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Eadulf drehte sich um und lächelte.

»Ich habe nie begriffen, warum euer Samhain-Fest den Anfang eines neuen Jahres darstellt.«

»Ist es nicht ganz natürlich, zu sitzen, sich auszuruhen und zu meditieren, ehe man aufsteht und aktiv wird? Die Felder ruhen, die Bäume ruhen, die Menschen ruhen sich in ihren Häusern aus und warten auf die ersten Zeichen des Frühlings. So wie ein Baby in dem dunklen Bauch der Mutter ruht und kräftig wird, bis es hinaus in die Welt kann.«

»Du willst doch damit nicht sagen, daß wir nichts als warten sollen, bis der Frühling beginnt.« Eadulf lehnte sich nun gegen das Fenster und fuhr sich mit einer Hand durch das Stirnhaar. »Sollen wir wirklich bis zu dem Fest, das den Zeitpunkt markiert, an dem die Mutterschafe Milch haben, nichts tun? Es gibt Zeiten, wo wir die Meditation meiden und uns diese Ruhe versagen müssen.«

Sobald er diese Worte gesagt hatte, wurde ihm klar, daß sie unangebracht gewesen waren. Es war ihm so vorgekommen, als sei Fidelma zusammengezuckt wie unter Schmerzen. Mit ausgestreckten Händen ging er rasch auf sie zu. Doch sie wich ihm aus und drehte den Kopf zur Seite. Wie angewurzelt blieb er stehen. Da erhob sie sich, wobei sie ihn streifte.

»Du hast recht, Eadulf. Jetzt ist nicht die Zeit zum Nichtstun.«

»Ich wollte nicht ...«

»Gleich wird die Glocke des Refektoriums läuten«, fiel sie ihm ins Wort und überging seinen verletzten und schuldbewußten Blick. »Es ist Zeit, daß wir entscheiden, was wir als nächstes tun werden.«

Eadulf räusperte sich und fragte sich, ob er ihr Verhalten tadeln sollte, doch dann ließ er die Hände sinken und zuckte mit der Schulter.

»Ich denke, daß wir nach Westen weiterreiten sollten in der Hoffnung, den kleinen Leprakranken einzuholen«, sagte Fidelma.

»Das wird das beste sein«, erwiderte Eadulf. »Aber wissen wir wirklich, wohin er wollte? Selbst wenn wir annehmen, daß er der eigenartige Bote für Sarait war. Wie wahrscheinlich ist es, daß wir diesen Forindain finden, wenn wir nur ungefähr seine Wegrichtung kennen? Es ist, als müßten wir eine Nadel im Heuhaufen suchen. Was ist, wenn er nur vorgegeben hat, nach Westen weiterzuziehen, wenn er in Wirklichkeit nach Süden wollte oder nach Norden oder Osten? Es ist schon richtig, daß wir jeder Spur nachgehen müssen, ganz gleich wie vage sie ist. Allerdings könnten wir dabei auch kostbare Zeit vergeuden.«

Fidelma war nachdenklich. »Gibt es eine andere Möglichkeit?«

»Ich glaube, wir sollten uns eingestehen, daß diese Spur recht aussichtslos ist.«

Fidelma zog die Nase kraus. »Zu allem, was wir tun, gibt es eine Alternative. Das Leben wird dadurch bestimmt, daß es immer zwei verschiedene Wege gibt.«

»Was denn noch?« wollte Eadulf wissen. Vielleicht reagierte er ein wenig zu aggressiv, weil er sich verletzt fühlte.

Da läutete die Glocke des Refektoriums und rief die Mönche zum Essen zusammen. Fidelma ging, ohne zu antworten, zur Tür.

»Augenblick mal!« rief Eadulf ihr hinterher.

Fidelma drehte sich zu ihm um, da sie sein wütender Ton überraschte.

»Ich glaube«, sagte Eadulf kühl, »daß du mir sagen solltest, was du vorhast, ehe wir zu den anderen rausgehen. Du solltest es mir sagen, auch wenn du vor mir als deinem Ehemann keinen Respekt hast. Tu es wenigstens, weil ich Alchus Vater bin, der genauso mein Sohn ist wie deiner.«

Fidelma lief rot an. Einen Moment lang sagte sie gar nichts. Eine eigenartige Mischung aus Schuld und Zorn wallte in ihr auf. Doch auf einmal überwog das Schuldgefühl.

Ihr war klargeworden, daß sie einen Fehler gemacht hatte. Sie hatte Eadulfs Zustimmung zu allem, was sie tat, einfach als selbstverständlich vorausgesetzt. Ihre Schuldgefühle hatte sie hinter Arroganz verborgen. Eadulf hatte recht. Hatte sie seine Gutmütigkeit zu sehr ausgenutzt? Sie starrte in sein angespanntes Gesicht. Es kam ihr fremd vor, es war kalt und ungehalten. So beherrscht und distanziert hatte sie ihn noch nie zuvor erlebt.

»Eadulf . «, begann sie, doch mehr vermochte sie nicht zu sagen.

Er wartete einen Augenblick.

