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Miss Pierce hielt dramatisch inne.

Lady Westholme, die es nicht billigen konnte, dass ihr Trabant plötzlich ins Rampenlicht drängte, sagte frostig: »Haben Sie noch weitere Fragen, Monsieur Poirot?«

Poirot, der in Gedanken versunken gewesen war, kam mit einem Ruck zu sich. »Nein — nein, keine. Sie waren sehr präzise — sehr exakt.«

»Ich habe ein ausgezeichnetes Gedächtnis«, stellte Lady Westholme mit Befriedigung fest.

»Eine letzte kleine Bitte noch, Lady Westholme«, sagte Poirot. »Bitte bleiben Sie so, wie Sie jetzt sitzen, und drehen Sie sich nicht um. Wären Sie wohl so freundlich, mir zu beschreiben, was Miss Pierce heute trägt — natürlich nur, wenn Miss Pierce nichts dagegen einzuwenden hat?«

»O nein! Ganz und gar nicht!«, zwitscherte Miss Pierce.

»Also wirklich, Monsieur Poirot! Und was ist der Zweck dieser Übung?«

»Bitte tun Sie, um was ich Sie gebeten habe, Madame.«

Lady Westholme zuckte mit den Schultern und sagte dann ziemlich unwirsch: »Miss Pierce trägt ein braun und weiß gestreiftes Baumwollkleid und dazu einen sudanesischen Gürtel aus rotem, blauem und beigem Leder. Sie trägt beige Seidenstrümpfe und Spangenschuhe aus braunem Glanzleder. Im linken Strumpf hat sie eine Laufmasche. Sie trägt eine Halskette aus Karneolen und eine aus leuchtend königsblauen Glasperlen — und eine Brosche mit einem Schmetterling aus Perlen darauf. Am Ringfinger der rechten Hand trägt sie einen Ring mit einer Skarabäus-Imitation. Auf dem Kopf hat sie einen breitkrempigen Sonnenhut aus rosa und braunem Filz.« Sie hielt inne — wie um ihre Kompetenz zu unterstreichen.

»Noch weitere Fragen?«, erkundigte sie sich kühl.

Poirot breitete viel sagend die Hände aus.

»Sie haben meine volle Bewunderung, Madame. Ihre Beobachtungsgabe ist unübertrefflich. «

»Mir entgeht selten etwas.«

Lady Westholme erhob sich, nickte andeutungsweise und verließ das Zimmer.

Als Miss Pierce, mit einem verlegenen Blick auf ihr linkes Bein, ihr folgen wollte, sagte Poirot: »Einen kleinen Moment bitte, Mademoiselle.«

»Ja?« Miss Pierce blickte mit leicht besorgter Miene auf.

Poirot beugte sich vertraulich vor.

»Sehen Sie den Blumenstrauß dort auf dem Tisch?«

»Ja«, sagte Miss Pierce erstaunt.

»Und haben Sie bemerkt, nachdem Sie ins Zimmer kamen, dass ich ein- oder zweimal niesen musste?«

»Ja?«

»Bemerkten Sie, ob ich kurz davor an den Blumen gerochen hatte?«

»Tja — also — nein — das weiß ich wirklich nicht.«

»Aber Sie erinnern sich, dass ich niesen musste?«

»O ja, daran erinnere ich mich!«

»Nun, egal, es ist nicht weiter wichtig. Ich habe mich nur gefragt, ob diese Blumen vielleicht Heuschnupfen verursachen. Egal!«

»Heuschnupfen?«, rief Miss Pierce. »Ich entsinne mich, dass eine Cousine von mir wahnsinnig darunter zu leiden hatte! Sie sagte immer, wenn man sich täglich Boraxlösung in die Nase sprüht, dann — «

Nur mit Mühe gelang es Poirot, weitere Ausführungen bezüglich der Behandlung des Heuschnupfens besagter Cousine zu unterbinden und Miss Pierce loszuwerden. Er machte die Tür hinter ihr zu und kehrte mit gerunzelter Stirn ins Zimmer zurück.

»Aber ich habe überhaupt nicht geniest«, murmelte er. »So viel zu diesem Thema. Nein, ich habe nicht geniest.«

Sechstes Kapitel

Lennox Boynton kam mit schnellen, resoluten Schritten ins Zimmer. Wäre Dr. Gerard anwesend gewesen, so hätte er gestaunt, welche Veränderung in dem Mann vorgegangen war. Die Apathie war verschwunden. Sein Auftreten wirkte sicher — obwohl er ganz offenkundig nervös war. Seine Augen waren ständig in Bewegung, schweiften unruhig im Zimmer herum.

