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Musik und Gelächter drangen aus dem Gasthaus.

Der Lärm kam ihr so unbeschwert und überschwenglich vor. Plötzlich dachte sie, daß sie Eadulf lieber in ihr Vorhaben einweihen sollte. Sie bemerkte zwei oder drei ältere Kinder, die sicher auf ihre Eltern warteten, die sich drinnen aufhielten. Sie schienen im Lichtschein der Laterne etwas zu spielen.

»Würde sich einer von euch gern einen pingm verdienen, indem er eine Nachricht zur Burg bringt?« fragte sie die Kinder.

Ein größerer Junge sah sie an.

»Nur einen pingm?« protestierte er. »Das letztemal war es einen screpall wert.«

Fidelma blickte ihn überrascht an und sagte: »Das letztemal?«

»Du hast mich schon einmal gebeten, eine Nachricht zur Burg zu bringen, da hast du mir einen screpall angeboten. Das war erst letzte Woche.«

»Bist du sicher, daß ich es war?« fragte Fidelma.

»Nun«, sagte der Junge zögernd und neigte den Kopf zur Seite, »es war eine Frau in einem feinen Umhang. Sie stand im Schatten an der Ecke des Gasthauses.«

»Aber du hast den Auftrag nicht angenommen?«

»Nein. Ich wollte es gerade tun, da trat mein Vater aus dem Gasthaus. Da ist er auch jetzt drin. Ich mußte ihn nach Hause bringen. Zu viel von dem corma.«

Seine Gefährten lachten, aber dem Jungen machte das nichts aus.

Fidelma stimmte diese Neuigkeit zufrieden, wenngleich sie sie auch aufwühlte. Nun war endlich die Frage beantwortet, die sie so lange bewegt hatte: Wieso hatte die fremde Frau ausgerechnet dem Zwerg die Nachricht anvertraut? Soeben war das Rätsel gelöst worden - es war einfach purer Zufall gewesen. Die geheimnisvolle Frau hatte auf irgend jemanden gewartet, der keine Fragen stellen würde. Sie hatte es mit dem Jungen versucht, da er aber verhindert war, hatte sie den Zwerg angesprochen.

»Und überhaupt«, sagte der Junge, »ich mache keine Botengänge für weniger, als du mir letzte Woche geben wolltest.«

Fidelma warf dem Jungen wortlos eine kleine bron-zefarbene Münze hin. Nachdenklich ließ sie ihr Pferd lostraben. Als sie sich dem Haus am Rand der Stadt näherte, grübelte sie immer noch. Das Haus stand ein wenig von den anderen entfernt, war mittelgroß und verfügte über ein kleines Nebengebäude und einen Stall. Inzwischen war es ganz dunkel, doch die Wärme, die sich in der Stadt gehalten hatte, hinderte den Nebel daran, weiter vorzudringen.

Fidelma fuhr aus ihren Gedanken auf und brachte ihr Pferd zum Stehen. Sie erkannte die dunklen Umrisse eines Pferdes, das am Haus angebunden war. Da ging die Tür auf. Über dem Vorbau hing eine Laterne, so konnte sie den großen Krieger mit den breiten Schultern und dem schwarzen Haar erkennen. Es war Gorman. Er hielt eine Weile die Hand der Frau, die neben ihm auf der Türschwelle stand.

»Paß auf dich auf, Gorman«, sagte die Frau. »Tu nichts Voreiliges.«

Der Krieger erwiderte etwas, doch Fidelma konnte es nicht hören. Dann beugte er sich vor und umarmte die Frau vertraut, ehe er auf sein Pferd stieg und in der Nacht verschwand. Glücklicherweise ritt er nicht auf dem Weg zurück in die Stadt, auf dem sich Fidelma befand. Sie wartete eine Weile und trieb dann ihr Pferd weiter zum Haus voran. Dort ließ sie sich von dessen Rücken gleiten und band die Zügel um den Pfosten bei der Tür.

Die Holzbalken des Vorbaus knackten laut, als sie sie betrat. Die Tür flog auf.

»Gorman, hast du ...«

Die Frau verstummte erschrocken, als sie Fidelma erblickte.

»Guten Abend, Della.«

Der Schreck wich vom Gesicht der Frau, nun lächelte sie. Sie war in den Vierzigern, doch ihr Äußeres wirkte noch jung, ihr volles Haar schimmerte immer noch golden. Sie trug ein enganliegendes Kleid, das ihre hübsche Figur betonte. Ihre Hüften waren schmal geblieben, ihre Arme wohlgeformt.

