»Ich begreife nicht, warum Gobnat einen solch teuflischen Plan ausheckte, wo sie doch unzählige Möglichkeiten hatte, ihre Schwester auf andere Art und Weise umzubringen?« überlegte Baithen laut.
»Wie ich schon sagte, sie wollte, daß auch nicht der geringste Verdacht auf sie fiel. Della sollte mit allem belastet werden. Deshalb stahl sie Dellas Umhang, ein ganz besonderes Kleidungsstück. Dann folgte die Scharade mit der Botschaft, die sie zur Burg sandte. Falls jemand sie sehen würde, würde derjenige nicht sie beschreiben, sondern eine Frau in kostbarer Seide. Gobnat kleidete sich immer schlicht.«
»Das ist doch Wahnsinn!« rief Gobnat.
»Warten wir es ab«, erwiderte Brehon Baithen.
Der alte Richter Dathal räusperte sich und stand auf.
»Ich habe mir all diese Beschuldigungen angehört. Wenn ich noch oberster Brehon wäre, würde ich dir und deinem Redefluß jetzt Einhalt gebieten, Fidelma, und den Fall schließen. Es gibt zu viele Mutmaßungen und offene Fragen.«
Es war deutlich, daß Brehon Baithen über das Einschreiten des Alten verärgert war. Doch noch ehe er darauf reagieren konnte, warf Fidelma ein: »Dann laß mich fortfahren, und ich werde all die Fragen ausführlich beantworten.«
»Ja«, sagte Brehon Baithen rasch. »Hören wir weiter, was die erfahrene ddlaigh zu sagen hat, so wie es üblich ist, wenn ich eine Gerichtsverhandlung leite, Dathal.«
»Wie bei solchen Plänen oft«, sprach Fidelma weiter, »ging auch hier nicht alles glatt. Erstens, Sarait kam mit Alchu im Arm zu ihrer Schwester. Sarait hoffte, wenn sie das Kind bei sich hätte, wäre sie vor Capa sicher. Sie wußte, daß er selbst in seiner lasterhaften Begierde nicht einen Sproß der Eoghanacht et-was tun würde. Er stand meiner Familie eigenartigerweise loyal gegenüber. Gobnat besaß diese Loyalität nicht - nur Haß.
Obwohl Gobnat vorhatte, ihre Schwester mit kühlem Kopf zu ermorden, tat sie es in einem Anfall von Raserei. Das beweist die Anzahl der Messerstiche. Wie sehr sie Sarait gehaßt haben muß! In ihrem Wahn stach sie immer wieder auf sie ein. Zu der Verletzung am Kopf kam es, als Sarait stürzte und dabei gegen einen kleinen Kessel bei der Feuerstelle fiel. Ich bemerkte eine Beule darin, als ich dort war. Ich vermute zumindest, daß es so war. Ich denke, Gobnat ermordete Sarait bei sich zu Hause. Wo sollte Sarait sonst hingegangen sein, wo man sie doch dorthin gebeten hatte? Gobnat hatte vor, die Leiche in der Nähe von Dellas Haus zu verstecken, wo sie zusammen mit dem grünen Umhang aufgefunden werden sollte. Doch ehe sie dazu kam, kehrte Capa nach Hause zurück. Capa ist mit allen Wassern gewaschen, er wußte genau, was mit ihm geschehen würde, wenn man Gobnat auf die Spur kam. Also mußte er Saraits Leiche und den kleinen Alchu loswerden.
Etwas hielt ihn jedoch davon ab, die Leiche bei Dellas Haus zu verscharren. Das war der erste Fehler. Der zweite war der, daß er aus irgendwelchen moralischen Gründen das Baby nicht umbringen konnte. Da hatte Sarait recht gehabt. Er war nicht imstande, das Kind direkt zu töten, deshalb ließ er es allein im Wald zurück, wo es sterben würde.«
Capa stand auf und wollte widersprechen. Er war ganz blaß, die Muskeln um seinen Mund zuckten nervös.
»Das ist alles erfunden! Wo sind deine Beweise?«
»Wenn man sich auf den Weg der Täuschung begibt, muß man verschlungene Pfade gehen. Die erste Lüge muß durch weitere Lügen abgedeckt werden. Du hast Saraits Leiche in den Wald gebracht, Capa, wo Conchoille sie später fand. Als du Alchu den wilden Tieren überließest, konntest du nicht ahnen, daß Corb und Corbnait ganz in der Nähe waren und das Kind mitnehmen würden in dem Glauben, es sei ausgesetzt worden.
