Fidelma zog wütend die Augenbrauen zusammen.
»Du kannst manchmal wirklich gefühllos sein, Eadulf. In diesem Hause ist keine Frau jemandem untertan, und niemand ist ihr Herr. Und kein Mann ist seiner Frau untertan.«
Eadulf lachte höhnisch.
»Außer wenn sich eine Frau einen Fremden zum Manne nimmt. Dann wird er von seiner Frau und ihrer Familie gerade so geduldet, ohne Rechte zu haben, ja selbst ohne daß man ihm Respekt entgegenbringt. Ich kann nicht einmal eine Dienerin bitten, mir Wein zu bringen, ohne daß sie um deine Zustimmung ersucht.«
Fidelma errötete ein wenig. Da war etwas Wahres dran. Doch so verhielten sich die Leute hier nun einmal. Wenn man über lange Zeit unter solchen Umständen lebte, wurde man offenbar so aggressiv.
»Eadulf, so hast du noch nie mit mir gesprochen«, sagte sie abwehrend.
»Vielleicht bin ich immer zu unterwürfig gewesen. Ja, es ist sicher mein größter Fehler, daß ich nicht schon früher etwas gesagt habe.«
»Das glaubst du doch nicht wirklich, Eadulf. Ich kenne dich zu gut, als daß ich mit vorstellen kann, daß du, was Paulus von Tarsus zu Beginn des ersten Jahrhunderts über die Gehorsamspflicht der Frau gegenüber dem Mann sagte, wortwörtlich nimmst.«
Eadulfs Trotz wich plötzlich einer Traurigkeit.
»Fidelma, ich bin ein Sachse und kein Éireannach. Man hat mich gelehrt, daß meine Vorfahren der Lende Wotans entstammen, daß niemand so groß wie wir ist und kein anderer Sachse so bedeutend ist wie die Sachsen des Südvolks. Ganze Völker erzittern vor unserem Wort. Wir stammen vom Geschlecht Wegdaegs ab, dem Sohn Wotans, und von Uffa, der die Britannier aus dem Land gejagt hat, das wir dann in Besitz nahmen!«
Fidelma blickte ihn erstaunt an. Von sächsischen Fürsten und Kriegern hatte sie schon solch verherrlichende Reden über ihr Volk gehört, doch nie zuvor aus Eadulfs Mund. Sie wußte nicht, was sie darauf antworten sollte.
Eadulf sah sie mit verzweifeltem Blick an.
»Ich will damit sagen, daß ich, durchdrungen von einem solchen Geist, immer versucht habe, das Kleid der Nächstenliebe und Brüderlichkeit anzulegen, die das Kennzeichen des christlichen Glaubens sind. Als ich gerade das Mannesalter erreicht hatte, war Fursa, ein Wandermönch aus deinem Volk, mein Lehrer. Ich bin zwar nicht mit dem christlichen Glauben großgeworden, aber ich habe an meinem zwanzigsten Geburtstag den alten Göttern des Südvolks abgeschworen. Ich war nach der Erbfolge gerefa, Friedensrichter des Thans von Seaxmund’s Ham. Ich bin stolz, Fidelma. Ich habe Selbstachtung. Ich besitze die ganze Eitelkeit, die meinem Volk eigen ist. Es ist manchmal schwer für mich zu begreifen, daß ich hier lebe. Ich bin ein Fremder in einem fremden Land.«
Fidelma hörte an seiner Stimme, daß er wirklich litt.
»Ich dachte, du magst mein Land«, sagte sie.
»So ist es auch, sonst hätte ich kaum so lange hier aushalten können. Ich kam her, um die Grundsätze des christlichen Glaubens zu studieren, lange bevor ich dich traf. Doch ich konnte mich nie gänzlich von meiner Heimat und meiner Kultur lösen. Vor allem während des letzten Jahres bin ich oft daran erinnert worden, was mir fehlt.«
»Im letzten Jahr? Seit wir verheiratet sind? Seit der kleine Alchu geboren ist?«
Eadulf hob verlegen die Arme.
»Willst du in deine Heimat zurückkehren?«
»Ich weiß nicht. Ich denke schon.«
»Dort könnte ich nie und nimmer auf Dauer sein, Eadulf. Deshalb habe ich stets versucht, unsere Beziehung mit Abstand zu leben.«
»Ich weiß.«
Sie zögerte, dann ging sie einen Schritt auf ihn zu.
»Eadulf ...«, fing sie an.
Da klopfte es an der Tür, und die Magd kehrte mit einem Krug gallischen Weins und Bechern aus Ton zurück. Nun war alle Intimität dahin.
»Möchtest du, daß ich weiter saubermache, Lady Fidelma?« fragte die Frau. »Ich hatte gerade erst damit begonnen, als ihr eintratet.«
Fidelma schüttelte den Kopf. Sie wandte sich zur Seite, da erblickte sie ein Kleidungsstück, das aus einer kleinen Holztruhe herausragte. Die Truhe stand neben Alchus Kinderbett. Sie zitterte leicht und wollte nicht zu nah herantreten.
