Выбрать главу

In ihrer Stimme lag ein merkwürdiger Ton. Die Antworten kamen auf der Stelle. »Nein, Mutter.«

»O nein!«

»Nein, auf gar keinen Fall!«

Mrs. Boynton lächelte wieder auf diese merkwürdige Art und sagte: »Da sehen Sie es - sie wollen mich nicht allein lassen. Und wie steht es mit dir, Nadine? Du sagst ja gar nichts.«

»Nein, danke, Mutter. Es sei denn, dass Lennox fahren möchte.«

Mrs. Boynton drehte den Kopf langsam nach ihrem Sohn um.

»Nun, Lennox, was ist? Warum fahrt ihr beiden nicht mit? Nadine scheint viel daran zu liegen.«

Lennox fuhr zusammen, blickte auf. »Ich - äh - nein, ich - ich glaube, wir bleiben lieber alle beieinander.«

Mr. Cope sagte fröhlich: »Also das nenne ich wirklich eine mustergültige Familie!« Doch in der Fröhlichkeit schwang ein hohler und gezwungener Unterton mit.

»Wir bleiben eben gerne unter uns«, sagte Mrs. Boynton. Sie begann ihr Wollknäuel aufzurollen. »Ach, Raymond, wer war übrigens die junge Frau, die dich vorhin angesprochen hat?«

Raymond schreckte nervös zusammen. Er wurde rot und dann blass.

»Ich - ich weiß nicht, wie sie heißt. Sie -sie war im gleichen Zug wie wir.«

Mrs. Boynton begann sich langsam aus ihrem Sessel zu wuchten.

»Ich glaube nicht, dass wir viel mit ihr zu tun haben werden«, sagte sie.

Nadine stand auf und half der alten Frau beim Aufstehen. Sie ging dabei so sachkundig und geschickt vor, dass es Gerards Aufmerksamkeit erregte.

»Schlafenszeit«, sagte Mrs. Boynton. »Gute Nacht, Mr. Cope.«

»Gute Nacht, Mrs. Boynton. Gute Nacht, Mrs. Lennox.«

Die kleine Prozession entfernte sich. Es schien keinem der jüngeren Familienmitglieder in den Sinn zu kommen, noch zu bleiben. Mr. Cope stand da und sah ihnen nach. Auf seinem Gesicht lag ein sonderbarer Ausdruck.

Wie Dr. Gerard aus Erfahrung wusste, sind Amerikaner von Natur aus umgängliche Menschen. Sie sind nicht so ängstlich und misstrauisch, wie Engländer es auf Reisen sind. Für einen Mann mit Dr. Gerards Taktgefühl war es daher nicht weiter schwierig, Mr. Copes Bekanntschaft zu machen. Der Amerikaner war allein und, wie die meisten seiner Landsleute, bereit, umgänglich und aufgeschlossen zu sein. Dr. Gerard zückte wieder seine Visitenkarte.

Mr. Jefferson Cope war gebührend beeindruckt, als er den Namen las.

»Dr. Gerard! Waren Sie nicht erst kürzlich in den Staaten?«

»Im letzten Herbst. Ich habe in Harvard Vorlesungen gehalten.«

»Natürlich! Sie sind eine der namhaftesten Persönlichkeiten auf Ihrem Gebiet, Dr. Gerard. Und in Paris dürften Sie der führende Vertreter Ihres Fachs sein.«

»Sie sind wirklich zu gütig, mein Lieber! Ich muss mich dagegen verwahren.«

»Aber ganz und gar nicht! Es ist mir eine große Ehre, Sie kennen zu lernen. Im Moment sind ja eine ganze Reihe bekannter Leute in Jerusalem. Zum einen Sie selbst, dann Lord Welldon und Sir Gabriel Steinbaum, der Finanzmagnat. Außerdem der bekannte alte englische Archäologe Sir Manders Stone. Und Lady Westholme, eine prominente englische Politikerin. Und natürlich der berühmte belgische Privatdetektiv Hercule Poirot.«

»Der kleine Hercule Poirot? Der ist hier?«

»Ich habe seinen Namen in der hiesigen Zeitung gelesen und dass er erst vor kurzem eingetroffen ist. Alle Welt scheint derzeit im Solomon zu logieren. Ein wirklich erstklassiges Haus, muss ich sagen. Und sehr geschmackvoll eingerichtet.«

Mr. Jefferson Cope unterhielt sich offensichtlich prächtig. Dr. Gerard war ein Mann, der sehr viel Charme entfalten konnte, wenn er es darauf anlegte. Und so begaben sich die beiden Herren schon nach kurzer Zeit in die Bar.

