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»Es ist mir immer eine Freude, dir zu helfen, Lady Fidelma.« Der alte Wirt lächelte. »In diesem Königreich gibt es wohl niemanden, der dir nicht bei der Verfolgung des Täters Erfolg wünscht.«

»Sicher wirst du mir zustimmen, daß es mindestens einen in diesem Königreich gibt, der das nicht tut, Aona«, erwiderte Eadulf trocken, als er sich umdrehte und Fidelma aus der Gaststube folgte. Aona brauchte einen Moment, ehe er Eadulfs Worte begriff, doch da hatte sich schon die Tür hinter seinen Gästen geschlossen.

Bald ritten sie am Nordufer des Flusses Ara weiter nach Süden. Die langgezogene grüne Kammlinie des Slievenamuck hob sich von dem hellen Himmel ab. Die dunklen Gewitterwolken waren nach Osten abgezogen. Es würde ein schöner Nachmittag werden. Die Sonne war schon im Westen, stand aber noch hoch am Himmel. Eadulf versuchte sich an den Namen der Berggruppe ein paar Kilometer nördlich vor ihnen zu erinnern. Fidelma hatte ihn damals bei ihrem ersten Ritt auf dieser Straße erwähnt.

Und als hätte Fidelma seine Gedanken lesen können, beugte sie sich in diesem Augenblick zu ihm hinüber und berührte ihn am Arm.

»Das ist das Slieve Felim-Gebirge«, erklärte sie. »Dahinter liegt das Land der Ui Fidgente. Ohne Schutz sollte man sich da nicht hineinbegeben.«

Als sie aus dem Wald herauskamen und in ein offenes hügeliges Gelände ritten, erkannte Eadulf den Ort sofort wieder.

Imleach Iubhair: »Grenzland des Eibenwaldes«. Die Abtei des heiligen Ailbe war von hohen Mauern umgeben. Hier war zum erstenmal in Muman die Lehre Christi gepredigt worden. Die Mauern beherrschten das Erscheinungsbild der kleinen Stadt, die vor ihnen lag. Eadulf konnte sich kaum mehr vorstellen, daß Fidelma und er an diesem Ort beinahe ihr Leben eingebüßt hätten. Es kam ihm hier alles so vertraut vor, als er die Weideflächen erblickte, die von Wäldern aus hohen Eiben umgeben waren.

Als er das erstemal in Imleach war, war es wie ausgestorben gewesen, doch nun herrschte auf dem Marktplatz vor der Abtei ein emsiges Treiben. Die Leute strömten zu den Ställen und Verschlägen mit Rindern, die geduldig auf ihre Käufer warteten. Ziegen, Schweine und Schafe drängten sich in Gehegen. Die Händler priesen lauthals ihre Waren an. Die Käsemacher, die Schmiede, die Bäcker und unzählige andere Handwerker versuchten, Kundschaft anzulocken.

»Ganz anders als beim letztenmal«, sagte Eadulf erfreut.

»Das Leben hat sich wieder normalisiert«, meinte Fidelma nur, als sie über den Marktplatz voranritt und auf die traurigen Überreste der riesigen verbrannten Eibe zusteuerte, die einst höher als die mächtigen Abteimauern gewesen war. Zweiundzwanzig Meter war der Baum einmal hoch gewesen. Fidelma hielt mit Capa und den anderen Kriegern davor an und senkte den Kopf. Eadulf wußte, daß der Baum das Totem der Eoghanacht war, ihr »Baum des Lebens«, angeblich eigenhändig gepflanzt von Eibhear Foinn, dem Sohn von Milidh, von dem die Eoghanacht abstammten. Eadulf war noch gut in Erinnerung, wie die Feinde der Eoghanacht den Baum zerstören wollten. Damals hatte er sich mit Fidelma in der Abtei verschanzt. Sie hatten nicht verhindern können, daß der Baum brannte. Dennoch war es nicht gelungen, ihn zu töten.

»Trotz unserer Feinde«, lächelte Gorman stolz und zeigte auf ein paar grüne Triebe an den höheren Zweigen, »lebt unser Baum immer noch.«

Eadulf war überrascht davon. Seit uralten Zeiten war der Baum Symbol für die Lebenskraft der Dynastie der Eoghanacht. War er gesund und kräftig, so würde es dem Stamm der Eoghanacht ebenso ergehen. Starb der Baum, so würden auch die Eoghanacht gestürzt und ausgelöscht werden. Doch die Eoghanacht hatten wie der Baum überlebt. Wenn man den Barden trauen durfte, so gab es sie schon über fünfundneunzig Generationen, seit Eibhear Foinn sie begründet hatte.

