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Fidelma zog fragend eine Augenbraue hoch.

»Wieso?«

»Weil Forindain sprechen konnte, auch wenn Bruder Buite behauptet, daß er lispeln würde. Das Kind, das zur Burg kam, war stumm, wie Caol meint.«

»Und woraus hat Caol das geschlossen?«

Eadulf begriff nicht recht, worauf sie hinaus wollte.

»Das Kind zog eine schriftliche Mitteilung auf Birkenrinde hervor, deshalb nimmt Caol an, daß es stumm sei? Und das sollen wir glauben?« fragte Fidelma. »Daß man etwas glaubt, läßt es nicht zur Tatsache werden, wie ich soeben Bruder Buite erklärt habe.«

Eadulf begriff. »Hast du einen Grund zu vermuten, daß das Kind Caol hinters Licht geführt hat?« erkundigte sich Eadulf.

Sie schüttelte den Kopf. »Falls das Kind oder der Zwerg Teil des Plans waren, Sarait umzubringen oder unser Baby zu entführen, könnte es Caol etwas vorgemacht haben. Doch man sollte ohnehin nie etwas für bare Münze nehmen, ohne es überprüft zu haben. Das ist ein Grundsatz der Brehons.«

»Einer von Brehon Morann?« fragte Eadulf mit spitzer Zunge. »Ich weiß. Nun, damit kommen wir nicht weit. Dieser Aussätzige ist uns über die Straße nach Westen entwischt. Vielleicht ist er die Person, die Sarait die Nachricht überbracht hat, vielleicht auch nicht. Und vielleicht hat er mit dem Mord und der Entführung zu tun, vielleicht auch nicht. Was machen wir als nächstes?«

Aus dem dunklen Raum kam ein trockenes Husten. Sie hatten Bruder Madagan ganz vergessen.

»Wenn ich vielleicht etwas vorschlagen dürfte?« Der Verwalter trat auf sie zu. »Ich glaube, daß ihr als erstes eine Erfrischung zu euch nehmen und dann die Nacht hier verbringen solltet, ehe ihr weiterreitet. Es wird schon dunkel.«

Fidelma lächelte ihn erschöpft an.

»Eine gute Idee, Bruder Madagan. Heute können wir nicht mehr gut nachdenken, wir sind einfach zu müde. Wir werden uns stärken und uns zur Kontemplation zurückziehen.«

Bruder Madagan wandte sich zur Tür um.

»Ich werde euch einen Raum herrichten lassen«, sagte er. »Die Krieger, die euch begleiten, können im Schlafsaal für Gäste übernachten. Wollt ihr euch noch waschen? Bald wird die Glocke zum Abendessen läuten.« An der Tür zögerte er und drehte sich um. »Ich habe zufällig mitbekommen, daß ihr euch für einen Zwerg interessiert.«

»Für einen bestimmten Zwerg«, erwiderte Fidelma kurz. »Warum?«

Bruder Madagan machte eine etwas hilflose Geste.

»Vor ein paar Tagen zog eine Gruppe von druth durch die Stadt, darunter befanden sich auch Kleinwüchsige.«

»Drui?« erkundigte sich Eadulf. Er hatte das Wort nicht richtig verstanden und glaubte, daß der Verwalter Druiden gemeint hatte.

Bruder Madagan schüttelte den Kopf.

»Nein, druth - Narren, Jongleure und Spielmänner. Wandernde Spielleute, die mit Musik, Liedern, Geschichten und akrobatischen Kunststücken das Volk unterhalten.«

»Wann genau sind sie hier aufgetaucht?« wollte Fidelma wissen. »Vor dem Eintreffen der Pilger oder danach?«

»Oh, das war am Tag zuvor, glaube ich. Sie gaben abends eine Vorstellung in der Stadt und sind dann wieder aufgebrochen. Einer unserer Brüder war dort und erzählte mir, daß sie die Geschichte von Bebo und Iubdan gezeigt hätten, in der sie all ihre unterschiedlichen Talente unter Beweis stellen konnten.«

»Mit der Geschichte haben sie eine gute Wahl getroffen«, stimmte ihm Fidelma zu. »Doch die kleinwüchsige Person, die wir suchen, ist nach allem, was wir über sie erfahren haben, ein leprakranker Mönch.«

Bruder Madagan zuckte mit den Schultern. »Es war nur so ein Gedanke. Es hieß, daß sie weiter zum Schiffsberg wollten. Dort ist morgen Jahrmarkt. Das ist nicht weit von hier nach Westen.«

»Ich kenne den Ort. Ein entfernter Cousin von mir ist dort Stammesfürst. Ich danke dir für diesen Hinweis.«

Als sie später in ihrer Unterkunft waren, fragte Ea-dulf: »Was meintest du damit, daß die Geschichte von Bebo und Iubdan eine gute Wahl gewesen sei?«

Fidelma kämmte gerade ihr Haar und hielt inne.