Fidelma nahm die Hände der Frau, die diese ihr zur Begrüßung reichte.

»Fidelma! Wie schön, dich zu sehen.«

»Es ist schon lange her, Della«, erwiderte Fidelma.

Della blickte ihr tief in die Augen. Darin stand Mitgefühl.

»Ich habe von deinem Kummer gehört. Gibt es irgendwelche Neuigkeiten von Alchu?«

Fidelma schüttelte den Kopf. Della trat zur Seite und ließ sie eintreten.

»Nimm Platz. Dort, dicht neben dem Feuer, denn es ist sehr kühl. Etwas zu trinken? Ich habe corma und Holundersekt.«

Fidelma nahm Platz und sagte, daß sie den Holundersekt, ein süßes Getränk aus den Blüten des trom, des Holunderbusches, probieren wollte. Della brachte ihr einen Becher voll und ließ sich ebenfalls nieder.

»Dein Unglück betrübt mich sehr, ebenso wie der Verlust meiner Freundin.«

Fidelma verbarg nicht, wie sehr sie diese Äußerung überraschte. »Deiner Freundin?«

»Sarait.«

»Ich wußte nicht, daß du Sarait gekannt hast.«

Della runzelte kurz die Stirn. »Ich dachte, daß du mich deshalb aufsuchst.«

Fidelma schüttelte den Kopf. »Der Grund meines Besuchs kann warten. Erzähl mir mehr von dir und Sarait. Wann seid ihr Freundinnen geworden?«

»Oh, nachdem ihr Mann in der Schlacht umgekommen war ... oder vielmehr umgebracht worden war.«

»So, zu dir sind also auch die Gerüchte über seinen Tod in Cnoc Äine gedrungen. Von wem hast du davon gehört?«

»Von Sarait persönlich.«

»Sie wußte, daß er ermordet wurde?«

»Das hat sie so genau nie formulieren wollen . Ich werde dir sagen, was ich weiß. Sarait war immer freundlich zu mir, auch als ich eine bé-tâide war, eine Prostituierte. Ihre Schwester Gobnat war viel zu hochnäsig und korrekt dazu. Sie hat mich immer übergangen. Das macht sie auch heute noch. Aber Sarait war eine nette und freundliche Seele. Einige Monate, nachdem ihr Mann ermordet worden war, kam sie zu mir. Ihr ging es ganz elend. Sie sah aus, als sei sie geschlagen worden.«

Fidelma lehnte sich erstaunt vor.

»Du meinst, daß man sie körperlich mißhandelt hatte?«

»Ihr Körper trug viele blaue Flecken. Sie kam zu mir, weil sie Rat von jemandem wollte, der schon das Schlimmste und das Schönste erlebt hatte, was ein Mann bieten kann.«

»Hat sie dir gesagt, wer sie so zugerichtet hatte?«

»Leider nicht. Es war jemand, der in sie verliebt war, doch sie fühlte sich von ihm abgestoßen und glaubte, derjenige hätte ihren Mann Callada auf dem Gewissen. Er versuchte, sie mit allen Mitteln zu gewinnen. Eines Tages hat er sie vergewaltigt. Sie hat sich gewehrt, aber er war zu stark.«

Verwundert lehnte sich Fidelma wieder zurück.

»Wenn der Mann ihren Gatten bei Cnoc Äine ermordet hat, dann muß man ihn hier in Cashel kennen.«

»Sie verriet nicht, wer es war«, wiederholte Della. »Aber die Vergewaltigung hat sie sehr mitgenommen.«

»Forcor ist ein scheußliches Verbrechen.«

Vor dem Gesetz gab es zwei Arten von Vergewaltigung. Forcor war die Vergewaltigung unter Zwang und mit köperlicher Gewalt, während sleth alle anderen Situationen einschloß. Zu sleth kam es vor allem bei Trunkenheit. Geschlechtsverkehr mit einer betrunkenen Frau, die sich nicht wehren konnte, wurde genauso streng geahndet wie eine gewaltsame Vergewaltigung.

»Sie wollte mir den Namen des Mannes nicht verraten, aber sie wollte sich jemandem anvertrauen, ohne Vorwürfe und Schuldzuweisungen hören zu müssen. So wurden wir Freundinnen, und von da ist sie häufig zu einem Becher Met und einem Schwatz vorbeigekommen. Doch was kann ich für dich tun, Lady Fidelma? Du besuchst mich nicht gerade oft. Geht es um dein Kind?«