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Spät zogen sie sich in die Kammer zurück, die Birger ihnen zugewiesen hatte. Andrejs Kopf war schwer von dem süßen Wein, dem er in größerem Maße zugesprochen hatte, als gut war, und auch Abu Dun kämpfte mit den Folgen des Gelages. Andrej schlief ein, kaum dass er sich auf dem einfachen, aber sauberen Lager ausgestreckt hatte.

Und erwachte von dem intensiven Gefühl, nicht mehr allem zu sein.

Er blieb mit geschlossenen Augen liegen und konzentrierte sich ganz auf die Eindrücke, die ihm seine Sinne lieferten. Selbst wenn er nicht über die übermenschlich scharfen Sinne eines Unsterblichen verfügt hätte, wäre ihm nicht verborgen geblieben, dass sich jemand bei ihnen im Zimmer aufhielt. Der Eindringling gab sich zwar alle Mühe, leise zu sein, aber er stellte sich nicht sonderlich geschickt an.

Stoff raschelte, Andrej hörte scharfe, nur unzureichend unterdrückte Atemzüge, die die Furcht des Eindringlings verrieten, und er glaubte sogar seinen rasenden Herzschlag zu vernehmen. Er roch den kalten, leicht säuerlichen Schweiß eines alten Menschen, und als er die Augen öffnete, nahm er einen verschwommenen Umriss im Halbdunkel des Zimmers wahr.

Metall blitzte unmittelbar über seinem Gesicht auf.

Andrej reagierte so schnell, dass der andere vermutlich nicht einmal begriff, wie ihm geschah, ehe er auch schon hilflos in seinem Griff zappelte und vergebens nach Luft rang. Die Waffe polterte mit einem Geräusch zu Boden, das seltsam falsch klang, und obwohl Andrej noch immer kaum mehr als einen Schatten sah, hatte er doch sofort das Gefühl, dass irgendetwas nicht so war, wie es sein sollte.

Auch Abu Dun sprang auf die Füße. Er hatte am vergangenen Abend sehr viel mehr getrunken als Andrej und hätte demzufolge schlafen müssen wie ein Stein, reagierte aber mit der gewohnten Schnelligkeit: Mit einem einzigen Satz war er aus dem Bett und stieß die Fäden auf, die Birger vorgelegt hatte.

Silbernes Mondlicht strömte ins Zimmer, und für einen unendlich kurzen Moment glaubte Andrej einen Schatten davonhuschen zu sehen, etwas Großes, Dunkles, mit Flügeln, die auf falsche Weise schlugen. Aber er war nicht sicher, und in der nächsten Sekunde, als er das zappelnde Bündel in seinen Händen betrachtete, war er auch viel zu verblüfft, um einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden.

»Vater Ludowig?«, murmelte er überrascht.

Der greise Mönch strampelte vergebens mit den Füßen, die sich eine gute Handbreit über dem Boden befanden, und schlug schwächlich mit beiden Fäusten auf Andrejs Hände ein. Sein Gesicht begann sich allmählich blau zu färben.

»Was tut Ihr hier?«, wollte Andrej wissen.

Vater Ludowig ächzte, und Abu Dun, der am Fenster stand und sich den Brummschädel rieb, murmelte: »Höchstwahrscheinlich fällt ihm das Antworten leichter, wenn du die Hände von seinem Hals nimmst.«

Andrej ließ den Mönch so hastig los, dass Vater Ludowig die Balance verlor und gestürzt wäre, hätte Abu Dun nicht rasch zugegriffen und ihn aufgefangen. Obwohl er heftig japsend nach Luft rang und zweifellos starke Schmerzen hatte, riss Ludowig sich hastig los, wich bis in die entfernteste Ecke des Zimmers zurück und schlug das Kreuzzeichen vor Brust und Gesicht. In seinen weit aufgerissenen Augen stand die nackte Angst, während er abwechselnd Andrej und den Nubier anstarrte.

»Vater Ludowig«, versuchte es Andrej noch einmal, nun in verändertem Ton.

»Wir haben Euch gestern Abend vermisst. Schön, dass Ihr doch noch gekommen seid.«

Er bedauerte die Worte augenblicklich. Vater Ludowig war nicht in der Verfassung, den Spott darin zu verstehen. Vermutlich würde er alles, was Andrej in diesem Moment tat oder sagte, als Drohung empfinden. Statt auf ihn zuzutreten und seine Furcht damit noch zu nähren, richtete Andrej seinen Blick nach unten und hielt nach dem Gegenstand Ausschau, den Vater Ludowig fallen gelassen hatte. Die vermeintliche Waffe entpuppte sich als kupferner Becher, der in einer bereits eingetrockneten Pfütze auf dem Boden lag.

