Verächtlich schnaubte Eadulf.
»Ich habe von deiner Wertschätzung gesprochen. Ich jedoch bedanke mich nicht für etwas, was eine ganz natürliche Reaktion ist. Petran und ich wissen nur zu gut, daß unsere Ansichten oftmals unversöhnlich sind. Ich muß daher feststellen, daß ich seine Worte für scheinheilig und unaufrichtig halte.«
Bischof Petran trat mit weit aufgerissenen Augen einen Schritt zurück. Er war so aufgebracht, daß er tiefrot anlief.
»Ich weiß nicht, wie dein Volk mit seinen Bischöfen umgeht, Sachse«, sagte er kalt. »Aber ich weiß, daß dein Volk vor ungefähr einer Generation noch nichts vom neuen Glauben gehört hatte, ganz zu schweigen von Bischöfen, die das Volk leiten. Mein Volk brachte dem deinen den Glauben, vielleicht befindest du dich ja immer noch im Prozeß des Lernens. In diesem Land werden Bischöfe respektvoll behandelt.«
Eadulfs Augen sprühten geradezu Funken. Auch sein Gesicht glühte vor Wut.
»Respekt ist etwas, was sich ein Sachse, ob er nun Bischof oder König ist, erst verdienen muß. Man hat nicht einfach ein Anrecht darauf. Ich habe genug Zeit in Rom und Gallien verbracht, um zu wissen, daß du eine sehr engstirnige Auslegung des neuen Glaubens vertrittst. Ich habe Rom auf der großen Synode in Whitby unterstützt. Nicht einmal der Bischof von Rom, der Vater unseres Glaubens, predigt oder vertritt die Ansichten, die du lehrst.«
Bischof Petran lächelte zwar, aber ganz ohne jede Herzlichkeit.
»Ich schätze, daß du dich auf meine Ansichten über den Zölibat beziehst, der meiner Meinung nach der einzig wahre Weg zu Gott ist, oder?« fragte er. »In diesem Fall sollte ich dich daran erinnern, was der große Gregor von Rom einmal sagte, nämlich daß jegliche sexuelle Begierde an sich Sünde ist.«
Eadulf lachte kurz auf.
»Damit meint er wohl, daß jeder sexuellen Begierde das Böse innewohnt. Doch wie kann das sein? Hat nicht Gott Mann und Frau erschaffen, damit sie sich fortpflanzen? Behauptest du, daß Gott etwas geschaffen hat, das grundsätzlich böse ist? Etwas, das sündig ist?«
Bischof Petrans Miene verdüsterte sich.
»Ich stelle die Worte eines bedeutenden Heiligen nicht in Frage. Ein Wort Gregors des Großen ist Gottes unfehlbares Wort. Er kann nicht angezweifelt werden.«
»Dann verdammst du wohl den großen Abt und Missionar Columbanus, der sich über ihn hinweggesetzt hat?« erwiderte Eadulf. »Columbanus hielt sich an die kirchlichen Bräuche und Lehren der fünf Königreiche von Éireann. Als er von Gregor angegriffen wurde, verteidigte er in seiner Schrift diese Lehren. Meinst du also, daß sich der Glaube solchen Debatten und Auseinandersetzungen verschließen sollte?«
»Columbanus war ein Mann aus Laigin, der sich besser mit seinem Amt als Abt von Bangor im nördlichen Königreich hätte zufriedengeben sollen. Sein Stolz in der Debatte mit Gregor war sündig«, entgeg-nete Bischof Petran wütend.
Eadulf schüttelte traurig den Kopf. »Deine Ansichten sind voller Vorurteile. Das klingt, als seist du bigott.«
Bischof Petran verzog den Mund zu einem häßlichen Grinsen. »Heraklit schreibt, daß Bigotterie eine heilige Krankheit ist.«
»Und daß Vorurteile die Kinder der Ignoranz sind«, konterte Eadulf.
»Und Aristoteles erklärte, daß einige Leute sich der Wahrheit ihrer Ansichten so sicher sind wie andere überzeugt sind von dem, was sie wissen«, griff nun Fidelma mit erhobener Stimme ein und versuchte, die Auseinandersetzung zu schlichten.
»Als ich nach Rom reiste«, sprach Eadulf weiter, ohne auf sie einzugehen, »da erfuhr ich, daß auch das Volk von Christus selbst in Judäa glaubte, daß die Ehe das markanteste Sinnbild der Beziehung Gottes zu seinem Volk ist, daß Ehe und Familie im Zentrum des Lebens stehen und daß der Zölibat keine religiöse Begründung hat. Nur sehr wenige Bischöfe von Rom haben bisher behauptet, daß der einzige Weg zu Gott im Zölibat liege.«
Bischof Petrans Blick wurde noch finsterer.
