Kapitel 17
Seit ihrer Rückkehr vor zwei Tagen war die Zeit für Fidelma unglaublich schleppend vergangen. Kein Zeichen von Eadulf hatte sie erreicht, und Bruder Con-chobar hielt sich immer noch in Lios Mhor auf. Gorman war seit ein paar Tagen verschwunden, und Capa war soeben erst von seiner Mission zur Grenze der Ui Fidgente zurückgekehrt. Die zwei überlebenden Fürsten der Ui Fidgente waren wieder in ihre Zellen gesperrt worden und erwarteten ihren Prozeß wegen Mordes an dem Aufseher der Jagdhütte und dessen Sohn. Conri und seine Männer hatte man in der Burg sehr gastfreundlich empfangen. Inzwischen hatten er und Colgu Gespräche zur Erneuerung der Beziehungen ihrer Völker aufgenommen. Doch mit der Suche nach Alchu war man nicht vorangekommen. Im Gegenteil. Es gab zur Zeit keinerlei Hinweise darauf, wo sich Alchu und Eadulf befanden.
Fidelma beschloß, daß sie nichts weiter tun konnte, als die Schritte zurückzuverfolgen, die Eadulf zum Aufbruch aus Cashel bewogen hatten. Er war losgeritten, um mit dem Holzfäller Conchoille zu sprechen. Danach war er in die Burg zurückgekehrt, hatte seine Satteltasche genommen und war zur Abtei von Colman aufgebrochen. Genau das würde sie auch tun müssen.
Doch zuerst wollte sie Conchoille aufsuchen und herausfinden, worüber Eadulf mit ihm geredet hatte.
Caol hatte gerade Wache am Tor und hob zum Gruß die Hand, als sie ihr Pferd hindurchführte.
»Was gibt es Neues, Lady Fidelma?«
»Das wollte ich dich fragen, Caol.«
Der Krieger zuckte mit der Schulter. »Gerüchte gibt es viele, aber kaum was Neues.«
»Ich will zu Conchoille, dem Holzfäller. Ich möchte ihn fragen, was er mit Eadulf besprochen hat, ehe der nach Westen aufbrach«, sagte sie.
»Da brauchst du nicht weit reiten. Als ich vorhin aus der Stadt kam, sah ich, wie Conchoille Capas Haus betrat.«
»Capas Haus?«
»Er liefert sein Brennholz an viele Häuser. Davon lebt er.«
Fidelma dankte dem Krieger für die Auskunft und ritt in die Stadt.
Capa öffnete überrascht die Tür.
»Was führt dich hierher, Lady Fidelma?« fragte er und trat beiseite, als sie es ihm erklärte. Er winkte sie in einen kleinen, warmen Raum. Capas Ehefrau Gobnat erschien und bot ihr recht nervös einen Becher Metwein an, doch Fidelma lehnte höflich ab. Con-choille hatte sich von seinem Stuhl am Feuer erhoben und stand ein wenig unbeholfen da.
»Du hast nach mir gesucht, Lady Fidelma?« Seine Hände umklammerten schüchtern den Becher, aus dem er getrunken hatte.
»Ja, Conchoille, aber ich will dich nicht lange aufhalten«, erwiderte sie. »Ich nehme an, Bruder Eadulf hat dich an dem Tag aufgesucht, als er Cashel verließ.«
Der Holzfäller sah sie mit großen Augen an.
»Das hat er nicht, Lady«, sagte er.
Mit dieser Antwort hatte Fidelma nicht gerechnet.
»Dann ist er nicht zu dir nach Rath na Drinne gekommen?« fragte sie überrascht.
Conchoille schüttelte den Kopf. »Nach dem Treffen des Kronrats in der Burg habe ich den ehrenwerten Bruder nicht mehr gesprochen. Man hat mir erzählt, daß er Cashel verlassen hat, aber an jenem Tag habe ich ihn nicht gesehen. Er wollte mit Ferloga sprechen. Vielleicht hat er ja nach mir gesucht.«
»Ferloga, dem Wirt vom Gasthaus?«
Plötzlich heulte draußen vor dem Haus ein Hund. Fidelma konnte Capas drahthaarigen braunen Hund erkennen, der auf dem Hof aufgeregt nach etwas in der Erde wühlte.
Gobnat sah ihren Mann wütend an.
»Geh und bring den Hund zur Vernunft!« sagte sie giftig. »Der gräbt uns noch den ganzen Hof um.«
Capa schaute entschuldigend zu Fidelma.
»Das ist mein Hund, Lady. Wahrscheinlich sucht er nach ein paar alten Knochen.«
Er ging hinaus, zerrte den jaulenden Hund am Halsband hoch und band ihn an einen Baum. Fidelma drehte sich wieder zu Conchoille um und stieß dabei aus Versehen einen kleinen Kessel bei der Feuerstelle um. Sie sah hinunter und entdeckte, daß er eine mächtige Beule hatte.
»War ich das?« fragte sie überrascht und bückte sich, um den Kessel genauer zu betrachten. Gobnat hob ihn schnell auf.
»Das ist nicht so schlimm. Nur ein alter Kessel. Die Beule hat er schon lange.«
Capa kam wieder herein und runzelte die Stirn, als er sah, daß Gobnat den Kessel in der Hand hielt.
»Ich habe gehört, daß dein Ehemann in Schwierigkeiten steckt, Lady. Kann ich etwas tun?«
Fidelma hatte den Eindruck, daß er das Gespräch auf ein anderes Thema lenken wollte. Sie schüttelte den Kopf. Als nächstes wollte sie zu Ferloga. Wenn Conchoille Eadulf nicht veranlaßt hatte, zur Abtei von Colman zu reiten, dann muß ihm Ferloga einen Grund dafür gegeben haben. Sie würde sich nicht Brehon Dathals Theorie beugen. Eadulf war aufgebrochen, weil er etwas über Alchu erfahren hatte. Da war sie sich sicher.
Auf einmal bemerkte sie, daß Gobnat sie besorgt ansah.
»Machst du dir um deinen Mann Sorgen, Lady? Das ist der Fluch aller Frauen, denn die Männer sind unbeständig. Sie kommen und gehen, und sie kümmern sich nicht um das Leid, das sie hinterlassen.«
Capa zog die Augenbrauen hoch.
»Schweig endlich, Weib! Die Schwester des Königs will deine Weisheiten nicht hören.« Er sprach eilig weiter. »Man hat mir gesagt, daß die Theatertruppe, auf die wir in Cnoc Loinge stießen, heute morgen hier eingetroffen ist und hinter der Stadt ihr Lager aufschlägt.«
»Die crossan werden in Cashel erwartet«, erklärte Fidelma.
»Es ist schon traurig, daß der Zwerg, der als Leprakranker verkleidet war, nun tot ist«, meinte Capa. »Er hätte vielleicht die Frau erkennen können, die vorgab, meine Frau zu sein, und ihn mit der Botschaft zu Sarait schickte.«
Fidelma dachte immer noch an Eadulf. Gobnat deutete ihr nachdenkliches Gesicht falsch.
»Vielleicht kann jemand anderes die Frau wiedererkennen, die sich für mich ausgab. Es ist sicher ganz einfach, eine Person zu finden, die einen so auffälligen Umhang trägt.«
Geistesabwesend nickte Fidelma. »Das wollen wir hoffen, denn wenn die Ui Fidgente mit diesem Fall nichts zu tun haben, dann müssen wir ...«
Da preschte ein Pferd heran. Einen Moment darauf rief eine Stimme: »Schwester Fidelma! Lady!«
Capa war zuerst an der Tür, hinter ihm stand Fidelma. Ein Bote aus der Burg war vorgeritten.
»Was gibt es?« fragte Capa, etwas verärgert darüber, daß einer seiner Krieger sich so ungestüm und undiszipliniert Gehör verschaffte.
»Man hat mir gesagt, daß ich Lady Fidelma hier antreffen würde«, rief der Bote. Dann entdeckte er Fidelma hinter Capa. »Bruder Eadulf, Lady! Es heißt, daß er die Brücke über den Suir erreicht hat und auf dem Weg nach Cashel ist ... Und Alchu ist bei ihm. Gesund und wohlbehalten, wie einer unserer Späher berichtete.«
Fidelma starrte ihn sprachlos an.
»Es ist wahr, Lady Fidelma«, versicherte ihr der Bote noch einmal. »Er wird in Kürze in der Burg sein, wenn er es nicht schon ist. Caol und einige Krieger sind ihm zur Begrüßung entgegengeritten. Dein Baby ist heil und gesund wieder daheim. Heil und gesund!«
Fidelma eilte zu ihrem Pferd.
Eadulf und seine Gruppe hatten unterdessen die Brücke über den Fluß Suir überquert und einen der dort postierten Krieger zum fernen Fels von Cashel vorausgeschickt. Eadulf und Basil Nestorios führten die Gruppe an. Gorman und ein kleiner Wagen, der von dem Schäfer Nessan gelenkt wurde, folgten dichtauf. Muirgen saß neben Nessan und hielt das Baby fest im Arm. Sie waren ein gutes Stück weiter, da hob Gorman den Arm und rief Eadulf etwas zu.
»Dort kommt unsere Eskorte, Bruder.«