Nach einigen Highballs sagte Gerard: »Sagen Sie, war das eine typische amerikanische Familie, mit der Sie vorhin sprachen?«

Jefferson Cope nippte nachdenklich an seinem Drink. Dann sagte er: »Eigentlich nicht. Nein, absolut typisch würde ich sie nicht nennen.«

»Nein? Sie scheinen alle sehr aneinander zu hängen.«

Mr. Cope sagte bedächtig: »Sie meinen, weil alles um die alte Dame zu kreisen scheint? Das stimmt allerdings. Sie ist ja auch eine ganz erstaunliche alte Dame.«

»Tatsächlich? «

Mr. Cope ließ sich nicht lange bitten. Gerards kleine Ermunterung genügte völlig.

»Ich will gerne zugeben, Dr. Gerard, dass mir diese Familie in letzter Zeit ziemlich viel im Kopf herumgeht. Ich habe lange über sie nachgedacht. Offen gesagt würde es mir gut tun, wenn ich mit Ihnen darüber reden könnte. Natürlich nur, wenn es Sie nicht langweilt!«

Dr. Gerard wies diesen Gedanken weit von sich. Mr. Jefferson Cope sprach bedächtig weiter, und auf seinem Gesicht zeichnete sich eine gewisse Ratlosigkeit ab.

»Ich will Ihnen gleich sagen, dass ich ein bisschen besorgt bin. Mrs. Boynton ist nämlich eine alte Freundin von mir. Nicht die alte Mrs. Boynton, sondern die junge, die Frau von Lennox Boynton.«

»Ah, Sie meinen die reizende dunkelhaarige junge Dame.«

»Genau. Nadine Boynton. Nadine ist ein wunderbarer Mensch, Dr. Gerard. Ich kannte sie schon vor ihrer Heirat. Sie arbeitete damals im Krankenhaus, war in der Ausbildung zur Krankenschwester. Irgendwann verbrachte sie dann ihren Urlaub bei den Boyntons und heiratete Lennox.«

»Tatsächlich? «

Mr. Jefferson Cope nippte wieder an seinem Highball und fuhr fort: »Ich würde Ihnen gerne ein bisschen mehr über den Hintergrund der Familie Boynton erzählen, Dr. Gerard.«

»Ja? Das würde mich sehr interessieren. «

»Wissen Sie, der verstorbene Eimer Boynton, ein ziemlich bekannter Mann und ein sehr liebenswürdiger Mensch, war zweimal verheiratet. Seine erste Frau starb, als Carol und Raymond noch ganz klein waren. Wie man hört, soll die zweite Mrs. Boynton eine gut aussehende Frau gewesen sein, als er sie heiratete, wenn auch nicht mehr gerade jung. Schwer vorstellbar, dass sie mal gut ausgesehen haben soll, wenn man sie jetzt so sieht, aber ich habe es aus zuverlässiger Quelle. Jedenfalls hielt ihr Mann große Stücke auf sie und verließ sich fast in allem auf ihr Urteil. Vor seinem Tod war er jahrelang leidend, und in der Zeit hatte sie praktisch das Heft in der Hand. Sie ist sehr tüchtig und hat eine gute Nase für geschäftliche Dinge. Und dazu sehr gewissenhaft. Nach Eimers Tod widmete sie sich ganz und gar den Kindern. Eins davon ist von ihr -Ginevra, das hübsche rothaarige Mädchen, aber ein bisschen zart. Nun, wie gesagt, Mrs. Boynton widmete sich nur noch ihrer Familie. Sie kapselte sich einfach vollkommen von der Welt ab. Ich weiß ja nicht, wie Sie darüber denken, Dr. Gerard, aber ich halte das nicht unbedingt für sehr vernünftig.«

»Ich stimme Ihnen zu. Auf die geistige Entwicklung junger Menschen wirkt sich dergleichen sehr negativ aus.«

»Genau, Sie haben es auf den Punkt gebracht. Mrs. Boynton schirmte die Kinder von ihrer Umwelt ab und ließ sie nie mit Außenstehenden in Berührung kommen. Das Resultat ist, dass alle - nun ja, irgendwie verstört sind. Verschreckt, wenn Sie wissen, was ich meine. Können sich mit niemand anfreunden. Und das ist schlecht.«

»Sehr schlecht sogar.«

»Ich bezweifle ja nicht, dass Mrs. Boynton es gut meinte. Aber sie hat es mit der Fürsorge übertrieben.«

»Leben alle noch zu Hause?«, fragte der Arzt.

»Ja.«

»Und die Söhne arbeiten nicht?«

»O nein. Eimer Boynton war ein reicher Mann. Er hinterließ sein gesamtes Vermögen Mrs. Boynton auf Lebenszeit -aber es galt natürlich als ausgemacht, dass das Geld für den Lebensunterhalt der Familie ganz allgemein ist.«

»Das heißt, dass alle finanziell von ihr abhängig sind?«