»Räum das richtig fort, ehe du gehst«, meinte sie zur Dienerin. »Ich mag es nicht, wenn es unaufgeräumt ist. Wenn du diese Gemächer schon säuberst, so sorge dafür, daß alles richtig fortgeräumt ist.«
Die Dienerin wollte etwas sagen, zuckte dann aber nur mit den Achseln und befolgte die Anweisung. Als sie den Raum verlassen hatte, herrschte Schweigen.
Eadulf schenkte sich reichlich Wein ein. Seine Bewegungen verrieten, daß er immer noch wütend war.
Fidelma sprach nun wohlüberlegt und gefaßt.
»Eadulf, wir beide sind emotional sehr aufgewühlt und unsicher. Wir befinden uns mitten in einer Krise. Wenn wir sie überstehen wollen, muß Friede zwischen uns herrschen.«
Eadulf schaute sie an. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Er zuckte mit der Schulter.
»Ich kann so nicht weitermachen, Fidelma«, sagte er schlicht. »Als wir noch nicht miteinander verheiratet waren, habe ich jene Antipathie nicht gespürt, die mir jetzt von den Menschen, die dich umgeben, entgegengebracht wird. Ich kann es nicht ertragen, wie dein Tun und deine ganze Art mir gegenüber diese Feindseligkeit zu entschuldigen scheinen.«
Fidelma dachte eine Weile nach, ehe sie antwortete.
»Meinen Charakter kann ich nicht ändern. Eine Weile habe ich den Entschluß über die Gefühle, die wir füreinander hegten, hinausgezögert, wie du wohl weißt. Ich wußte, wenn du hier mit mir in Cashel leben würdest, würde man dich vor unserem Gesetz wie einen Ausländer behandeln, wie einen landlosen Ausländer mit begrenzten Rechten. Es gibt Entscheidungen, die ich vor unserem Gesetz treffen darf und du nicht.«
»Dein Gesetz ist nicht das meine, Fidelma. Da gibt es noch viel zu bedenken, was die Zukunft betrifft.«
»Herrscht zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem Alchu wieder bei uns ist, Friede zwischen uns?« fragte sie leise.
Eadulf dachte einen Moment nach.
»So soll Friede sein«, verkündete er schließlich. »Sobald Alchu wieder sicher bei uns ist und die Schuldigen gefunden sind, werden wir weiterreden. Absit invidia«, fügte er hinzu. »Böse Absichten mögen fern sein.«
Fidelma lächelte traurig. »Mox nox in rem«, entgeg-nete sie ernst. »Die Sache mag eine Weile ruhen.«
»Was können wir tun, bis uns die Entführer ein Zeichen von Alchu geben?«
»Ich muß einige Nachforschungen anstellen über einen gewissen grünen Seidenumhang, erinnerst du dich?« fragte Fidelma. »Und das werde ich jetzt tun.« Eadulf wollte sie begleiten, doch sie schüttelte rasch den Kopf. »Diesmal werde ich allein gehen. Es handelt sich um etwas rein Persönliches.«
Eadulf war besorgt. »Wo willst du hin? Ich sollte es wissen, falls dir außerhalb dieser Mauern Gefahr droht.«
»Ich glaube nicht, daß es für mich gefährlich wird, Eadulf. Sonst würde ich es dir sagen. In diese Sache kann ich niemanden einweihen, falls ich einen Fehler machen sollte. Aber ich kann dir versichern: ich werde mich nicht außerhalb der Stadtmauern aufhalten und ich werde bald zurück sein.«
Eadulf wollte sich nicht damit zufriedengeben.
»Ich schwöre dir, Eadulf«, fuhr sie fort, »sobald ich zurück bin, werden wir etwas essen, und ich werde dir berichten, wo mich mein Verdacht hingeführt hat.«
Eadulf wußte, daß er das so akzeptieren mußte.
Kapitel 9
Fidelma verließ allein die Burg, obwohl die Wachposten am Tor sie davon abhalten wollten und darauf bestanden, ihr angesichts der Bedrohung durch die Ui Fidgente einen Krieger mitzugeben. Sie ritt den Hügel hinab in die Stadt. Die Dämmerung war angebrochen, ein dünner Nebelschleier erhob sich. Alles wirkte düster und kalt. Sie ritt über den beinahe menschenleeren Marktplatz. Am anderen Ende befand sich das Gasthaus, an dessen Tür die Bekanntmachung für die Entführer Alchus hing. Sie war am Türpfosten angemacht und wurde von einer Laterne beleuchtet. Ob auf dem Land oder in der Stadt, an jedem Gasthof brannte bei Einbruch der Nacht eine Laterne. Fidelma ging davon aus, daß Cerball seinen Auftrag ausgeführt hatte und Capa nun überall die Bekanntmachung anbrachte.