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Nadine gab keine Antwort.

»Nun, was meinst du dazu? Gefällt dir die Idee?«

Nadine schüttelte den Kopf. Lächelnd sagte sie: »Ich glaube nicht, dass sie dir gefallen würde, Mutter.«

Mrs. Boyntons Augenlider zuckten. Dann sagte sie scharf und giftig: »Du warst schon immer gegen mich, Nadine.«

Die junge Frau erwiderte ruhig: »Es tut mir Leid, wenn du das so siehst.«

Die alte Frau nahm ihren Stock fester in die Hand. Ihr rotes Gesicht schien noch eine Spur dunkler zu werden.

In verändertem Ton sagte sie: »Ich habe meine Tropfen vergessen. Geh und hol sie mir, Nadine.«

»Natürlich.«

Nadine stand auf und ging durch die Halle zum Fahrstuhl. Mrs. Boynton blickte ihr nach. Raymond saß schlaff in seinem Sessel und starrte mit glasigen Augen unglücklich vor sich hin.

Nadine fuhr nach oben. Sie ging durch den Korridor und betrat das Wohnzimmer ihrer Suite. Lennox saß am Fenster. Er hatte ein Buch in der Hand, doch er las nicht. Als Nadine hereinkam, richtete er sich auf. »Hallo, Nadine.«

»Ich will nur Mutters Tropfen holen. Sie hat sie vergessen.«

Sie ging in Mrs. Boyntons Schlafzimmer. Aus einem Fläschchen auf dem Waschtisch maß sie sorgfältig die exakte Menge in ein kleines Medizinglas ab, das sie dann mit Wasser auffüllte. Als sie wieder ins Wohnzimmer kam, hielt sie inne.

»Lennox.«

Es dauerte ein Weilchen, ehe er antwortete. Es war, als müsste das Wort einen langen Weg zurücklegen.

Dann sagte er:    »Entschuldige. Was gibt’s?«

Nadine Boynton stellte das Glas behutsam auf dem Tisch ab. Dann ging sie hinüber zu Lennox.

»Lennox, draußen scheint die Sonne -dort draußen, vor dem Fenster! Dort wartet das Leben! Es ist so schön. Wir könnten mittendrin sein - statt es von hier drinnen durch das Fenster zu betrachten.«

Wieder gab er geraume Zeit keine Antwort. Dann sagte er: »Entschuldige. Möchtest du ausgehen?«

»Ja«, erwiderte sie rasch, »ich möchte hinausgehen - mit dir! Hinaus in den Sonnenschein, hinaus ins Leben! Und mit dir zusammen leben!«

Er kauerte sich tiefer in den Sessel. In seinen Augen lag ein ruheloser, gehetzter Blick.

»Nadine, mein Schatz - müssen wir schon wieder davon anfangen?«

»Ja, das müssen wir. Lass uns fortgehen und irgendwo unser eigenes Leben führen.«

»Wie denn? Wir haben doch kein Geld.«

»Dann gehen wir eben arbeiten.«

»Wie denn? Was können wir denn? Ich habe nichts gelernt. Und es gibt Tausende von Arbeitslosen - qualifizierte Leute, gut ausgebildete Leute. Nein, wir würden es nie schaffen.«

»Dann verdiene ich eben für uns beide.«

»Mein liebes Kind, du hast ja nicht einmal deine Ausbildung abgeschlossen. Es ist hoffnungslos - und unmöglich.«

»Nein, hoffnungslos und unmöglich ist nur unser derzeitiges Leben.«

»Du weißt nicht, was du da redest. Mutter ist sehr gut zu uns. Sie gibt uns alles, was wir uns nur wünschen können.«

»Außer Freiheit. Lennox, gib dir einen Ruck! Lass uns weggehen - noch heute!«

»Du bist ja verrückt, Nadine.«

»Nein, ganz und gar nicht. Ich bin absolut bei klarem Verstand. Ich möchte mein eigenes Leben führen, mit dir, draußen im Sonnenschein - nicht erdrückt vom Schatten einer alten Frau, die ein Tyrann ist und der es Vergnügen bereitet, andere unglücklich zu machen.«

»Mutter mag ja etwas autoritär sein, aber - «

»Deine Mutter ist wahnsinnig! Sie ist geisteskrank! «

»Das ist nicht wahr«, sagte er ruhig. »Sie ist eine bemerkenswert tüchtige Geschäftsfrau. «

»Das ja - vielleicht.«

»Und dir muss auch klar sein, dass sie nicht ewig leben kann. Sie wird alt, und sie ist in schlechter körperlicher Verfassung. Nach ihrem Tod wird das Vermögen meines Vaters zu gleichen Teilen unter uns Kindern aufgeteilt. Sie hat uns das Testament selbst vorgelesen, wie du weißt.«

»Wenn sie stirbt«, sagte Nadine, »ist es vielleicht zu spät.«

»Zu spät wofür?«

»Zu spät, um glücklich zu werden.«

Lennox wiederholte leise: »Zu spät, um glücklich zu werden.«

Plötzlich erschauerte er. Nadine trat näher zu ihm und legte die Hand auf seine Schulter.

