»Masa! Halt dich im Zaum mit deinen Räubermanieren!« wies Fandorin den Diener in die Schranken. »Ich schlage mich mit den Herren auf ehrliche Art, immer schön der Reihe nach.«
»Och, das kann ja dauern!« maulte der Japaner und ließ sich, den Rücken zur Wand, auf dem Fußboden nieder. Fandorin unternahm einen Versuch, die Offiziere zur Vernunft zu rufen.
»Meine Herren! Glauben Sie mir, das führt zu gar nichts. Es ist die pure Zeitverschwendung.«
»Keine überflüssigen Worte«, schnitt Gukmassow ihm das Wort ab. »Weiß dein Japaner, wie man Duellpistolen lädt? Nein? Dann mach du es, Eichholz.«
Und wieder griffen die Kontrahenten zu den Pistolen, das Taschentuch straffte sich. Gukmassow wirkte düster und entschlossen, während Fandorin einen eher verlegenen Eindruck machte. Auf das Kommando, welches diesmal von Baranow kam, klickte Gukmassows Abzug leer. Fandorin hatte nicht abgedrückt.
»Schießen Sie, Fandorin, zum Teufel mit Ihnen!» zischte der Jessaul leichenblaß. »Und Sie, meine Herren, bestimmen gefälligst den nächsten. Die Tür verbarrikadieren, damit keiner schnüffelt! Und lassen Sie ihn ja nicht lebend davonkommen.«
»Schade, daß Sie mich nicht ausreden lassen wollen«, sprach Fandorin, die geladene Pistole schwenkend. »Und ich sage Ihnen, meine Herren, solange das Los zu entscheiden hat, sind Sie ohne Chance. Ich verfüge über die seltsame Gabe, in Hasardspielen sagenhaftes Glück zu haben. Ein unerklärliches Phänomen, ich muß damit leben. Offenbar liegt es daran, daß meinem seligen Papa das Glück in den seltensten Fällen hold war. Ich hingegen gewinne immer und in jedem Spiel, weswegen ich es nicht ausstehen kann zu spielen.« Aufrichtig blickte er in die finsteren Offiziersgesichter. »Sie glauben mir wohl nicht? Dann schauen Sie her. Hier ist ein Imperial.« Fandorin zog eine Goldmünze aus der Tasche und reichte ihn Eichholz. »Werfen Sie, Baron, und ich sage Ihnen an, ob Adler oder Avers.«
Der Baron, ein blutjunger Offizier, dem eben erst der Bart zu sprießen begann, wechselte mit Gukmassow und Baranow einen Blick, zuckte mit den Achseln und warf die Münze. Sie wirbelte noch durch die Luft, da ließ Fandorin sich schon hören: »Sagen wir: Adler.« »Adler!« bestätigte Eichholz. Er warf noch einmal.
»Wieder Adler!« versetzte Fandorin gelangweilt.
»Adler!« rief der Baron erstaunt. »Potzblitz, meine Herren!«
»Los, Mitja, noch einmal!« trieb Gukmassow ihn an.
»Avers«, warf Fandorin hin, in eine ganz andere Richtung schauend.
Grabesstille trat ein. Der vorgereckten Handfläche des Barons gönnte Fandorin keinen Blick.
»Ich sagte es Ihnen doch. Masa, ikoo. Owari da* Adieu, die Herren.«
Mit abergläubischem Entsetzen sahen die Offiziere den Beamten und seinen japanischen Diener zur Tür gehen.
;:" (jap.) Masa, wir gehen. Das war's.
»Eines wenigstens sollten Sie versprechen, Fandorin!« hielt Gukmassow, immer noch blaß, ihn zurück. »Versprechen Sie, Ihr detektivisches Talent nicht zum Schaden des Vaterlands zu verwenden! Rußlands Ehre steht auf dem Spiel.«
Fandorin schwieg. Dann sagte er: »Ich kann Ihnen versprechen, Gukmassow, nichts zu tun, was meiner eigenen Ehre zuwiderläuft. Das dürfte genügen.«
Der Kollegienassessor Fandorin verschwand durch die Tür. Masa, ihm hinterdrein, drehte sich auf der Schwelle um und tat vor den Offizieren einen förmlichen Diener, dann war auch er weg.
23
VIERTES KAPITEL,
in welchem architektonischer Schnickschnack seine Nützlichkeit beweist
Die Zimmer im »Anglija« standen dem vornehmen »Dusseaux« in Prunk und Komfort nicht nach, in puncto architektonischer Finesse übertrafen sie es wohl gar; der enorme Goldstuck an den Decken und die marmornen Schnörkel hie und da erweckten allerdings eher den Anschein von Fragwürdigkeit oder immerhin Leichtsinn. Jedenfalls strahlte das Portal in elektrischer Beleuchtung, die drei oberen Stockwerke waren per Fahrstuhl zu erreichen, und im Vestibül machte dann und wann ein in Mode gekommenes Wunderwerk der Technik mit durchdringendem Schellen auf sich aufmerksam: das Telefon.
