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Lady Westholme blickte mit grimmiger Befriedigung dem abfahrenden Wagen nach. »Männer glauben immer, sie könnten sich bei Frauen alles erlauben«, sagte sie.

Sarah dachte, dass ein Mann, der glaubte, sich bei Lady Westholme Freiheiten herausnehmen zu können, eine gehörige Portion Mut besitzen musste! Sie stellte Dr. Gerard vor, der gerade aus dem Hotel gekommen war.

»Ihr Name ist mir natürlich bekannt«, sagte Lady Westholme und schüttelte ihm die Hand. »Ich sprach neulich in Paris mit Professor Chantereau. Ich befasse mich in letzter Zeit nämlich eingehend mit dem Problem der Behandlung mittelloser Geisteskranker. Sehr eingehend sogar. Wollen wir nicht hineingehen und drinnen warten, bis ein besserer Wagen gebracht wird?«

Eine unscheinbare kleine Frau mittleren Alters mit grauen Haarsträhnen, die sich in der Nähe aufgehalten hatte, erwies sich als Miss Amabel Pierce, das vierte Mitglied der Reisegesellschaft. Auch sie wurde unter Lady Westholmes fürsorglichen Fittichen in die Halle expediert.

»Sind Sie berufstätig, Miss King?«

»Ja. Ich bin Ärztin.«

»Gut«, sagte Lady Westholme beifällig und etwas gönnerhaft. »Wenn sich auf der Welt etwas ändern soll, dann nur durch den tätigen Einsatz von Frauen, das können Sie mir glauben!«

Sarah, der ihr eigenes Geschlecht zum ersten Mal ein gewisses Unbehagen verursachte, folgte Lady Westholme gehorsam zu einer Sitzgruppe.

Während sie dort saßen und warteten, unterrichtete Lady Westholme alle davon, dass sie die Einladung, während ihres Aufenthaltes in Jerusalem beim Hochkommissar zu logieren, abgelehnt hatte. »Ich wollte mich nicht durch offizielle Verpflichtungen einengen lassen. Ich wollte mir selbst ein Bild machen.«

»Wovon?«, erkundigte sich Sarah.

Woraufhin Lady Westholme ihr auseinander setzte, dass sie im Solomon abgestiegen war, um tun und lassen zu können, was sie wollte. Ergänzend fügte sie hinzu, dass sie dem Hoteldirektor bereits mehrere Vorschläge bezüglich einer kompetenteren Führung des Hauses unterbreitet habe.

»Immer effizient sein«, sagte Lady Westholme, »das ist meine Devise!«

Sie schien es in der Tat zu sein. Schon eine Viertelstunde später fuhr ein großer und äußerst bequemer Wagen vor, und zu gegebener Zeit - nachdem Lady Westholme exakte Anweisungen gegeben hatte, wie das Gepäck zu verstauen war -brach die Gesellschaft auf.

Am Toten Meer wurde das erste Mal Halt gemacht. Zu Mittag aßen sie in Jericho. Danach war Lady Westholme, mit dem Baedeker bewaffnet, zusammen mit Miss Pierce, dem Doktor und dem beleibten Dragoman zu einem Rundgang durch das alte Jericho aufgebrochen, während Sarah im Garten des Hotels geblieben war.

Sie hatte leichte Kopfschmerzen und wollte allein sein. Tiefe Niedergeschlagenheit hatte sich ihrer bemächtigt -eine Niedergeschlagenheit, die sie sich nicht erklären konnte. Sie war auf einmal lustlos und desinteressiert, wollte nichts besichtigen, fühlte sich von ihren Mitreisenden angeödet. In diesem Augenblick wünschte sie nur, sie hätte sich nie auf diesen Abstecher nach Petra eingelassen. Der Ausflug würde sehr kostspielig werden, und sie war überzeugt, dass sie ihn nicht genießen würde! Lady Westholmes dröhnende Stimme, das ununterbrochene Geschnatter von Miss Pierce und das antizionistische Lamento des Dragomans strapazierten ihre Nerven schon jetzt über Gebühr. Fast ebenso sehr missfiel ihr Dr. Gerards amüsierte Miene, als wüsste er ganz genau, was in ihr vorging.

Sie fragte sich, wo die Boyntons jetzt wohl waren. Vielleicht waren sie nach Syrien weitergefahren, waren in Baalbek oder in Damaskus. Und Raymond — was er wohl gerade machte? Seltsam, wie deutlich sie sein Gesicht vor sich sah — den Eifer, die Schüchternheit, die nervöse Spannung, die darin lagen.