Andrej ging in die Knie, hob ihn auf und roch daran. Dann tauchte er den Zeigefinger in den winzigen verbliebenen Rest von Flüssigkeit, der sich noch in darin befand, und kostete.

»Weihwasser?«, murmelte er überrascht.

Abu Dun blinzelte, während sich auf Ludowigs Gesicht eine Mischung aus Unglauben und nur ganz allmählich aufkommender Erleichterung breit zu machen begann.

»Habt Ihr Eure Meinung geändert?«, fragte Andrej. »Ihr seid tatsächlich gekommen, um uns zu segnen? Das ist überaus großzügig von Euch.«

Abu Dun warf ihm einen mahnenden Blick zu, und auch Andrej selbst rief sich in Gedanken zur Mäßigung. Ludowig erbleichte schon wieder. Andrej war klar, dass er dem alten Mann wahrscheinlich Unrecht tat, aber nach allem, was er mit Männern der Kirche erlebt - und durch sie erlitten - hatte, war es ihm einfach nicht mehr möglich, wohlwollend mit ihnen umzugehen.

Er wollte es auch nicht.

»Was sucht Ihr hier?«, fragte er geradeheraus.

Vater Ludowig starrte ihn nur stumm und aus immer noch weit aufgerissenen Augen an.

»Erklärt Euch! Wieso kommt Ihr mitten in der Nacht hierher?«

Ludowigs Blick saugte sich schier an dem Becher in Andrejs Hand fest. Er sprach noch immer nicht. Andrej wusste selbst nicht warum, aber aus einem plötzlichen Gefühl heraus, setzte er den Becher an und trank die wenigen Tropfen aus, die sich noch auf seinem Boden befanden.

»Ihr seht, Heiliger Mann, wir sind nicht mit dem Teufel im Bunde und auch nicht von ihm besessen«, sagte Abu Dun lachend. »Was also wollt Ihr von uns ?«

»Ihr müsst gehen«, krächzte Vater Ludowig. Er hatte Mühe, zu sprechen und massierte mit der linken Hand seinen schmerzenden Kehlkopf. Andrej hatte nicht mit aller, aber doch mit großer Kraft zugedrückt. Ludowig konnte von Glück sagen, dass er ihm nicht sein vom Alter schon mürbe gewordenes Genick gebrochen hatte. »Das hier ist kein Platz für Fremde. Wenn Ihr wisst, was gut für Euch ist, dann steigt auf Eure Pferde und reitet davon.«

»Das hatten wir ohnehin vor«, antwortete Andrej kühl. »Aber nun, wo Ihr uns so nett darum bittet, bleiben wir vielleicht noch ein paar Tage.«

»Ihr wisst nicht, was ...«, setzte Vater Ludowig an, aber er wurde unterbrochen. Draußen polterten Schritte, dann wurde die Tür aufgerissen, und Birger stürmte herein, nackt bis auf einen schmuddeligen Lendenschurz.

In der rechten Hand hielt er einen Knüppel, und auf seinem Gesicht lag ein wütend-entschlossener Ausdruck, der aber in Überraschung und dann Betroffenheit umschlug, als er Vater Ludowigs und danach des Messbechers in Andrejs Hand ansichtig wurde.

»Oh«, sagte er.

»Was wollt Ihr mit dem Prügel? Uns wach klopfen?«, maulte Abu Dun. »Das ist nicht nötig. Mein Schädel dröhnt schon genug von Eurem süßen Wein.«

Birger starrte den Knüppel in seiner Hand einen Moment lang verwirrt an, als könne er sich tatsächlich nicht erinnern, wie er überhaupt dorthin kam, und flüchtete sich schließlich in ein Lächeln.

»Ich war ... verzeiht«, stammelte er, räusperte sich und setzte neu an. »Ich habe Lärm gehört und wollte nachsehen.« Er ließ den Knüppel sinken und wandte sich stirnrunzelnd an Vater Ludowig. »Was geht hier vor?«

Vater Ludowig starrte ihn verstockt an. Er schwieg. Birger setzte dazu an, seine Frage in schärferem Ton zu wiederholen, aber Andrej kam ihm zuvor.

»Ich glaube, der gute Vater Ludowig ist nur gekommen, um sich bei uns zu entschuldigen.«

Birgers Stirnrunzeln vertiefte sich, während er von einem zum anderen blickte. Schließlich hob er die Schultern und wandte sich direkt an Eudowig.

»Wird es nicht Zeit, die Morgenandacht vorzubereiten, Vater?«

Ludowig nickte hastig, nahm den Messbecher an sich, den Andrej ihm hinhielt, und floh aus dem Zimmer. Er schloss die Tür nicht hinter sich, und es blieb eine ungute, schwer mit Worten zu beschreibende Stimmung zurück.