Выбрать главу

Poirot sprach ihn auf die vorgebrachte Anschuldigung an. »Da wäre noch eine Kleinigkeit. Die tote Dame hatte sich über einen der Boys geärgert. Wissen Sie, über welchen und aus welchem Grund?«

Mahmoud hob beide Hände gen Himmel.

»Ich soll wissen? Warum ich? Alte Dame nicht sich beschweren bei mir.«

»Könnten Sie es herausfinden?«

»Nein, mein gnädiger Herr, das nicht möglich. So etwas Boys nie zugeben. Alte Dame sich geärgert, Sie sagen? Dann Boys bestimmt nichts verraten. Abdul sagen, war Mohammed, und Mohammed sagen, war Aziz, und Aziz sagen, war Aissa und so weiter. Sie alle sehr dumme Beduinen — verstehen nichts.«

Er holte Luft und fuhr fort: »Aber ich, ich habe Vorzug von Missionsschule. Ich kann aufsagen Keats, Shelley — Sie wollen hören? Iadadoveandasweedovedied’ — ««

Poirot zuckte zusammen. Obwohl Englisch nicht seine Muttersprache war, kannte er dieses Gedicht gut genug, um bei Mahmouds eigenwilliger Aussprache körperliche Schmerzen zu empfinden.

»Hervorragend!«, sagte er schnell. »Hervorragend! Ich werde Sie ganz gewiss allen meinen Freunden empfehlen.«

Er schaffte es mit List und Tücke, den redseligen Dragoman loszuwerden. Dann ging er mit seiner Liste zu Colonel Carbury, den er in seinem Büro antraf.

Carbury rückte seinen Krawattenknoten etwas schiefer und fragte: »Gibt’s was Neues?«

Poirot sagte: »Wollen Sie meine Theorie hören?«

»Wenns sein muss«, sagte Colonel Carbury und seufzte. Schließlich hatte er sich im Laufe seines Lebens schon so manche Theorie anhören müssen.

»Meine Theorie sagt, die Kriminologie ist die einfachste Wissenschaft von der Welt! Man muss Kriminelle nur reden lassen — früher oder später verraten sie Ihnen alles.«

»Ich erinnere mich, Sie schon einmal etwas Ähnliches sagen gehört zu haben. Und wer hat Ihnen etwas verraten?«

»Jeder.« Poirot schilderte kurz die Unterredungen, die er an diesem Vormittag geführt hatte.

»Hm«, brummte Carbury. »Na schön, Sie haben offenbar den einen oder anderen Fingerzeig bekommen. Nur schade, dass jeder in eine andere Richtung zu deuten scheint. Das Einzige, was mich interessiert, ist, ob wir etwas in der Hand haben.«

»Nein.«

Carbury seufzte abermals. »Das habe ich befürchtet.«

»Aber vor Einbruch der Dunkelheit«, sagte Poirot, »werden Sie die Wahrheit haben!«

»Naja, mehr hatten Sie mir auch nicht versprochen«, sagte Colonel Carbury. »Und ich habe stark bezweifelt, dass Sie es schaffen würden! Sind Sie Ihrer Sache sicher?«

»Absolut sicher.«

»Muss ein schönes Gefühl sein«, meinte Colonel Carbury. Falls seine Augen ironisch funkelten, so schien Poirot nichts davon zu bemerken. Er holte seine Liste hervor.

»Sauber«, sagte Colonel Carbury beifällig und beugte sich über sie.

Ein oder zwei Minuten später sagte er: »Wissen Sie, was ich glaube?«

»Ich wäre entzückt, wenn Sie es mir verraten würden.«

»Der junge Raymond Boynton ist aus dem Schneider.«

»Ah! Meinen Sie?«

»Ja. Ist doch sonnenklar, was er dachte. Wir hätten es eigentlich von Anfang an wissen müssen. Weil er, genau wie in Kriminalromanen, der Hauptverdächtige ist. Da Sie ihn praktisch haben sagen hören, dass er die alte Dame um die Ecke bringen will, hätten wir eigentlich wissen müssen, dass er unschuldig ist!«

»Sie lesen Kriminalromane?«

»Stapelweise«, sagte Colonel Carbury. Fast wie ein kleiner Junge setzte er sehnsüchtig hinzu: »Sie könnten es wohl nicht so machen wie die Detektive in den Büchern? Eine Liste der wesentlichen Fakten zusammenstellen — Dinge, die scheinbar nichts zu bedeuten haben, in Wahrheit aber furchtbar wichtig sind? So was in der Art eben.«

»Ah!«, sagte Poirot freundlich. »Diese Art von Kriminalromanen gefällt Ihnen also besonders? Aber gern, es wird mir ein Vergnügen sein.«

Er griff nach einem Blatt Papier und schrieb schnell und fein säuberlich:

Entscheidende Fakten

Mrs. Boynton nahm ein Medikament, das Digitalis enthielt.

