Fandorin achselzuckend, »tut der Herr Oberleutnant mir leid. Ich hab noch nie im Leben das falsche Los gezogen.«

»Es liegt in Gottes Hand. Passen Sie auf, daß Sie Ihr Unglück nicht beschreien!« wies Baranow ihn zurecht.

Augenscheinlich gibt er hier den Ton an und nicht Gukmassow! ging es Fandorin durch den Kopf.

»Sie benötigen einen Sekundanten«, sagte der verbiesterte Jessaul. »Wenn Sie wollen, kann ich als Ihr alter Bekannter Ihnen den Dienst erweisen. Und seien Sie unbesorgt, mit dem Losen hat alles seine Richtigkeit.«

»Das bin ich, mein lieber Gukmassow. Aber zum Sekundanten taugen Sie ganz und gar nicht. Denn sollte ich Pech haben, sähe das alles sehr nach einem Mord aus.« Baranow nickte.

»Da hat er recht. Es ist angenehm, mit einem klugen Menschen Umgang zu haben. Und du hast auch recht, Prochor, so einer ist gefährlich. Wen schlagen Sie vor, Herr Fandorin?« »Hätten Sie etwas gegen einen japanischen Staatsangehörigen einzuwenden? Sie müssen wissen, ich bin erst heute in Moskau angekommen und fand noch nicht die Zeit, Bekanntschaften zu knüpfen.«

Der Kollegienassessor hob entschuldigend die Hände.

»Von mir aus einen Papua!« rief Erdeli. »Hauptsache, es geht bald los!«

»Gibt es denn einen Arzt?« wollte Fandorin wissen.

»Ein Arzt wird nicht benötigt«, seufzte der Oberstleutnant. »Auf die Entfernung ist jeder Schuß tödlich.«

»Na, na. Nicht um mich mache ich mir übrigens Sorgen, sondern um den Fürsten.« Empört rief Erdeli etwas in seiner georgischen Muttersprache und verzog sich in die entlegenste Ecke des Raumes.

Fandorin schrieb - in wunderlichen Zeichen, von oben nach unten und von rechts nach links - eine kurze Notiz, die er nach N- 20 hinaufzubringen bat.

Masa beeilte sich nicht sonderlich zu erscheinen. Als er eine gute Viertelstunde später auftauchte, waren die Offiziere bereits nervös geworden und verdächtigten Fandorin des unlauteren Spiels.

Der Auftritt des Sekundanten machte auf die desavouierte Partei ordentlich Eindruck. Masa als ein großer Liebhaber von Duellen hatte sich für den Anlaß herausgeputzt: Er trug einen Paradekimono mit hohen, steif gestärkten Schultern, weiße Strümpfe und hatte seinen besten Gürtel mit Bambusspitzenmuster um die Hüften geschlungen.

»Was ist denn das für ein Makak!« entfuhr es Erdeli. »Na egal! Zur Sache!«

Masa verbeugte sich förmlich vor den Anwesenden und reichte seinem Herrn auf ausgestreckten Händen den Beamtendegen.

»Hier Euer Schwert, mein Herr.«

»Du fällst mir auf den Wecker mit deinem Schwert«, seufzte Fandorin. »Wir schießen uns mit Pistolen, der Herr da und ich.«

»Schon wieder mit Pistolen?« fragte Masa enttäuscht. »Was für eine barbarische Sitte. Und wen wollt Ihr erschießen? Den Struppigen? Der sieht ja aus wie ein Affe.«

Die Duellzeugen nahmen längs der Wand Aufstellung, während Gukmassow, den übrigen Männern den Rücken zukehrend, geheimnisvoll mit den Pistolen hantierte und die Duellanten alsdann wählen ließ. Fandorin sah zu, wie Erdeli, der sich zuvor bekreuzigt hatte, nach einer der Pistolen griff, und nahm sich lässig, mit zwei spitzen Fingern, die andere.

Den Anweisungen Gukmassows Folge leistend, packten die Duellanten die Taschentuchzipfel und entfernten sich voneinander, so weit es ging - es ging, selbst bei ausgestreckten Armen, nicht weiter als auf drei Schritt. Der Fürst hob die Pistole in Schulterhöhe und zielte mitten auf die Stirn seines Gegenübers. Fandorin hingegen hielt die Waffe irgendwo neben dem Oberschenkel und zielte überhaupt nicht, was die Entfernung ja auch wirklich nicht erforderte.

»Eins, zwei, drei!« zählte Gukmassow in rascher Folge und sprang zurück.

Die Pistole des Fürsten gab nur ein trockenes Klicken von sich. Dafür schoß aus Fandorins Waffe eine böse Feuer 21

zunge, und im nächsten Moment wälzte sich der Oberleutnant auf dem Teppich, hielt sich die durchschossene rechte Hand, jammerte und fluchte zum Gotterbarmen.

Nach einer Weile, als der Jammer in dumpfes Stöhnen übergegangen war, konstatierte Fandorin in schulmeisterlichem Ton: »Mit dieser Hand werden Sie jedenfalls keinen mehr ohrfeigen!«

Vom Flur her ertönte Getrappel und Geschrei. Gukmassow öffnete die Tür einen Spalt und meldete nach draußen, es gebe einen peinlichen Vorfall, der Oberleutnant Erdeli habe sich beim Entladen der Pistole die Hand verletzt. Daraufhin wurde der Verletzte zu Professor Welling hinübergetragen, der glücklicherweise das Haus noch nicht verlassen hatte, um die Utensilien für die Balsamierung zu beschaffen, und ihm also einen Verband anlegen konnte; alsdann kehrte man in Gukmassows Zimmer zurück.

»Was nun?« fragte Fandorin. »Ist Satisfaktion gegeben?«

Gukmassow schüttelte den Kopf.

»Nun werden Sie sich mit mir duellieren. Zu den nämlichen Bedingungen.« »Und dann?« »Dann? Dann, sofern Sie davonkommen sollten, mit allen übrigen. Der Reihe nach. So lange, bis einer sie erschießt. Fandorin, ersparen Sie mir und meinen Leuten diese Tortur.« Jessaul Gukmassow schaute den jungen Mann beinahe bittend an. »Geben Sie Ihr

Ehrenwort, daß Sie sich aus den Ermittlungen heraushalten werden, und wir scheiden als Freunde.«

»Ihre Freundschaft zu erwerben wäre mir eine große Ehre, doch Sie verlangen Unmögliches von mir«, erwiderte Fandorin mit Bedauern in der Stimme.

Masa hatte ihm etwas ins Ohr zu wispern: »Herr, ich weiß zwar nicht, was der Mann mit dem schönen Bart Euch da erzählt, aber mir schwant Böses. Wäre es nicht vernünftiger, den ersten Schritt zu tun und diese Samurais über den Haufen zu schießen, solange sie noch nicht mit sich zu Rande sind? Ich habe Euer kleines Pistölchen im Ärmel stecken und außerdem den Schlagring, den ich mir in Paris gekauft habe. Den würde ich zu gerne mal ausprobieren.«