Ach, zum Teufel! Wozu noch an Leute denken, die ihr wahrscheinlich nie mehr über den Weg laufen würden? Die Szene mit der alten Frau - was war bloß in sie gefahren, auf die alte Dame loszumarschieren und eine Menge Unsinn vom Stapel zu lassen! Bestimmt hatten auch andere Leute etwas davon mitbekommen. Sie glaubte sich zu erinnern, dass Lady Westholme sich in der Nähe aufgehalten hatte. Sarah versuchte sich darauf zu besinnen, was genau sie zu Mrs. Boynton gesagt hatte. Irgendetwas, das völlig abstrus und hysterisch geklungen haben musste. Gütiger Himmel, sich derart zum Narren zu machen! Aber eigentlich war es ja nicht ihre Schuld, sondern die von Mrs. Boynton. Die Frau hatte etwas an sich, das einen zum Äußersten trieb.

Dr. Gerard kam in den Garten, ließ sich auf einen Stuhl fallen und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Puh! Man sollte das Weib vergiften!«, verkündete er.

Sarah schreckte hoch.

»Mrs. Boynton?«

»Wieso Mrs. Boynton? Nein, ich spreche von dieser Lady Westholme! Ich finde es einfach unglaublich, dass sie seit Jahren verheiratet ist und dass ihr Herr Gemahl es nicht schon längst getan hat! Was ist das nur für ein Mann?«

Sarah lachte.

»Nun, er ist einer von denen, die nur Jagen und Fischen im Kopf haben«, erwiderte sie.

»Psychologisch gesehen absolut verständlich! Er lässt seinen wilden Drang zu töten an der so genannten niederen Kreatur aus.«

»Angeblich ist er sehr stolz auf die Aktivitäten seiner Frau.«

Der Franzose meinte trocken: »Weil sie ihre häufige Abwesenheit von zu Hause erfordern. Das kann ich gut verstehen.«

Dann fuhr er fort: »Sagten Sie gerade Mrs. Boynton? Zweifellos wäre es eine ausgezeichnete Idee, auch diese Dame zu vergiften. Unbestreitbar die einfachste Lösung für die Probleme ihrer Familie! Man sollte überhaupt eine ganze Reihe von Frauen vergiften. Nämlich alle, die alt und hässlich geworden sind.«

Er schnitt eine viel sagende Grimasse.

Sarah rief lachend aus:    »Ach, ihr Franzosen! Eine Frau, die nicht jung und attraktiv ist, existiert für euch einfach nicht!«

Gerard zuckte mit den Schultern.

»Wir sind in dieser Hinsicht nur ehrlicher, das ist alles. Stehen etwa Engländer in der U-Bahn oder im Zug wegen einer hässlichen Frau auf? O nein!«

»Das Leben ist schon deprimierend«, sagte Sarah und seufzte.

»Sie haben keinen Grund zu seufzen, Mademoiselle.«

»Ach, ich bin heute einfach schlecht gelaunt.«

»V erständlich. «

»Was heißt hier >verständlich<?«, fauchte Sarah.

»Sie könnten die Ursache leicht herausfinden, wenn Sie Ihre innere Verfassung ehrlich analysieren würden.«

»Ich glaube, dass mir unsere Mitreisenden aufs Gemüt schlagen«, sagte Sarah. »Es klingt bestimmt schrecklich, aber ich hasse Frauen! Wenn sie albern und unbedarft sind wie Miss Pierce, machen sie mich rasend — und wenn sie so effizient sind wie Lady Westholme, regen sie mich noch viel mehr auf.«

»Meiner Meinung nach ist es unvermeidlich, dass Ihnen die beiden Damen auf die Nerven gehen. Lady Westholme ist wie geschaffen für das Leben, das sie führt; sie ist rundum glücklich und zufrieden, und sie hat Erfolg. Miss Pierce war viele Jahre als Gouvernante tätig und hat plötzlich ein bisschen Geld geerbt, das ihr erlaubt, sich den größten Wunsch ihres Lebens zu erfüllen und zu reisen. Bis jetzt hat das Reisen alle ihre Erwartungen erfüllt. Aber da Ihnen gerade ein Strich durch die Rechnung gemacht wurde und Sie nicht bekommen haben, was Sie wollten, ärgern Sie sich natürlich über Leute, die im Leben mehr erreicht haben als Sie.«