Dr. Gerard vermisste eine Inj ektionsspritze.

Es machte Mrs. Boynton Spaß, ihre Familie daran zu hindern, mit anderen Menschen zusammen zu sein.

Mrs. Boynton ermunterte ihre Familie an dem besagten Nachmittag, einen Spaziergang zu machen und sie allein zu lassen.

Mrs. Boynton war eine Sadistin.

Die Entfernung zwischen dem Gemeinschaftszelt und der Stelle, wo Mrs. Boynton saß, beträgt (circa) 200 Meter.

Mr. Lennox Boynton sagte zunächst aus, er wisse nicht, wann er ins Camp zurückgekommen sei, gab später jedoch zu, die Armbanduhr seiner Mutter gestellt zu haben.

Das Zelt von Dr. Gerard stand direkt neben dem von Miss Ginevra Boynton.

Um 18.30 Uhr, als das Abendessen fertig war, wurde ein Diener zu Mrs. Boynton geschickt, um sie zu holen.

Nachdem der Colonel die Aufstellung gelesen hatte, war er hoch zufrieden.

»Kolossal!«, sagte er. »Genau das, was ich haben wollte! Sie haben es ziemlich schwer gemacht — und scheinbar belanglos — exakt so, wie es sein muss! Im Übrigen scheinen Sie mir ein oder zwei wichtige Fakten ausgelassen zu haben. Aber damit wollen Sie wohl jemand auf den Leim führen, stimmt’s?«

Poirots Augen blitzten kurz auf, doch er gab keine Antwort.

»Zum Beispiel Punkt zwei«, sagte Colonel Carbury versuchsweise. »Dr. Gerard vermisste eine Injektionsspritze. Richtig. Aber er vermisste auch eine konzentrierte Lösung Digitalis oder wie das Zeug heißt.«

»Letzteres«, sagte Poirot, »ist nicht in der gleichen Weise von Bedeutung wie das Fehlen der Spritze.«

»Hervorragend!«, sagte Colonel Carbury und strahlte über das ganze Gesicht. »Denn das kapiere ich nun überhaupt nicht. Für meine Begriffe ist das Digitalis nämlich viel wichtiger als die Spritze! Und wieso taucht eigentlich immer wieder ein Diener auf? Der Diener, der ihr sagen soll, dass das Abendessen fertig ist — und dann der Diener, dem sie nachmittags mit dem Stock gedroht hat? Sie werden mir doch nicht erzählen wollen, dass einer meiner geistig minderbemittelten Wüstensöhne sie um die Ecke gebracht hat? Denn das«, fügte Colonel Carbury in strengem Ton hinzu, »das wäre gemogelt.«

Poirot lächelte, gab jedoch keine Antwort. Als er Carburys Büro verließ, murmelte er vor sich hin: »Unglaublich! Diese Engländer werden doch nie erwachsen!«

Elftes Kapitel

Sarah King saß auf der Kuppe eines Hügels und riss zerstreut wilde Blumen ab. Dr. Gerard saß neben ihr auf einem groben Steinmäuerchen.

Plötzlich sagte sie heftig: »Warum mussten Sie die ganze Sache ins Rollen bringen? Wenn Sie nicht gewesen wären —«

Dr. Gerard sagte langsam: »Sie meinen, ich hätte schweigen sollen?«

»Ja.«

»Obwohl ich wusste, was ich wusste?«

»»Gewusst haben Sie gar nichts«, sagte Sarah.

Der Franzose seufzte. »Sie täuschen sich. Aber ich gebe zu, dass man nie absolut sicher sein kann.«

»Doch, das kann man«, sagte Sarah kompromisslos.

Der Franzose zuckte mit den Schultern. »Sie vielleicht!«

»Sie hatten Fieber«, sagte Sarah, »hohes Fieber, Da konnten Sie doch nicht klar denken! Die Spritze war vermutlich die ganze Zeit da. Und was das Digitoxin anbelangt, könnten Sie sich geirrt haben, oder einer der Diener könnte sich an Ihrer Tasche zu schaffen gemacht haben.«