»Der Glaube, die Bischofskongregation, akzeptiert mehr und mehr den Standpunkt, daß man größere Hingabe an Gott und den Sieg über das Böse in der Welt nur durch ein enthaltsames Leben erlangt. Diejenigen Mönche und Nonnen, die das erreichen, bekommen im Jenseits einen Platz, den man sonst nur durch ein großes Martyrium erhält.«
»Ich habe weder die Absicht, ein Martyrium zu erleiden noch enthaltsam zu leben«, erklärte Eadulf. »Nirgendwo steht geschrieben, Gott oder Christus hätten festgelegt, daß jene, die dem Glauben folgen, das normale Leben aufgeben müssen. Auch diejenigen, die vor wenigen Jahrhunderten damit begannen, sexuelle Abstinenz zu üben, als sei das eine Berufung, taten es mit der Überzeugung, daß es nur für die kurze Übergangszeit bis zum Kommen des Königreiches Christi sein sollte.«
Der Bischof schüttelte aufgebracht den Kopf.
»Ich habe meinen Glauben, Sachse. Ich weiß, daß ich recht habe. Ich will nur die Wahrheit verteidigen.« Plötzlich streckte er seine zu Fäusten geballten Hände vor. »Und in diesen Händen halte ich die Wahrheit fest und beschütze sie.«
»Dein Griff könnte sie umbringen, Petran«, warf Fidelma leise ein. »Gestehen wir vorerst jedem von euch seine Wahrheit zu. Es liegen wichtigere Dinge an. Petran, vielen Dank für deine Gebete und deine guten Wünsche.«
Mit einem bedeutungsvollen Blick zu Eadulf drehte sie sich um und ging los. Nach kurzem Zögern schloß sich Eadulf ihr an.
»Was fällt dir ein, Bischof Petran auf so unverschämte Weise anzugreifen?« zischte sie ihn an, als sie sich wieder auf dem Gang zu ihren Gemächern befanden. Da bemerkten sie einen Schatten an ihrer Tür. Es war Gorman, der Krieger.
»Suchst du uns, Gorman?« fragte Fidelma.
Der Krieger wirkte verlegen.
»Nein, Lady. Ich suche Capa. Er wollte die Standarte des Königs holen. Ich glaube, der König wartet auf ihn.«
Fidelma zeigte weiter den Flur entlang.
»Der Raum des techtaire, der Wappenraum mit den Standarten, liegt am Ende dieses Ganges. Die Tür zu deiner Linken. Dort sollte Capa sein.«
»Vielen Dank, Lady«, murmelte der Krieger und hob zum Gruß die Hand, ehe er sich in Bewegung setzte.
Eadulf öffnete ihre Tür und ließ Fidelma eintreten. Er war immer noch ganz aufgewühlt wegen des Streits.
»Dieser Heuchler!« brummte er. »Wenn er hinter der Entführung von Alchu steckt, soll er wissen, daß ich seine Falschheit durchschaue.«
»Wenn er wirklich dahinterstecken sollte, so weiß er jetzt, wie sehr du ihn verabscheust«, tadelte ihn Fidelma verärgert.
Eine Magd trat ein und legte Holz im Kamin nach. Rasch stand sie wieder auf und verneigte sich vor Fidelma. »Ich habe gerade hier saubergemacht. Brauchst du sonst noch etwas, Lady Fidelma?« fragte sie.
»Einen Krug Wein«, rief Eadulf, ehe Fidelma etwas erwidern konnte.
Die Magd sah Fidelma an. Die machte eine Geste, die das Mädchen als Zustimmung deutete. Als sie verschwunden war, ließ sich Eadulf auf den Stuhl vor dem Feuer fallen und starrte trübsinnig in die Flammen.
»Manchmal würde ich viel darum geben, ein solches Leben zu führen, wie es Bischof Petran verteidigt«, murmelte er.
Fidelma starrte ihn erstaunt an.
»Eadulf, was meinst du damit? Ich muß gestehen, manchmal begreife ich deine Gedankengänge nicht.«
»Bischof Petran glaubt an die wörtliche Auslegung der Heiligen Schrift, wie alle wissen - dann meint er doch sicher, daß wir uns an die Briefe des Paulus halten sollten, oder?« erwiderte Eadulf düster. »Die an die Gemeinde von Ephesus zum Beispiel, in denen es heißt, daß Frauen dem Manne wie Unserem Herrn untertan sein sollen, >denn der Mann ist des Weibes Haupt, gleichwie auch Christus das Haupt der Ge-meinde, die er als seinen Leib erlöst hat. Aber wie nun die Gemeinde ist Christus Untertan, so seien es auch die Frauen ihren Männern in allen Dingen ...< Doch die Gesetze deines Landes scheinen die Heilige Schrift zu leugnen. Hier sind die Frauen nicht ihren Männern untertan, sondern eher andersherum.«