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Abu Dun zog eine Grimasse, war aber klug genug, auf eine Antwort zu verzichten. Andrej hingegen fragte sich, ob er möglicherweise einen gar nicht so dummen Vorschlag gemacht hatte, ohne es zu beabsichtigen. Sie waren immerhin auf der Suche nach einer Zigeunerin - und wo sollte man mit dieser Suche beginnen, wenn nicht beim fahrenden Volk?

Sie ritten weiter. Eine kalte Brise schlug ihnen ins Gesicht, als solle ihnen klargemacht werden, dass sie in diesem Land nicht willkommen waren. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, und der Herbst versprach früh und kalt zu kommen.

Eine Weile folgten sie der nur teilweise gepflasterten Straße, die sich in manchmal vollkommen sinnlos scheinenden Kehren und Windungen in ein lang gestrecktes Tal schlängelte, in dem sich eine lockere Ansammlung von Häusern und vereinzelt stehenden Gehöften befand; zu weit auseinander gezogen, um eine richtige Ortschaft zu bilden, aber trotzdem mit einer Kirche in der Mitte und einem großzügig bemessenen Dorfplatz ausgestattet. Es waren hübsche, saubere Gebäude mit weiß gestrichenen Wänden und roten und schwarzen Schindeldächern. Die größtenteils schon abgeernteten Felder, die sich an die Hänge schmiegten, machten allesamt einen ordentlichen Eindruck. Dennoch erfüllte der Anblick Andrej mit Unbehagen.

Abu Dun schien es ganz ähnlich zu ergehen, denn er knurrte leise: »Das gefällt mir nicht.«

»Mir auch nicht«, sagte Andrej. »Aber jetzt frag mich nicht, warum.«

»Weil es eine Falle ist«, erklärte Abu Dun. »Sieh dir dieses Rattenloch an! Niemand kommt dort raus, wenn die da unten es nicht wollen.«

Zweifellos war es ursprünglich anders geplant worden, überlegte Andrej.

Man musste schon ein so geschultes Auge haben wie Abu Dun, aber einmal darauf aufmerksam geworden, war es nicht zu übersehen: Das Tal bildete eine natürliche Festung, die auch von wenigen Verteidigern lange gegen eine Übermacht gehalten werden konnte. Aber wenn die Bewohner des Dorfes dort unten jemanden in ihrem Tal festhalten wollten, dann konnten sie es tun.

Aber warum sollten sie es tun?, dachte Andrej. Die Leute dort unten kannten sie nicht, und sie hatten somit auch keinen Grund, sie zu fürchten.

Sie mussten aufhören, nur an Jagd und Flucht zu denken. Letzten Endes hatten sie Transsylvanien und Siebenbürgen verlassen, weil sie des Lebens als ständig Gejagte überdrüssig waren.

Sie näherten sich dem Dorf nur langsam, und Andrej legte auch keinen besonderen Wert darauf, sich unauffällig zu benehmen. Ganz im Gegenteiclass="underline" Die Menschen dort unten sollten ruhig sehen, dass sie furchtlos kamen und sich nicht etwa anschlichen.

Seltsamerweise kam ihnen niemand entgegen, als sie das erste Haus erreichten und daran vorbeiritten. Keine neugierigen Kinder liefen ihnen entgegen oder rannten ein Stück hinter ihnen her, keine ängstlichen Frauen lugten durch Fensterläden oder durch Türritzen zu ihnen heraus, keine Männer unterbrachen ihr Tagewerk, um sie misstrauisch zu beäugen. Zumindest der kleine Teil des Ortes, den sie von hier aus überblicken konnten, schien wie ausgestorben zu sein. Aber von der Höhe des Berghanges aus hatte Andrej Bewegungen wahrgenommen, und aus einigen Kaminen kräuselte sich Rauch.

»Das gefällt mir nicht«, sagte Abu Dun zum wiederholten Male. »Wo sind die Leute?«

»Vielleicht ist ihnen bei deinem Anblick so sehr der Schrecken in die Knochen gefahren, dass sie Hals über Kopf die Flucht ergriffen haben«, erwiderte Andrej spöttisch.

Abu Dun lachte nicht. Sein Blick tastete sich ebenso misstrauisch wie aufmerksam nach rechts und links, und seine Hand legte sich auf den Griff des Krummsäbels, den er anders als sonst an der rechten Seite trug, obwohl er kein Linkshänder war.

»Das gefällt mir nicht«, sagte er noch einmal.

