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»Es wird schon dunkel, ich glaube, die Flut wird bald einsetzen«, sagte Basil Nestorios zweifelnd.

»Dann wollen wir nicht länger hier herumstehen«, rief Eadulf. »Folge mir.«

Vorsichtig schlich er durch den schmalen Gang und sah sich nach möglichen Ausgängen um. Nach einer Weile blieb er stehen.

»Hier ist eine kleine Tür: Ich glaube, sie führt auf den Hof. Riegel und Schlösser sehe ich keine. Bist du bereit?«

Der Arzt nickte rasch.

Eadulf trat auf die Tür zu, die einen Metallring aufwies, mit dem man einen Schnappriegel hochziehen konnte. Er streckte die Hand vorsichtig danach aus. Ganz leise öffnete sich der Schnapper. Behutsam drehte er weiter, so daß draußen niemand ein Geräusch wahrnehmen konnte. Er spähte hinaus und seufzte leise.

Die Tür führte in der Tat auf den Innenhof hinaus. Er konnte sogar das hohe Holztor sehen, durch das man aus der Turmfestung nach draußen gelangte. Leise zog er die Tür wieder zu. Basil Nestorios sah ihn verblüfft an.

»Da läuft ein Krieger herum und zündet die Brandfackeln zur Nacht an«, flüsterte er.

Der Arzt schwieg. Eadulf zählte in Gedanken die Minuten, bis der Krieger seinen Auftrag ausgeführt haben mochte. Es konnte im Innenhof kaum mehr als sechs Fackeln geben.

Vorsichtig öffnete er wieder die Tür und spähte umher.

Der Hof schien leer. Der Schein der Fackeln hüllte ihn in ein schauriges Licht. Wenn die Wächter hier entlangkamen, würden sie jeden Flüchtling entdecken, sobald er aus der Tür trat. Doch sie mußten es einfach riskieren. Eadulf hoffte, daß die Krieger das Innere der angeblich uneinnehmbaren Festung nicht so stark bewachten. Schließlich nahmen sie ja an, daß ihre Gefangenen in den Kerkerzellen waren - es sei denn, daß man inzwischen den Wächter vermißte, der den Arzt zurückgebracht hatte. Sie mußten es wagen, denn je länger sie sich Zeit ließen, desto geringer wurden ihre Aussichten auf Erfolg.

Auf einmal hörten sie eine Glocke läuten.

Eadulf erstarrte.

Basil Nestorios rief verzweifelt etwas in seiner Muttersprache.

»Das ist Uamans Glocke«, zischte er dann. »Da hat er wohl den Trank nicht zu sich genommen.«

»Jetzt ist es zu spät. Wir müssen zum Tor. Dort sind zwei Eisenriegel angebracht, siehst du die? Ich nehme den oberen, du den unteren, und laß dich durch nichts aufhalten.«

Nun läutete es heftiger.

Eadulf öffnete schnell die Tür und rannte über den Hof zum großen Tor. Basil Nestorios folgte ihm. Eadulf packte den oberen Eisenriegel und zog ihn zurück. Der Arzt war fast zur gleichen Zeit am unteren Riegel. Eadulf war gerade dabei, einen der Torflügel aufzuziehen, als er jemanden hinter sich rufen hörte.

Er schlüpfte durch den entstandenen Spalt hinaus, sein Gefährte war dicht hinter ihm. Dann blieb er entsetzt stehen.

Direkt vor ihm stand ein großer Krieger mit breiten Schultern, der sein Schwert gezogen hatte. Eadulf erstarrte, als er ihn im Fackelschein erkannte.

»Gorman!« rief er erschrocken.

Die Augen des Kriegers von Cashel zuckten und wurden schmaler, als er hinter Eadulfs Schultern eine zweite Person bemerkte.

»Fort, Bruder Eadulf!« rief er, als sein Schwert schon niederfahren wollte.

Eadulf machte einen Satz nach vorn und duckte sich automatisch. Dann drehte er sich auf dem Absatz um, wobei er beinahe strauchelte. Auch Basil Nestorios hinter ihm war zur Seite gesprungen. Nun sah Eadulf zwei von Uamans Männern, die mit gezogenen Schwertern hinter ihnen herstürmten.

Gormans Hieb traf einen von ihnen am Hals. Der Krieger kippte zur Seite und ließ dabei sein Schwert fallen. Der zweite Krieger parierte Gormans Hieb; eine ganze Weile kämpften sie miteinander. Doch Ua-mans Mann war kein guter Schwertkämpfer, und das Schwert des Kriegers mit dem goldenen Halsring der Leibgarde von Cashel steckte schließlich in seiner Brust. Mit einem Ächzen sank er auf die Knie, sein Blick wurde glasig. Er fiel vornüber und ließ sein Schwert los.

»Folgen euch noch mehr?« rief Gorman.

»Zwei oder drei«, krächzte Eadulf.