»Guten Morgen, Mr. Boynton.«, Poirot erhob sich und machte eine förmliche Verbeugung, die Lennox etwas steif erwiderte. »Ich weiß es zu schätzen, dass Sie mir diese Unterredung gewähren.«

Lennox Boynton sagte ziemlich verunsichert:    »Äh — Colonel Carbury meinte, dass es sinnvoll wäre — empfahl mir — irgendwelche Formalitäten, wie er sagte.«

»Bitte nehmen Sie Platz, Monsieur Boynton.«

Lennox setzte sich auf den Stuhl, auf dem noch vor kurzem Lady Westholme gesessen hatte. Poirot fuhr im Plauderton fort: »Das muss ein großer Schock für Sie gewesen sein, nest-ce pas?«

»Ja, natürlich. Nun, nein, vielleicht doch nicht... Wir wussten ja, dass Mutter ein schwaches Herz hatte.«

»War es unter diesen Umständen klug, ihr zu erlauben, eine so strapaziöse Reise auf sich zu nehmen?«

Lennox Boynton blickte auf. Seine Antwort entbehrte nicht einer gewissen melancholischen Würde.

»Meine Mutter, Monsieur — äh — Poirot, traf ihre eigenen Entscheidungen. Wenn sie sich zu etwas entschlossen hatte, war es zwecklos, sie davon abbringen zu wollen.«

Bei den letzten Worten zog er scharf die Luft ein. Sein Gesicht wurde plötzlich sehr blass.

»Ich weiß sehr wohl«, räumte Poirot ein, »dass ältere Damen gelegentlich höchst eigensinnig sind.«

Lennox sagte gereizt: »Was soll das Ganze eigentlich? Das möchte ich jetzt wirklich wissen! Wieso gibt es da auf einmal irgendwelche Formalitäten?«

»Es ist Ihnen vielleicht nicht bekannt, Mr. Boynton, aber in Fällen eines plötzlichen und ungeklärten Todes sind zwangsläufig gewisse Formalitäten zu beachten.«

Lennox sagte scharf: »Was meinen Sie mit >ungeklärt<?«

Poirot zuckte mit den Schultern. »Es stellt sich immer die Frage: War es ein natürlicher Tod — oder könnte es vielleicht Selbstmord gewesen sein?«

»Selbstmord?« Lennox Boynton starrte Poirot entgeistert an.

Poirot sagte leichthin: »Sie wissen das selbstverständlich am besten. Colonel Carbury tappt natürlich im Dunkeln. Aber er muss entscheiden, ob er eine Untersuchung anordnen soll oder nicht — eine Obduktion und ähnliche Dinge. Da ich zufällig gerade hier war und da ich in derlei Dingen große Erfahrung besitze, schlug er mir vor, Nachforschungen anzustellen und ihn zu beraten in dieser Angelegenheit. Natürlich möchte er Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten, wenn es sich vermeiden lässt.«

Lennox Boynton sagte ärgerlich: »Ich werde unserem Konsul in Jerusalem telegrafieren.«

Poirot sagte verbindlich: »Das ist selbstverständlich Ihr gutes Recht.«

Beide schwiegen. Schließlich breitete Poirot die Hände aus und sagte: »Wenn Sie meine Fragen nicht beantworten wollen — «

»Nein, nein«, sagte Lennox Boynton rasch. »Ich — mir kommt das alles nur — völlig überflüssig vor.«

»Ich verstehe. Ich verstehe vollkommen. Aber die Sache ist sehr einfach. Reine Routine, wie man so sagt. Alors, an dem Tag, an dem Ihre Mutter starb, verließen Sie nachmittags das Camp in Petra und machten einen Spaziergang. Ist das richtig?«

»Ja. Wir machten alle einen Spaziergang — mit Ausnahme meiner Mutter und meiner jüngsten Schwester.«

»Ihre Mutter saß zu dieser Zeit vor ihrer Höhle?«

»Ja, direkt vor dem Eingang. Dort saß sie jeden Nachmittag.«

»Gut. Wann brachen Sie auf?«

»Kurz nach drei, glaube ich.«

»Und wann kehrten Sie von Ihrem Spaziergang zurück?«

»Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen — gegen vier, vielleicht auch gegen fünf.«

»Also ein bis zwei Stunden, nachdem Sie aufgebrochen waren?«

»Ja — so ungefähr, würde ich sagen.«

»Kamen Sie auf dem Rückweg an jemand vorbei?«

»Wie meinen Sie das?«

»Ob Sie auf dem Rückweg an jemand vorbeikamen. Zum Beispiel an zwei Damen, die auf einem Stein saßen.«