Gobnat zuckte mit den Achseln. »Und? Forindain ist, wie du sagst, ermordet worden. Er hat dir den Umhang beschrieben, den die Frau trug, und es war der Umhang, der dieser Hure gehörte ...« Sie zeigte auf Della, verstummte aber plötzlich. Ihr war bewußt geworden, was sie da gerade gesagt hatte.
Fidelma sprach ruhig weiter. »Niemand hatte bis zu dem Zeitpunkt etwas von einer Frau in einem Seiden-umhang erwähnt. Woher wußte Gobnat es dann, wenn sie nicht .?« Sie vollendete den Satz nicht.
Es herrschte Stille, bis Capa aufstand und brüllte: »Sie war es ... Sie ...« Er zeigte auf seine Frau. »Sie hat es getan, und ich mußte sie doch beschützen, oder? Ich bin nicht verantwortlich für das Verbrechen. Ich mußte sie doch beschützen .«
Gobnat brach zusammen, als ihr klar wurde, was ihr nun bevorstand.
Als in der Halle langsam wieder Ruhe einkehrte, wandte sich Brehon Baithen an Fidelma.
»Du hast gesagt, ein Hund habe das Rätsel gelöst. Wie das?«
»Capas Hund hat alle Mosaiksteine zusammengefügt«, bestätigte Fidelma ernst.
Brehon Baithen zog fragend die Augenbrauen hoch. »Ich verstehe nicht ...«
»Als die unbekannte Frau Forindain am Gasthaus ansprach, da sprang ihn ein Hund an, vermutlich im Spiel. Doch die Frau hat ihn zu sich gerufen. Das allein beweist gar nichts. Was aber weckte Corb und Corbnait in der Nacht, in der sie das alleingelassene Kind fanden? Das Heulen eines Hundes und eine Stimme, die ihn rief. Als ich Capas Hund auf dem Hof graben sah, war ich überrascht, daß Capa und Gobnat darüber so außer sich gerieten. Ich schätze, daß er an der Stelle scharrte, wo Gobnat den Umhang und den zweiten Babyschuh zuerst versteckt hatte. In der darauffolgenden Nacht buddelte Gobnat die Sachen wieder aus und vergrub sie dort, wo sie es ursprünglich hatte tun wollen - auf Dellas Hof. Sie hätte den Zeitpunkt nicht günstiger wählen können, denn ich war bei Della, als ihr Hund dort auftauchte und alles aus der Erde wühlte. Warum tat er das? Weil Gobnat selbst den Umhang getragen hatte und ihm ihr Geruch immer noch anhaftete. Das hat den Hund angelockt.«
»Das ist wahrlich eine höchst komplizierte Angelegenheit, Fidelma«, gab Brehon Baithen zu. »Meinen Glückwunsch an dich und natürlich an Bruder Eadulf. Ihr habt diesen Fall zu einem erfolgreichen Ende geführt.«
Fidelma lächelte auf einmal. Es war ein schelmisches Lächeln, das man so lange nicht mehr bei ihr gesehen hatte.
»Ich finde, wir müssen eigentlich den Hund beglückwünschen. Manchmal sind Hunde klüger als Menschen.«
Zwei Tage später saßen Fidelma und Eadulf entspannt vor dem Kamin in ihrem Gemach. Das Feuer prasselte und wärmte sie wohlig. Sie tranken Glühwein, der kleine Alchu schlief friedlich in seinem Bettchen. Auf einmal stieß Fidelma einen tiefen Seufzer aus.
»Si finis bonus est, totum bonum erit«, sprach sie leise. »Ich erinnere mich daran, daß ich es vor unserem Ritt nach Imleach zu Gorman gesagt habe.«
»Ende gut, alles gut. Was geschieht mit Gorman und Della?«
»Gorman wird seinen Kummer überwinden, so ist das eben im Leben. Er hat keinen Grund, sich wegen Della zu schämen, denn sie ist eine gute Mutter und eine gute Freundin.«
»»Haec olim meminisse iuvabit«, murmelte Eadulf. »Die Zeit heilte tatsächlich Wunden. Aber da gibt es immer noch etwas, was ich nicht verstehe. Erinnerst du dich daran, als wir die Sachlage im Kronrat erörterten und ich sagte, daß es verwunderlich sei, daß Sarait das Kind mitgenommen habe, wo sie es doch in der Obhut verschiedener anderer Frauen in der Burg hätte lassen können? Du hast mir sogar zugestimmt. Doch in der Gerichtsverhandlung hast du gesagt, daß sie dachte, Alchu würde dafür sorgen, daß ihr nichts zustieße. Wie bist du darauf gekommen?«
»Wie bei den meisten Dingen ist die Antwort ganz einfach«, erwiderte Fidelma. »Della hat mir erzählt, daß Sarait vergewaltigt wurde - von Capa, wie wir nun wissen -, und sie hatte Angst, daß es wieder geschah. Sie glaubte wohl, sie wäre sicherer, wenn sie den Neffen des Königs bei sich hatte. Irrtümlich nahm sie an, daß der Rang des Kindes sie schützen würde. Der Haß macht aber vor dem Ansehen nicht halt.