Gorman sah zu dem Arzt hinüber. »Und wer ist das?«

»Ein Mitgefangener.«

Immer noch läutete die Glocke.

Gorman drehte sich um und zeigte auf die verschwommenen Umrisse des Ufers.

»Die Flut hat eingesetzt. Wir müssen zurück. Kennst du den Weg, Bruder? Der Dünenweg zum Ufer ist voller Tücken.«

Die Glocke schwieg einen Moment. Im finsteren Turm stieß jemand einen furchtbaren Klageschrei aus, der kaum von einem Menschen stammen konnte. Eadulf erzitterte. Das war Uamans Wutschrei.

»Das wird uns seine restlichen Krieger auf den Hals hetzen«, rief Eadulf. »Wir laufen besser ans Ufer, dort sind wir sicherer.« Er blickte ins Dunkel. Von allen Seiten hörte man das rauschende Flüstern des Meeres. »Einfach geradeaus. Folgt mir.«

Er ging voraus, versuchte, nicht zu forsch zu laufen, jeder Schritt mußte auf festen Boden treffen, ehe er den nächsten tat. Das brauchte seine Zeit. Auf halbem Wege konnten sie immer noch Schreie hören, die manchmal vom Läuten der Glocke unterbrochen wurden. Eadulf blickte zurück.

Die flackernden Fackeln, die zu beiden Seiten des großen Tores der Festung hingen, warfen Licht auf die beiden toten Krieger. Da tauchte ein dritter Krieger auf, und dann noch zwei oder drei weitere. Schließlich konnte Eadulf auch Uamans gekrümmte Gestalt erkennen, ein dünner, dunkler Schatten, der mit seiner Glocke am Tor stand und fluchte.

»Sie verfolgen uns«, rief Basil Nestorios, der sich ebenfalls umgewandt hatte.

Eadulf sah, wie Uaman die drei Krieger auf den schmalen Dünenweg führte. Alle vier trugen Fackeln und konnten so rascher dem richtigen Pfad folgen. Trotz seiner Gehbehinderung gewann Uaman erstaunlich rasch an Boden. Offensichtlich hatte er nicht die Mixtur zu sich genommen, die Basil Nestorios für ihn zubereitet hatte, denn er war genauso schnell wie seine Krieger. Eadulf beschleunigte das Tempo.

»Wenn wir weiter so vorankommen, werden wir das Ufer wohl erreichen, aber dort müssen wir kämpfen«, erklärte Gorman.

»Dann werden wir eben kämpfen«, antwortete Ea-dulf.

Das Wasser schwappte ihm schon um die Füße. Es kam rasch, aber leider nicht rasch genug, dachte er bitter.

Wenig später krochen sie die Uferböschung unter den dunklen Bäumen hinauf. Dort warteten sie und machten sich auf das Schlimmste gefaßt.

Ihnen bot sich ein eigenartiger, schauriger Anblick. Im Hintergrund stand der hohe Turm von Uaman, düster und unheimlich, auch wenn nun das beleuchtete Tor offenstand. Ein Strahl silbernen Mondlichts hatte sich einen Weg durch die niedrig hängenden Wolken gebahnt und ließ einen funkelnden Lichtertanz auf den Wellen entstehen. Das Wasser stieg schnell. Der Dünenweg zur Insel war kaum noch zu erkennen.

Uaman war nicht mehr weit vom Ufer entfernt. Überraschenderweise hatte er zehn Meter Vorsprung vor seinen Männern. Mit seiner weißen knöchernen Klaue hielt er die Fackel hoch. Es schien, als hätte die Wut die Oberhand in ihm gewonnen, denn in seiner Raserei hatte er offenbar nach keiner anderen Waffe gegriffen.

»Schaut nur!« flüsterte Gorman auf einmal.

Eadulfs Blick ging aufs Meer. Da rollte etwas Dunkles auf den Streifen Wasser zu, der inzwischen die Insel vom Ufer trennte.

Zuerst begriff Eadulf nicht, um was es sich handelte.

»Tonn taide!« flüstere Gorman.

Eine Flutwelle, höher als ein Mensch. Sie schob sich rasch über die Meerenge hinweg. In Sekundenschnelle wurden die drei Krieger hinter Uaman von der Wucht der Welle hinaus ins dunkle Wasser gerissen. Sie verschwanden samt ihren verlöschenden Fackeln. Uaman war schon näher am Ufer und entkam der Gewalt der Welle, obwohl auch er den Boden unter den Füßen verlor, aber wie durch ein Wunder konnte er seine brennende Fackel hochhalten. Die drei Gefährten sahen, wie das Wasser durch den großen Sog der Flutwelle abebbte. Diese Chance nutzte Uaman, richtete sich auf und eilte weiter aufs Ufer zu. Doch er war von dem schmalen Dünenweg abgekommen und versank im Boden.