Fidelma und ihre Begleiter wandten sich von der Eibe ab und ritten zur Abtei. Der Torwärter hatte sie bereits erspäht, und so standen die großen Eichentore offen. Eine vertraute Gestalt erwartete sie. Es war Bruder Madagan, der rechtaire oder Verwalter der Abtei.

Kapitel 5

Sie saßen in Bruder Madagans Zelle, von der aus er die große Abtei von Imleach verwaltete. Als rechtaire trug er in Abwesenheit des Bischofs die Verantwortung für alle Abläufe in der Abtei, denn Bischof Ségdae war nicht nur Bischof, sondern auch Abt von Imleach. Die Gäste und der Mönch wirkten bedrückt. Bruder Ma-dagan hatte sich von Fidelma die Gründe ihres Besuches erläutern lassen. Dabei war er sich wiederholt mit einem Finger über die Narbe auf seiner Stirn gefahren. Sowohl Fidelma als auch Eadulf erinnerten sich daran, wie er während des Angriffs auf Imleach an dieser Stelle verletzt worden war.

Betroffen von den schrecklichen Nachrichten, bot ihnen Bruder Madagan jede erdenkliche Hilfe an. Fidelma hatte ihm auch von den Pilgern und den anderen Reisenden berichtet, die durch Cashel gekommen waren.

»Du würdest sicher gern mit den Pilgern reden, die hergekommen sind, um in der Kapelle des heiligen Ailbe zu beten, nicht wahr?«

»Ja, sehr gern«, stimmte ihm Fidelma zu. »Ich hoffe, daß sie noch hier sind.«

Bruder Madagan nickte. »Doch die anderen, die du erwähnt hast ... Bruder Tanaide und der Fremde aus dem fernen Land, die halten sich nicht mehr hier auf. Die haben schon nach einer Nacht ihre Reise nach Westen weiter fortgesetzt.«

»Wer ist Bruder Tanaide?« fragte Eadulf.

»Das ist der junge Mönch, der den Fremden aus Persien als Führer und Dolmetscher begleitet.«

»Was hat dieser Fremde aus Persien hier gewollt?«

»Er nennt sich Bruder Basil Nestorios und beherrscht Griechisch und Latein so gut wie seine Muttersprache. Er war sehr beredt und erzählte viel über sein Heimatland und seinen Glauben. Sehr betrüblich, daß er nur eine Nacht bei uns blieb und dann weiter zur Abtei von Colman weiterzog. Ihn wollt ihr doch sicher nicht sprechen, oder? Ich bin mir sicher, daß die beiden Brüder nichts mit der Angelegenheit zu tun haben, die euch hierherführt.«

Fidelma lächelte müde. »Bestimmt hast du recht. Vielleicht könnte uns aber etwas, das sie gesehen oder gehört haben, weiterhelfen. Was von einem Außenstehenden bemerkt und für unwichtig erklärt wird, kann am Ende durchaus wichtig sein.«

»Wo liegt die Abtei von Colman?« wollte Eadulf wissen.

»In Richtung Westen, an der Mündung des Maig-hin, dem Fluß der Ebene, am Meer«, erklärte der Verwalter. »Auf einem schnellen Pferd braucht man mindestens einen Tag bis dorthin.«

»Die Abtei befindet sich dort, wo das Gebiet des Volkes der Corco Duibhne beginnt«, fügte Fidelma hinzu. »Um hinzugelangen, muß man das Territorium der Ui Fidgente durchqueren.«

»Gehören die Corco Duibhne zum Königreich deines Bruders?«

»Ihr Kleinkönig Slébéne erkennt die Oberherrschaft von Cashel an. Doch das Volk ist wild und unabhängig und betet immer noch zu einer heidnischen Göttin mit Namen Duinech, die angeblich seine Mutter ist. Es heißt, sie hätte siebenmal ihre Jugend wiedergewonnen. Auf diese Weise wurde sie die Mutter der vielen weitverstreuten Stämme der Muscraige. Die Abtei von Colman liegt am Rande von Slébénes Land, das von einem bösen Kriegsherrn der Ui Fidgente überwacht wird. Er soll von sich behaupten, der Herr der Bergpässe zu sein. Ich halte es für besser, das Kleinkönigreich von Slébéne zu meiden.«

Bruder Madagan nickte zustimmend. Eadulf war offenbar recht erstaunt über das, was Fidelma gesagt hatte.

»Sein Königreich ist nicht gerade christlich zu nennen«, fuhr sie fort. »Das Land besteht aus einer langgestreckten Halbinsel, es ist bergig und unwegsam, und Slébénes Sitz liegt ganz abgeschieden am Ende der Halbinsel. Nur wenige wagen sich dorthin. Es heißt, dieser Ort sei böse.«