Die unheimliche Stille, die sie umgab, änderte sich nicht, bis sie den gepflasterten Platz in der Mitte des Dorfes erreichten. Hier standen die Häuser ein wenig dichter. Sie bildeten einen fast geschlossenen Dreiviertel-Kreis, in dessen Mitte sich eine weiß getünchte Kirche mit einem schlanken Glockenturm erhob. Das zweiflügelige Tor stand weit offen, sodass Andrej erkennen konnte, dass der Raum dahinter ebenfalls leer war. Aber nun wusste Andrej, dass sie nicht mehr allein waren. Abu Dun sah oder hörte mit Sicherheit nichts von der Falle, in die sie sehenden Auges hineingeritten waren, aber Andrejs übermenschlich scharfen Sinnen entgingen die winzigen verräterischen Zeichen menschlichen Lebens keineswegs. Ein leises, aber hörbares Atmen da, das Rascheln von Stoff dort, ein Schleifen von Metall oder das Knarren einer Bodendiele ...

»Sie sind da«, sagte er leise und ohne sich zu Abu Dun herumzudrehen.

»Ich weiß«, antwortete der Nubier ebenso leise und nahezu ohne die Lippen zu bewegen.

»Woher?«

»Wenn sie nicht hier sind, dann sind sie nirgendwo«, antwortete Abu Dun. »Ich würde mich genau hier verstecken, wenn ich einem Dummkopf auflauern wollte, der direkt in eine Falle läuft, obwohl ihn sein Freund davor gewarnt hat.«

Andrej warf ihm einen schrägen Blick zu, lenkte sein Pferd bis in die Mitte des Dorfplatzes und hielt an. Nachdem auch Abu Dun neben ihm zum Stehen gekommen war, richtete er sich im Sattel auf, sah sich nach allen Seiten um und rief dann mit hoch erhobener, klarer Stimme: »Ihr könnt ruhig herauskommen! Wir wissen, dass ihr hier seid! Wir wollen euch nichts zu Leide tun!«

»Aber sie vielleicht uns«, murmelte Abu Dun. Sein Blick tastete sich weiter misstrauisch und unstet über die Häuser, die den Dorfplatz säumten. Er nahm zwar die Hand vom Schwert, wirkte aber noch immer angespannt und aufs Höchste konzentriert.

Es verging noch eine geraume Weile, in der rein gar nichts geschah, und Andrej fing gerade an, sich Sorgen zu machen, aber dann wurde eine Tür geöffnet, und ein Mann mittleren Alters und ein halbwüchsiger Knabe traten heraus. Beide wirkten angespannt, und sie sahen ihn und insbesondere Abu Dun mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen an, die für Andrejs Empfinden weit über die normale Vorsicht hinausging, die man Fremden gegenüber walten ließ. Andererseits wusste er wenig über dieses Land und noch weniger über seine Bewohner.

Er wollte sein Pferd herumdrehen, um sich den beiden zu nähern, aber Abu Dun schüttelte den Kopf und deutete dann in die entgegengesetzte Richtung, zur Kirche hin. Als Andrej sich im Sattel herumdrehte, erkannte er eine schmalschultrige Gestalt, die eine zerschlissene Mönchskutte trug und unter dem Kirchenportal aufgetaucht war. Der Geistliche war ihm ein gutes Stück näher als die beiden anderen, sodass er sein Gesicht deutlicher erkennen konnte. Er war uralt und hatte dünnes, schmutziggraues Haar. Um den Hals trug er ein hölzernes Kreuz, und der Ausdruck auf seinem Gesicht war eindeutig als Feindseligkeit zu erkennen.

Trotzdem stieg Andrej vom Pferd, warf Abu Dun einen mahnenden Blick zu, sich nicht von der Stelle zu rühren, und näherte sich mit langsamen Schritten der Kirche. Die Blicke des greisen Mönches ließen ihn keinen Augenblick los. Gleichzeitig hörte er Geräusche hinter sich. Ohne sich herumdrehen zu müssen, wusste er, dass weitere Dorfbewohner aus ihren Häusern getreten waren.

Andrej blieb stehen, als er den Fuß der aus drei Stufen bestehenden Treppe erreicht hatte.

»Wer seid Ihr?«, fragte der Alte, ohne sich mit einer Begrüßung oder irgendeiner Höflichkeitsfloskel aufzuhalten.

»Mein Name ist Andrej«, antwortete der Angesprochene. Er konnte die Feindseligkeit des Mönches fast körperlich spüren. Möglicherweise hatte Abu Dun Recht gehabt. Sie hätten nicht herkommen sollen. Trotzdem fuhr er mit einem Lächeln und einer Geste auf den Nubier fort: »Das ist Abu Dun. Wir ...«

»Und was seid Ihr?«, fiel ihm der Alte ins Wort. Andrej konnte hören, wie noch mehr Menschen ihre Häuser verließen und ins Freie traten. Abu Duns Pferd begann unruhig mit den Hufen zu scharren.

»Wir sind nur Reisende«, sagte er. »Wir führen nichts Böses im Schilde.«

Die Augen des Alten wurden schmal, und Andrej hatte das sichere Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben.