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»Ja, ich glaube schon. Sie haben alle sehr viel mitgemacht. Sie — sie sollten nicht noch mehr durchmachen müssen.«

»Und la maman? Sie war unangenehm, tyrannisch, ekelhaft und darum entschieden besser tot als lebendig, nest-ce pas?«

»Wenn Sie es so ausdrücken — « Sarah hielt errötend inne und fuhr dann fort: »Ich gebe zu, dass man dergleichen nicht in Betracht ziehen sollte.«

»Aber man tut es trotzdem! Das heißt, Sie tun es, Mademoiselle! Nicht ich — ich tue es nicht! Für mich spielt das keine Rolle. Das Opfer mag ein wahrer Heiliger sein oder aber ein infames Ungeheuer. Es berührt mich nicht. Der Sachverhalt ist der gleiche. Ein Leben wurde genommen! Ich betone es noch einmaclass="underline" Ich kann Mord nicht billigen.«

»Mord?« Sarah zog scharf die Luft ein. »Aber was für Beweise gibt es dafür? Doch nur extrem fadenscheinige! Selbst Dr. Gerard ist sich seiner Sache nicht sicher!«

Poirot sagte ruhig: »Es gibt noch andere Indizien, Mademoiselle.«

»Und die wären?« Ihre Stimme klang schneidend.

»»Der Einstich einer Injektionsnadel am Handgelenk der Toten. Und noch etwas — eine Bemerkung, die ich in Jerusalem mit anhörte, in einer klaren, stillen Nacht, als ich mein Schlafzimmerfenster schließen wollte. Soll ich Ihnen den genauen Wortlaut verraten, Miss King? Nun denn. Ich hörte Mr. Raymond Boynton sagen: >Du siehst doch ein, dass sie sterben muß!<«

Er bemerkte, dass alle Farbe aus Sarahs Gesicht wich.

Sie sagte: »Das haben Sie gehört?«

»Ja.«

Die junge Frau starrte wie versteinert vor sich hin.

Schließlich sagte sie: »Ausgerechnet Sie mussten das hören!«

Poirot nickte. »Ja, ausgerechnet ich. Dergleichen kommt vor. Verstehen Sie jetzt, warum ich meine, dass eine Untersuchung erforderlich ist?«

Sarah sagte leise: »Ich glaube, Sie haben Recht.«

»Ah! Und werden Sie mir helfen?«

»Selbstverständlich.«

Es klang sachlich, emotionslos. Sie blickte Poirot kühl in die Augen.

Poirot deutete eine Verbeugung an. »Ich danke Ihnen, Mademoiselle. Dann möchte ich Sie jetzt bitten, mir in Ihren eigenen Worten exakt alle Ereignisse des bewussten Tages zu schildern, an die Sie sich erinnern.«

Sarah dachte kurz nach.

»Lassen Sie mich überlegen. Vormittags haben wir einen Ausflug gemacht. Von den Boyntons war keiner dabei. Ich sah sie erst beim Mittagessen. Sie waren gerade fertig, als wir zurückkamen. Mrs. Boynton schien ungewöhnlich gut aufgelegt zu sein.«

»Sie war gewöhnlich nicht besonders freundlich, wie ich höre.«

»Das können Sie laut sagen!«, bestätigte Sarah und verzog das Gesicht.

Dann schilderte sie, wie Mrs. Boynton ihrer Familie für den Nachmittag freigegeben hatte.

»Auch das war ungewöhnlich?«

»O ja! Normalerweise wollte sie immer alle um sich haben.«

»Glauben Sie, dass sie vielleicht plötzlich Gewissensbisse hatte — dass sie hatte, wie sagt man — un bon moment?«

»Nein, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen«, sagte Sarah unverblümt.

»Was dachten Sie dann?«

»Ich war perplex. Ich hatte den Verdacht, dass es so eine Art Katz-und-Maus-Spiel war.«

»Würden Sie das bitte erläutern, Mademoiselle?«

»Es macht der Katze Spaß, die gefangene Maus loszulassen und sie dann wieder einzufangen. Mrs. Boynton besaß eine ähnliche Mentalität. Ich dachte, dass sie eine neue Gemeinheit im Schilde führt.«

»Und was    geschah    dann, Mademoiselle?«

»Die Bonytons machten einen Spaziergang. «

»Alle?«

»Nein. Die Jüngste, Ginevra, musste im Camp bleiben. Sie sollte sich hinlegen.«

»War das auch ihr eigener Wunsch?«

»Nein. Aber darauf kam es nicht an. Sie hatte zu gehorchen. Die anderen brachen auf. Dr. Gerard und ich schlossen uns ihnen an.«

»Wann war das?«

»Gegen halb vier.«

»Wo war Mrs. Boynton zu der Zeit?«

»Nadine — die junge Mrs. Boynton — hatte es ihr auf einem Stuhl draußen vor ihrer Höhle bequem gemacht.«

»Fahren Sie fort.«

»Hinter der Biegung holten Dr. Gerard und ich die anderen ein. Wir gingen alle zusammen weiter. Nach einiger Zeit kehrte Dr. Gerard dann um. Er hatte sich offenbar schon eine ganze Weile nicht wohl gefühlt. Ich sah, dass er Fieber hatte. Ich bot an, ihn zu begleiten, aber er wollte nichts davon hören.«

»Um wie viel Uhr war das?«

»So gegen vier, würde ich sagen.«

»Und die anderen?«

»Wir gingen weiter.«

»Alle zusammen?«

»Zuerst ja. Dann trennten wir uns.« Sarah sprach rasch weiter, als ahnte sie die nächste Frage schon. »Nadine Boynton und Mr. Cope gingen in die eine Richtung, und Carol, Lennox, Raymond und ich gingen in eine andere.«

»Und so setzten Sie Ihren Weg fort?«

»Nun ja — nicht ganz. Raymond Boynton und ich verließen die anderen. Wir setzten uns auf eine Felsplatte und bewunderten die wildromantische Landschaft. Dann ging er zurück, während ich noch einige Zeit blieb. Als ich auf die Uhr schaute, war es kurz vor halb sechs, und mir wurde klar, dass ich mich auf den Heimweg machen musste. Ich kam gegen sechs im Camp an. Die Sonne ging gerade unter.«

»Kamen Sie unterwegs an Mrs. Boynton vorbei?«

»Ich sah nur, dass sie noch immer droben auf ihrem Stuhl saß.«

»Und das kam Ihnen nicht merkwürdig vor — dass sie sich nicht von der Stelle gerührt hatte?«

»Nein, weil ich sie schon am Vorabend bei unserer Ankunft dort hatte sitzen sehen.«

»Ich verstehe. Continuez.«

»Ich ging ins Gemeinschaftszelt. Außer Dr. Gerard waren schon alle da. Ich machte mich frisch und kam dann zurück ins Gemeinschaftszelt. Das Abendessen wurde aufgetragen, und einer der Diener ging los, um Mrs. Boynton zu holen. Er kam zurückgerannt und sagte, dass sie krank sei. Ich ging sofort zu ihr. Sie saß noch genau so auf ihrem Stuhl wie vorher, aber als ich sie anfasste, merkte ich, dass sie tot war.«

»Für Sie bestand kein Zweifel, dass sie eines natürlichen Todes gestorben war?«

»Nicht der geringste. Ich hatte gehört, dass sie ein Herzleiden hatte, aber genau welches war mir nicht bekannt.«

»Sie dachten lediglich, sie sei in ihrem Stuhl sitzend gestorben?«

»Ja.«

»Ohne um Hilfe zu rufen?«

»Ja. Das ist nichts Außergewöhnliches. Sie konnte ohne weiteres im Schlaf gestorben sein. Es ist durchaus denkbar, dass sie eingenickt war. Außerdem schliefen alle im Camp sowieso fast den ganzen Nachmittag. Niemand hätte sie gehört, es sei denn, sie hätte sehr laut gerufen.«

»Konnten Sie feststellen, wie lange sie schon tot war?«

»Nun, darüber habe ich nicht weiter nachgedacht. Sie war auf jeden Fall schon einige Zeit tot.«

»Was verstehen Sie unter >schon einige Zeit<?«, fragte Poirot.

»Nun, mindestens eine Stunde. Vielleicht auch länger. Die von den Felsen zurückstrahlende Wärme hätte ein rasches Erkalten der Leiche verhindert.«

»Mindestens eine Stunde? Ist Ihnen bekannt, Mademoiselle King, dass Raymond Boynton nur eine gute halbe Stunde früher mit seiner Mutter sprach und dass sie da lebte und wohlauf war?«

Sie wich seinem Blick aus und schüttelte dann den Kopf. »Er muss sich irren. Es muss früher gewesen sein.«

»Nein, Mademoiselle, es war nicht früher.«

Sie sah ihn wieder geradeheraus an. Poirot fiel erneut der energische Zug um ihren Mund auf.