Fidelma versuchte, seinem Gedankengang zu folgen. »Und?«
»Wer war der Vater von Saraits Baby?«
»Tja, natürlich Callada, der ...« Sie hielt inne und blickte ihn an.
Eadulf lächelte triumphierend. »Der bei Cnoc Äine gefallen ist«, sagte er leise. »Genau.«
Fidelma atmete langsam aus. »Gorman? Du meinst, daß er der Vater war?«
»Ich habe ihn noch nicht gefragt.«
»Ich verstehe«, sagte sie leise. Dann schüttelte sie sich wie ein Hund, der sich nach dem Schwimmen das Wasser aus dem triefenden Fell schüttelt. »Zuerst gilt es aber herauszufinden, warum Brehon Dathal dich eingekerkert hat. Sei unbesorgt, ich werde mich dafür einsetzen, daß du bald frei bist.«
Sie ging zur Tür, doch dann drehte sie sich um und griff spontan nach seinen beiden Händen.
»Eadulf, ich bedaure alles, was ich gesagt oder getan habe, und alle Vorkommnisse, bei denen dir mein Volk das Gefühl gegeben hat, fremd und unterlegen zu sein.«
Eadulf lächelte verlegen. »Niemand kann einem anderen das Gefühl geben, unterlegen zu sein, ohne daß er selbst es mit sich geschehen läßt. Wenn jemand glaubt, die anderen fühlten sich ihm überlegen, dann ist das doch nur so, weil er es selbst so sieht. Ich habe mich hier manchmal unwillkommen gefühlt, doch der Grund dafür ist, daß ich fremd in diesem Land bin und daher einigen Leuten nicht willkommen. Wir selbst fühlen uns immer wohler bei Dingen, die uns vertraut sind.«
»Kannst du uns verzeihen ... Kannst du mir verzeihen?«
»Man kann dem goldenen Adler nicht verzeihen, ein goldener Adler zu sein«, erwiderte er freundlich. »Es gibt nichts zu verzeihen, weil du ganz der Natur deines Wesens entsprechend gehandelt hast.«
Fidelma warf die Lippen auf. »Eadulf, manchmal bringst du mich zur Verzweiflung. Du bist viel zu gut und nachgiebig«, warf sie ihm vor.
Mit einem verschmitzten Lächeln zuckte er die Achseln. »So bin ich nun einmal.«
Fidelma überquerte den Hof und bemerkte, daß an den Toren Tumult war. Sie ging zu den großen Eichentüren und traf auf Caol, der einem Paar mit einem Baby gegenüberstand.
»Was ist los?« fragte Fidelma.
Caol verzog verärgert das Gesicht. »Ein Kräutersammler und seine Frau verlangen Eintritt. Ich habe ihnen gesagt, daß sie weiterziehen sollen.«
»Aber der sächsische Bruder .«, setzte der Mann an.
»Schweig. Du sprichst in Gegenwart der Schwester des Königs«, fuhr ihn Caol barsch an.
»Warte!« befahl Fidelma. »Bist du der Kräutersammler Corb und du seine Frau Corbnait?«
»Ja. Bruder Eadulf hat uns gesagt, daß wir zur Burg kommen sollten, und das versprachen wir ihm, auch wenn uns vielleicht eine Strafe droht, und ich stehe zu meinem Wort. Ich gehörte nicht immer zu den Nichtseßhaften.«
Fidelma sah ihn voller Herzlichkeit an. »Seid willkommen. Ihr seid schuldlos. Es ist vielmehr so, daß ihr das Leben meines Sohnes gerettet habt, als er im Wald ausgesetzt worden war. Tretet ein. Bei einem Willkommenstrunk könnt ihr mir die Geschichte erzählen, die Bruder Eadulf bereits von euch gehört hat.«
Sie hatte sich schon umgedreht, da rief Caol ihr etwas hinterher. Sie blickte sich um.
»Du hast mich gebeten, dir mitzuteilen, wenn Bruder Conchobar wieder in Cashel ist«, sagte er. »Er ist wieder da.«
Die Tür der Zelle ging auf, und Brehon Dathal trat ein. Mit griesgrämiger Miene sah er Eadulf an.
Eadulf sprang von der Pritsche auf, die in der kahlen Zelle stand.
»Was soll der ganze Unsinn?« fragte er.
Brehon Dathal winkte jemandem hinter sich im Gang zu. Ein Krieger trat ein, der ihm einen dreibei-nigen Hocker hinstellte.
»Setz dich«, ordnete der alte Mann streng an.