Gobnat haßte sie so sehr, daß ihr der Rang des Kindes gleichgültig war.«
»Und Conri und seine Leute sind in ihre Heimat aufgebrochen?« fragte Eadulf eine Weile später.
Fidelma nickte.
»Wollen wir hoffen, daß nun zwischen unseren Völkern eine Zeit des Friedens anbricht. Dein Freund Brehon Dathal hat sich auf seine kleine Burg am Fluß Suir zurückgezogen«, fügte sie schelmisch hinzu. Eadulf schnitt eine Grimasse, die sie zum Lachen brachte. »Wie dem auch sei, Brehon Baithen ist der richtige Mann in dem Amt. Und Caol als neuer Befehlshaber der Leibgarde ebenso. Morgen sind wir zum Jahrmarkt auf der Festwiese eingeladen. Dort werden Fo-rindain und seine Theatertruppe die Geschichte von Faylinn darbieten. Wenn es jemanden gibt, der unser Mitgefühl verdient, so ist es der kleine Komödiant, der seinen Bruder verlor. Da ist vieles, für das Capa geradestehen muß.«
»Das Töten gehört zum Handwerk eines Kriegers«, betonte Eadulf. »Wir bilden Krieger dazu aus, in unserem Auftrag zu töten, um uns und unsere Gesellschaft zu schützen. Doch indem wir den Tötungsinstinkt in einem Krieger fördern, fördern wir auch etwas, das offensichtlich nicht so einfach zu kontrollieren ist. Ein Krieger kann ebenso leicht jemand in seinem Interesse töten, wenn er einen triftigen Grund dafür zu haben glaubt, wie er für seinen Befehlshaber tötet. Einem Mann, der so aufwuchs, zu sagen, er solle niemanden töten, das ist so, als würde man einem Vo-gel sagen, nicht zu fliegen. Das Töten wird zu seiner ersten Natur und nicht zu seiner letzten Möglichkeit. In diesem Sinne hat Capa sich und Gobnat zu schützen versucht.«
Fidelma war nicht davon überzeugt.
»Nicht alle Krieger sind so. Ich kenne viele, die anständig sind.«
»Vielleicht. Aber sind sie die Ausnahmen oder die Regel? Viele sind eben nicht anständig, und es sollte uns nicht überraschen, wenn sie ihr wahres Wesen zeigen.«
»Wenn das so ist, hätte mein Bruder Cuirgi und Cuan lieber nicht an Conri übergeben sollen. Beide sind zum Töten ausgebildet, das ist gewiß. Meiner Ansicht nach hatte nur Crond einen guten Kern, doch am Ende hätte auch er mich umgebracht.«
»Was mein Argument nur bestätigt. Doch Conri wird die beiden Stammesfürsten von seinem Brehon vor Gericht stellen lassen, so daß man ihnen ihren Rang als Fürsten aberkennen kann. Er weiß, daß er nur so die Wunden unserer beiden Völker heilen kann.«
»Das wollen wir hoffen.«
»Und was ist mit dem Schäferpaar?« fragte Eadulf. »Wann kehren sie nach Sliabh Mis zurück?«
»Wenn du einwilligst, bleiben sie hier. Darüber wollte ich später mit dir reden. Muirgen wird eine sehr gute Amme für Alchu sein, und mein Bruder besitzt an den Hängen des Berges Maoldomhnach Schafherden, die auf einen guten Hirten warten.«
Eadulf riß überrascht die Augen auf.
»Wollen sie das auch?«
Fidelma nickte.
»Wir brauchen nur noch dein Einverständnis. Wenn du zustimmst, wird Nessan nach Sliabh Mis reiten, dort alles Nötige regeln, ihr Haus verschließen, seine Herde abgeben und dann wieder zurückkommen. Muirgen hat inzwischen Gefallen gefunden am Leben in Cashel. Vielleicht können sie ein Waisenkind adoptieren. Vielleicht wird es das Kind sein, mit dem Alchu zusammen in die Pflegejahre geht.«
»Pflegejahre?« Eadulf runzelte die Stirn.
»Du kennst doch inzwischen unsere Gesetze, Ea-dulf. Wenn Alchu sieben Jahre alt ist, wird er bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr zur Pflege und Erziehung fortgegeben. Das Gesetz schreibt vor, daß er zu einem anderen Stammesfürsten oder gebildeten Menschen kommt, der für sein Wohlergehen und seine Bildung sorgt. So ist es hier Brauch. Unser Volk soll dadurch erstarken, daß enge Bindungen unter den Familien entstehen.«