»Nun?« fragte er schroff. »Was hast du vor? Verrätst du es mir oder ziehst du es vor, Entscheidungen zu treffen, ohne mich zu informieren? Mach dir nur keine Gedanken. Ich bin schon daran gewöhnt, daß man sich in Cashel hinter meinem Rücken über mich lustig macht, grinst und respektlos mit mir umgeht. Da ist wieder dieser Ausländer! Es ist schon richtig, daß er wie ein Diener behandelt wird, denn er ist der Ehe mit unserer Prinzessin nicht würdig.«

Fidelma starrte ihn erschrocken an.

»Wer sagt das über dich?« fragte sie nach einer Weile.

Eadulf grinste höhnisch.

»Behauptest du, daß du nicht merkst, was in Cashel vor sich geht? Bist du taub, daß du das Getuschel auf den Fluren der Burg deines Bruders nicht hörst? Es ist ganz offensichtlich, daß ich deiner nicht wert bin, und du hast häufig bewiesen, daß du ganz dieser Meinung bist. Man hält mich für ...«

Er fand keine weiteren Worte mehr für die monatelang angestaute Frustration und den Zorn in ihm.

Fidelma stand regungslos da und betrachtete ihn. Auf einmal spürte sie, daß er ein Fremder für sie geworden war. Sie war über seine unterdrückten Gefühle entsetzt. Er starrte sie an. Sein Mund war zusammengepreßt. Er wartete auf ein Zeichen von ihr. Schließlich seufzte sie tief.

»Ich wollte vorschlagen, nach Westen weiterzureiten bis wir nach Cnoc Loinge kommen, zum Schiffsberg. Vielleicht erfahren wir dort mehr über den Zwerg Forindain«, sagte sie leise.

»Einverstanden«, erwiderte Eadulf mit angespannter Stimme.

Er lief rasch an ihr vorbei. Verwirrt blickte sie ihm nach.

Kapitel 6

Am nächsten Vormittag ritten Fidelma und ihr kleiner Trupp Richtung Westen. Seit den harschen Worten am Vorabend hatte sie kaum mit Eadulf gesprochen. Das Schweigen wurde langsam unangenehm. Capa hatte sie nur mitgeteilt: »Ich habe vor, nach Cnoc Loinge zu reiten, zum Schiffsberg. Wir werden ein paar Stunden unterwegs sein.«

Capa hatte dagegen protestiert.

»Das ist doch eine tote Gegend, Lady Fidelma.«

»Mit Ausnahme des Jahrmarkts, den ich gern besuchen möchte.«

Capa war überrascht davon, sagte aber nichts weiter. Nach einer Weile besann sich Fidelma jedoch und weihte ihn und seine Männer in die Gründe ihrer Reise nach Cnoc Loinge ein.

Capa war ganz offensichtlich nicht begeistert.

»Du meinst also, daß dieser Zwerg Forindain meine Schwägerin aus der Burg gelockt hat? Ein Aussätziger? Und wir reiten jetzt nach Cnoc Loinge wegen der Spielleute, unter denen sich möglicherweise Fo-rindain versteckt hält? Das ist doch pure Zeitverschwendung.«

»Dennoch reiten wir aus diesem Grund dorthin«, verkündete Fidelma mit entschlossener Stimme.

Capa blickte zu Eadulf, der bisher geschwiegen hatte. Ihm war sofort aufgefallen, daß zwischen Eadulf und Fidelma etwas nicht stimmte. Er schaute beide besorgt an, schwieg aber lieber.

Der Berg mit der unverwechselbaren Silhouette eines Schiffs war kaum fünf Kilometer von der Abtei von Imleach entfernt. Vor ihnen lag ein angenehmer und leichter Ritt durch eine waldreiche Landschaft. Endlich näherten sie sich der Siedlung, die am Fuße des langen, schmalen Berges lag. Kurz vor dem Ort bemerkte Eadulf, daß sich die Straße immer mehr füllte. Bald war sie voller Leute, die zu Fuß, zu Pferde oder mit Eselfuhrwerken zum Jahrmarkt ström-ten. Als sie dort eintrafen, war das Fest schon im Gange.

Neben den Holzbauten des Dorfes waren auf einer großen Wiesenfläche, der faithche, Stände und Zelte errichtet. Die faithche war für solche Jahrmärkte und Feste vorgesehen. Die kleinen Jahrmärkte des Landes unterstanden den jeweiligen Stammesfürsten, die bestimmte Leute vorher anwiesen, das Gelände von Unrat und Gestrüpp zu befreien und es mit Zäunen und Dämmen einzugrenzen. Außerdem gab es eine Extrafläche für sportliche Wettkämpfe wie Springen und Laufen, aber auch für Waffenspiele und Ringen. Auf einer Seite hatte man ein cluichimag hergerichtet - eine Grasfläche, auf der das alte Spiel caman, ein Schlagballspiel mit Stöcken, gespielt werden sollte. Ein überschaubarer Jahrmarkt wie dieser wurde oirecht genannt. Die größeren nannte man Feis.