»Lennox, ich liebe dich. Hier geht es um einen Kampf zwischen deiner Mutter und mir. Auf wessen Seite stehst du - auf ihrer oder meiner?«

»Auf deiner! Auf deiner natürlich!«

»Dann tu, um was ich dich bitte.«

»Das kann ich nicht!«

»Doch, du kannst es. Überleg doch mal, Lennox, wir könnten Kinder haben.«

»Mutter möchte ja, dass wir Kinder haben. Sie hat es selbst gesagt.«

»Ich weiß, aber ich werde keine Kinder in die Welt setzen, die so aufwachsen müssen, wie ihr aufgewachsen seid. Euch kann eure Mutter beeinflussen, aber über mich hat sie keine Macht.«

Lennox sagte leise: »Du machst sie manchmal wütend. Das ist sehr unklug, Nadine.«

»Sie ist bloß wütend, weil sie weiß, dass sie keinen Einfluss auf mich hat und mir nicht vorschreiben kann, was ich zu denken habe!«

»Ich weiß ja, dass du immer höflich und freundlich zu ihr bist. Du bist wunderbar. Du bist zu gut für mich. Bist es immer gewesen. Als du sagtest, dass du mich heiraten würdest, konnte ich mein Glück kaum fassen.«

Nadine sagte leise: »Es war falsch von mir, dich zu heiraten.«

»Ja, es war falsch.« Lennox’ Stimme klang hoffnungslos.

»Du verstehst nicht, was ich meine. Ich will damit sagen, wenn ich damals fortgegangen wäre und dich gebeten hätte, mit mir zu kommen, dann hättest du es getan. Ja, ich glaube, du wärst mitgekommen. Aber ich war damals noch zu jung, um deine Mutter zu durchschauen und zu begreifen, worauf sie aus war.«

Sie hielt kurz inne und fuhr dann fort: »Du weigerst dich also, mit mir wegzugehen? Nun, ich kann dich nicht dazu zwingen. Aber mir steht es frei zu gehen! Und ich glaube - ich glaube, ich werde tatsächlich fortgehen.«

Lennox starrte sie ungläubig an. Zum ersten Mal antwortete er, ohne zu zögern, als hätte der träge Strom seiner Gedanken endlich schneller zu fließen begonnen. »Aber - aber - das kannst du nicht«, stammelte er. »Mutter - Mutter würde es nie zulassen.«

»Sie kann mich nicht daran hindern.«

»Aber du hast kein Geld.«

»Ich kann arbeiten, borgen, betteln oder stehlen. Versteh doch endlich, Lennox: Deine Mutter hat keine Macht über mich! Ich kann gehen oder bleiben, ganz wie es mir beliebt.

Und allmählich glaube ich, dass ich dieses Leben lange genug ertragen habe.«

»Nadine - verlass mich nicht! Bitte verlass mich nicht!«

Sie sah ihn nachdenklich an, ruhig, mit unergründlicher Miene.

»Verlass mich nicht, Nadine.«

Er sprach wie ein Kind. Sie wandte das Gesicht ab, damit er nicht die jähe Qual in ihren Augen sah.

Sie kniete neben ihm nieder.

»Dann komm mit. Geh mit mir fort! Du kannst es. Du musst es nur wollen!«

Er wich vor ihr zurück.

»Ich kann nicht. Ich kann es einfach nicht. Begreif das doch. Gott steh mir bei -ich habe nicht den Mut dazu...«

Neuntes Kapitel

Dr. Gerard betrat die Räume des Reisebüros Castle und sah dort Sarah King am Tresen stehen.

Sie blickte auf. »Oh, guten Morgen! Ich mache gerade den Ausflug nach Petra perfekt. Wie ich höre, fahren Sie nun doch mit.«

»Ja, ich konnte es so einrichten.«

»Wie schön.«

»Werden wir eine große Gruppe sein?«