Widerwillig fügte sich Eadulf. »Ich sage noch einmal, was ist das für ein Unsinn, Dathal? Wer hat sich diese absurde Geschichte einfallen lassen, daß ich Bischof Petran umgebracht haben soll?«
»Leugnest du etwa, daß du dich mit Bischof Petran häufig gestritten hast?«
Eadulf mußte beinahe lachen. »Keinesfalls. Zu Fragen der Führung der Kirche hatten wir grundsätzlich verschiedene Ansichten. Und die meisten Menschen in den fünf Königreichen würden seine Lehren auch nicht akzeptieren. Da ich die Autorität Roms anerkenne - denn man lehrt uns doch, daß an diesem Ort Petrus im Auftrag Christi mit der Erbauung seiner Kirche begann -, kann ich Petrans asketische Theorien nicht gutheißen.«
»Und deshalb hast du ihn umgebracht?«
Eadulf rümpfte entrüstet die Nase.
Brehon Dathal betrachtete ihn verdrießlich.
»Du solltest mich lieber ernst nehmen, Sachse. Glaubst du etwa, daß ich auf Grund meines hohen Alters die Sachlage nicht mehr richtig beurteilen kann?«
Eadulf blickte ihn eine Weile an.
»Es ist mir gleich, ob du jung oder alt bist. Wenn man eine falsche Beschuldigung gegen mich erhebt, kann ich sie nicht einfach so hinnehmen. Ich könnte dich ebensogut fragen, ob ich des Mordes schuldig sein muß, nur weil ich ein Fremder in diesem Land bin?«
»Ich halte mich an das Gesetz«, fuhr ihn Brehon Dathal an. »Ich hege keine Vorurteile gegen dich.«
»Und ich halte mich an die Tatsachen.«
»Die Tatsachen liegen ganz einfach. Bischof Petran ist in seiner Kammer tot aufgefunden worden. Er wurde vergiftet. Am gleichen Tag bist du aus Cashel geflohen. Am Vorabend ist es laut Zeugenberichten zu einem heftigen Streit zwischen dir und dem Bischof gekommen. Leugnest du das etwa?«
»Ich bestreite nicht, daß ich mich mit Petran gestritten habe, aber ich bestreite, daß ich dabei gewalttätig geworden bin. Ich bestreite, daß ich aus Cashel geflohen bin. Bevor ich fortritt, habe ich Fidelma eine Nachricht hinterlassen, denn ich hatte etwas herausgefunden, was meinen Sohn betraf. Ich hatte keine Ahnung, daß Petran tot war. Erst bei meiner Rückkehr berichtete mir Caol davon.«
»Und du erwartest, daß ich dir das glaube?«
»Ich erwarte nichts außer der Höflichkeit, unvoreingenommen angehört zu werden.«
Brehon Dathal errötete. »Du wagst es, mich, den obersten Brehon von Muman, zu beschuldigen, voreingenommen zu sein?«
»Ich beschuldige dich nicht. Ich äußere mich nur zu dem, was mit mir geschieht«, erwiderte Eadulf schroff.
»Es sieht nicht gut aus für dich, Fremder, wenn du nicht sofort dein Verbrechen gestehst.«
»Drohst du mir etwa?« Eadulf sprang auf.
Da tauchte mit betretener Miene der Krieger an der Tür auf.
»Bruder Eadulf, es wäre klüger, sitzen zu bleiben und mit Respekt die Fragen des Brehon zu beantworten«, sagte er leise.
Eadulf wurde klar, daß er sich keinen Gefallen damit tat, wenn er seinem Zorn freien Lauf ließ. Er nahm wieder auf der Pritsche Platz.
»Ich lehne es ab, jemandes Fragen zu beantworten, der mich von vornherein für schuldig befunden hat und mir nicht einen winzigen Beweis liefert, um seine Anklage zu belegen, außer der Tatsache, daß ich bei einem Streit mit dem Bischof gesehen wurde.«
Brehon Dathal erhob sich wütend und verließ die Zelle. Der Krieger nahm den leeren Hocker mit. Die Zellentür schlug wieder zu.
Eadulf überkam Verzweiflung, und er versuchte mit aller Kraft, sich gegen sie zu wehren.
Fidelma, die nun die Geschichte von Alchus Schicksal aus Corbs und Corbnaits Mund persönlich gehört hatte, ordnete an, daß die beiden Zeugen gastfreundlich aufzunehmen seien. Anschließend eilte sie zu Bruder Conchobars Apothekerladen.
»Du hättest es mir mitteilen müssen«, erklärte sie bei ihrem Eintreten in verärgertem Ton.
Der alte Apotheker schaute überrascht von den Kräutern auf, die er mit einem Stößel in einem Mörser zerstieß.
»Es dir mitteilen müssen, Lady Fidelma?« fragte er verdutzt.
»Die Resultate deiner Untersuchung von Bischof Petrans Leiche.«