»Es war gut, daß Zwerge diese Geschichte spielten. Das ist ein sehr altes Märchen. Iubdan war der König der Faylinn ...«

»Ich habe schon von vielen Völkern dieses Königreiches gehört, aber von den Faylinn noch nie«, unterbrach Eadulf sie.

»Wir nennen sie das kleine Volk, es sind kleinwüchsige Menschen, die in einer Parallelwelt leben. Die Geschichte ist folgende: Iubdan will nach Emain Macha, der Hauptstadt des Königreiches von Ulaidh reisen. Seine Frau Bebo soll ihn begleiten. Da fällt Iubdan dummerweise in den Haferbrei, der für das Frühstück des Königs von Ulaidh, Fergus mac Léide, zubereitet wurde. Es gelingt ihm nicht, aus der Schüssel herauszukommen, und er wird von Fergus gefangengenommen. Fergus aber verliebt sich in Bebo, die ihn anfleht, ihren Mann freizulassen. Bebo ist sehr hübsch, und so haben sie eine Affäre, während ihr Mann weiterhin eingesperrt bleibt. Bebo und Iubdan müssen ein Jahr und einen Tag lang bei Fergus ausharren, bis er ihnen unter einer Bedingung die Freiheit anbietet. Sie sollen ihm das geben, was Iubdan am meisten schätzt.«

»Was da wäre?« fragte Eadulf.

»Ein Paar Zauberschuhe, mit denen der König genauso leicht über Wasser laufen kann wie über Land.«

»Und haben sie ihre Freiheit wiedererlangt?«

»Ja, nach einem Jahr und einem Tag .«

Fidelmas Stimme brach ab. Nach einem Jahr und einem Tag. Sie fühlte sich unbehaglich, weil sie sofort an ihre Ehe denken mußte. Auch ihre Frist neigte sich dem Ende zu, und sie würde über ihre Zukunft mit Eadulf entscheiden müssen. Doch wie konnte sie unter den gegenwärtigen Umständen überhaupt eine Entscheidung treffen? Sie war ohnehin schon ganz verwirrt, was ihre Beziehung anging, und nun kam noch die Tragödie um Alchu hinzu.

Eadulf merkte nicht, wie melancholisch sie plötzlich war. Er sprach weiter.

»Mir ist aufgefallen, daß man Zwerge hier nicht nur als Narren und Spaßmacher betrachtet. Das ist in anderen Ländern nicht üblich.«

Fidelma riß sich zusammen und kämmte ihre roten Locken weiter. Sie versuchte, sich von ihren düsteren Gedanken zu lösen und sich auf Eadulfs Worte zu konzentrieren.

»Warum sollte man sie nicht als normale Menschen betrachten? Sind sie wirklich so anders? Zwei der alten Götter aus vorchristlichen Zeiten, die Kinder der Danu, waren Zwerge. Luchta war einer der drei großen Handwerker, die kunstvolle Schilde und Speere aus Holz anfertigen. Abcan, dessen Name >kleiner Zwerg< bedeutet, war einer der Dichter der Götter und Göttinnen. Er befuhr in einem eigenartigen metallbeschlagenen Boot den Eas Ruadh, den roten Katarakt, der sich in einem großen Fluß nördlich von hier befindet. Außerdem lebten kleinwüchsige Menschen meist als Poeten und Musiker an den Höfen großer Fürsten. Auch Fionn Mac Cumhail beschäftigte einen kleinwüchsigen Harfenisten, der Cnu Deireoil hieß. Er war sehr schön, hatte goldenes Haar und eine so liebliche Stimme, daß sie einen mit ihrem Gesang in den Schlaf wiegte. Menschen von kleiner Gestalt haben nicht unbedingt auch einen kleinen Verstand.«

Eadulf schwieg eine Weile, ging zum Fenster und blickte auf den dunklen Hof mit dem Kreuzgang. Einer der Brüder der Abtei zündete dort unten die Fackeln an, die in Eisenhaltern an den Mauern angebracht waren. Eadulf schaute zu dem düsteren Himmelsstück über dem Hof auf und seufzte.

»Der Monat von Cet Gaimred« - er benutzte den irischen Namen -, »und die Wolken sind so groß und dunkel, daß wir den ersten Wintermond nicht sehen können.« Auf einmal schüttelte es ihn. »Zu dieser Jahreszeit bin ich nie fröhlich.«

Fidelma blickte zu ihm hinüber.

»Man kann nicht bestreiten, daß die Dinge eine natürliche Ordnung haben. Vor der Wiedergeburt kommt immer eine Periode der Dunkelheit. Deshalb beginnt für uns das Jahr mit der Dunkelheit des Winters. In dieser Zeit können wir ausruhen und uns besinnen, so wie die Natur es macht, ehe sie sich leuchtend wieder neu erhebt zu einem einzigen Wachsen.«