Fandorin war in der geräumigen Halle mit Wandspiegeln und saffianledernen Diwanen ein wenig auf und ab spaziert und schließlich vor der Tafel mit den Namen der Gäste stehengeblieben. Das Publikum schien hier bunter gemischt als im »Dusseaux«: Ausländische Handelsleute ebenso wie Börsenmakler und Schauspieler beliebter Bühnen gaben sich die Ehre. Eine Sängerin namens Wanda war auf der Liste jedoch nicht zu entdecken. Fandorin beobachtete die Bedienstetenschaft, die zwischen Tresen und Fahrstuhl hin- und herhuschte, und suchte sich einen besonders beflissen wirkenden Diener mit verständiger, aufgeweckter Physiognomie heraus, den er, ein wenig den Verlegenen markierend, fragte: »K-k-... Kann es sein, daß Frau Wanda nicht mehr hier logiert?«
»Doch, doch! Warum, bitte schön, sollte sie nicht?« kam die bereitwillige Antwort des Dieners, und da er den suchenden Blick des holden jungen Herrn gewahrte, tippte er mit dem Finger auf die Tafel.
»Hier: Frau Helga Iwanowna Tolle, das ist sie. Wanda ist ihr, bitte schön, Künstlername, zum besseren Wohlklang. Frau Wanda logiert im Seitenflügel. Sie müßten sich, bitte schön, durch die Tür da auf den Hof begeben, mein Herr, Frau Wanda hat dort ihr Appartement mit separatem Eingang. Aber um die Zeit pflegt sie, bitte schön, noch nicht anwesend zu sein.«
Schon wollte der Diener davoneilen, doch das Knistern einer frischen Banknote in Fandorins Tasche ließ den Burschen in der Bewegung erstarren.
»Noch ein Begehrchen, bitte schön?« fragte er und bedachte den jungen Herrn mit einem ergebenen, geradezu liebkosenden Blick.
»Wann pflegt sie denn nach Hause zu kommen?«
»Je nachdem. Sie singt doch in der >Alpenrose<, täglich außer Montag, bitte schön. Wissen Sie was, mein Herr, setzen Sie sich doch einstweilen ans Büfett, trinken Sie einen Tee oder noch was dazu, bitte schön, und wenn Mademoiselle auftauchen, gebe ich Ihnen unbedingt Bescheid.«
»Und sagen Sie, was - was ist sie f-f-... für eine?« Fandorin machte eine vage kreisende Handbewegung. »Ich meine, ist sie wirklich so hübsch?«
»Bildhübsch, ich kann Ihnen sagen!« Der Diener schmatzte mit den wulstigen roten Lippen. »Sie hat bei uns ihren exklusiven Stand. Zahlt monatlich dreihundert für Logis und ist beim Trinkgeld äußerst spendabel, bitte schön.«
Hier plazierte er eine psychologisch fein bemessene Pause - Fandorin Gelegenheit gebend, seiner Hosentasche umständlich zwei Rubelscheine zu entnehmen, die er sich jedoch, scheinbar aus Zerstreutheit, in die Brusttasche stopfte.
»Frau Wanda pflegt nicht jeden zu empfangen, bitte schön, da ist sie streng«, hatte der Diener bedeutungsvoll mitzuteilen, während sein Blick sich an der Brust seines Gegenübers festsaugte. »Etwas anderes wäre es, bitte schön, wenn ich es hinterbrächte, insofern ich ihr spezielles Vertrauen genieße.«
»Da hast du.« Fandorin reichte ihm einen der Scheine. »Den zweiten gibt es, wenn Mademoiselle Wanda eingetroffen ist. Ich gehe derweil ein bißchen Zeitung lesen. Wo, sagtest du, habt ihr euer Büfett?«
Die »Moskauer Regierungsnachrichten« vom 25. Juni 1882 meldeten das Folgende: TELEGRAMM AUS SINGAPUR
Der berühmte Weltreisende Nikolai N. Miklucho-Maklai beabsichtigt, an Bord des Klippers »Strelok« die Rückkehr nach Rußland anzutreten. Miklucho-Maklais Gesundheitszustand ist deutlich angegriffen. Er ist abgemagert, leidet beständig unter Schüttelfieber- und Neuralgieanfällen. Seine seelische Verfassung ist meistenteils düster. Wie er unserem Korrespondenten anvertraute, habe er vom Umherziehen die Nase gestrichen voll und träume davon, auf kürzestem Wege die heimatlichen Gestade anzusteuern.