Vermutlich warst du noch nicht lange wieder zu Hause, da entdeckte Conchoille Saraits Leiche und meldete es. Daraufhin spieltest du den betroffenen und entsetzten Schwager. Gobnat vergrub unterdessen den Umhang zunächst in aller Eile auf eurem Hof. Ihr blieb nichts anderes übrig, denn nun waren alle alarmiert.
Dann machtest du dich allein ans Werk, die schreckliche Bluttat zu vertuschen. Du befürchtetest, daß Forindain Gobnat wiedererkennen würde. Als du in Cnoc Loinge nach dem Zwerg suchtest, stießest du auf jemanden, den du für Forindain hieltest, und hast ihn getötet. Das war ein weiterer Fehler.«
Fidelma wandte sich wieder an die Zuhörer.
»Gobnat beging den nächsten, als sie sich Capas Drängen fügte, noch eine falsche Spur zu legen. Er ließ sie ein Erpresserschreiben aufsetzen, das auf eine Beteiligung der Ui Fidgente an dem Mordfall schließen ließ. Die drei Stammesfürsten der Ui Fidgente sollten im Austausch für Alchu freigelassen werden. Was dann auch erfolgte, während Capa nach Imleach und Cnoc Loinge unterwegs war. Als das Ehepaar den Plan schmiedete, hatte Capa nicht geahnt, daß wir einen Beweis für die Echtheit des Schreibens verlangen würden. Nach der Sitzung, auf der wir beschlossen hatten, einen Beweis dafür zu verlangen, daß Alchu wirklich in Händen der Entführer war, sollte Capa die Heroldsstandarte aus einem Raum holen, der sich in der Nähe unserer Gemächer befand. Er nutzte die günstige Gelegenheit und stahl aus unserer Truhe ein Paar Babyschuhe. Als man uns den einen Schuh als Beweis vorlegte, war mir nicht bewußt, daß Eadulf gleich nach der Entführung des Kindes die Sachen durchgeschaut hatte. Alchu hatte dieses Paar Schuhe gar nicht getragen. Sie sind erst viel später entwendet worden.
Zuerst verwirrte es mich, daß wir Gorman vor unseren Räumen angetroffen hatten. Als mir Eadulf aber erklärte, daß Gorman die Schuhe gar nicht genommen haben konnte, fragte ich ihn, was ihn so sicher machte.« Sie sah nun Eadulf an, der die Geschichte weitererzählte.
»Bei uns richtete gerade eine Dienerin die Räume her. Wäre Gorman also drinnen gewesen, hätte sie ihn gewiß gesehen. Capa hatte jedoch zuvor die Gelegenheit genutzt, den Raum unbemerkt zu betreten. Er eilte hinein, griff die Schuhe und zog dabei ein Kleidungsstück von Alchu mit aus der Truhe, das dann vom Deckel eingeklemmt wurde. Fälschlicherweise beschuldigten wir die Dienerin, nicht ordentlich aufgeräumt zu haben. Das war der nächste Fehler.«
»Das sind immer noch bloße Mutmaßungen«, verkündete Brehon Baithen.
»Aber diese Mutmaßungen erwiesen sich als richtig, als Gobnat sich ungewollt heftig verplapperte«, erwiderte Fidelma. Sie drehte sich mit einem leicht triumphierenden Lächeln zu Capas Frau um.
Gobnat versuchte angestrengt sich zu erinnern, was sie gesagt hatte.
»Ich war neulich abends in deinem Haus, weil ich Conchoille sprechen wollte. Du und Capa, ihr wart beide ziemlich beunruhigt darüber, daß euer Hund im Hof wie verrückt in der Erde grub.«
»Warum sollte uns das auch nicht ärgern?«
»Nun, niemand hatte den Umhang der Frau erwähnt oder gar beschrieben, die die Nachricht zur Burg geschickt hat. Nur Forindain, der vermeintlich tot war, hatte ihn gesehen und beschrieben. Und Della und ich kannten ihn, und allein wir beide wußten, daß er sich nicht mehr in der Truhe befand ... Natürlich hatte noch eine andere Person Kenntnis davon - nämlich jene, die ihn gestohlen hatte und trug, als sie Fo-rindain die hinterhältige Nachricht übergab.
Da du davon ausgingst, daß Forindain inzwischen ermordet war, hast du zu mir gesagt: >Vielleicht kann jemand anderes die Frau wiedererkennen, die sich für mich ausgab. Es ist sicher ganz einfach, eine Person zu finden, die einen so auffälligen Umhang trägt.< Das genau waren deine Worte.«