»Wir sind an keinerlei Vorschlägen interes ...«, begann Abu Dun, wurde aber erneut von Andrej unterbrochen.
»Welchen?«
»Ihr seid ... Söldner, nicht wahr?«, fragte Birger.
»Und?«, fragte Abu Dun. »Wenn es so wäre?«
»Und Ihr seid nicht besonders wohlhabend«, fuhr Birger fort, noch immer direkt an Andrej gewandt. »Die Reise hat Eure Geldmittel aufgezehrt, habe ich Recht?«
»Selbst wenn, glaube ich kaum, dass du dir unsere Dienste leisten könntest«, sagte Abu Dun unfreundlich. »Wir kämpfen nicht für falsches Gold.«
»Ich habe Geld«, widersprach Birger. »Keine fünfzig Goldstücke, aber genug für eine so leichte Aufgabe wie die, für die ich Euch brauche.«
»Wenn sie so leicht ist, warum erledigt Ihr sie dann nicht selbst?«, fragte Andrej.
»Leicht für Männer wie Euch«, antwortete Birger. »Unmöglich für mich.«
Abu Dun wollte schon wieder auffahren, aber Andrej kam ihm erneut zuvor. »Wir kämpfen nicht für Geld, Birger«, sagte er. »Jedenfalls nicht mehr. Es gab eine Zeit, da haben wir es getan, aber die ist vorbei. Es bringt nichts Gutes ein, Menschen für Geld zu töten.«
Abu Dun schien Mühe zu haben, ihn nicht ungläubig anzustarren. Sie hatten sich in den zurückliegenden zehn Jahren so oft und in so vielen Kriegen als Söldner verdungen, dass sie längst aufgehört hatten, sie zu zählen.
»Ich habe Euch gestern nicht die ganze Wahrheit erzählt«, fuhr Birger vollkommen unbeeindruckt fort.
»Stell dir vor, das ist uns aufgefallen«, giftete Abu Dun.
Birger missachtete den Einwand. »Es ist wahr, dass wir einst überfallen wurden«, fuhr er fort. »Aber es waren keine Räuber.«
»Sondern?«, fragte Andrej.
Birger antwortete nicht gleich. Er sah Andrej an, aber während er sprach, begann sich ein sonderbarer Ausdruck in seinem Blick auszubreiten; eine Furcht, als sähe er gar nicht mehr sein Gegenüber, sondern etwas anderes, Schreckliches, das weit zurück lag. »Wir leben seit einer Generation im Streit mit den Bewohnern eines anderen Dorfes, einen halben Tagesmarsch von hier«, sagte er. »Es liegt hoch in den Bergen, an einem fast unzugänglichen Pass. Seine Bewohner sind Heiden, die den Satan anbeten und einem uralten Teufelskult huldigen.«
Andrej musste sich beherrschen, um Birger nicht schon jetzt zu unterbrechen. Wie oft hatte er solche Geschichten schon gehört? Es war immer dasselbe. Und es würde immer dasselbe bleiben, solange es Menschen gab.
»Vor zwei Jahren haben sie uns überfallen«, fuhr Birger fort. »Wir hatten immer schon Streit mit ihnen, und manchmal kam es auch zu Tätlichkeiten. Aber in dieser Nacht sind sie gekommen und haben uns im Schlaf überrascht. Sie haben fast die Hälfte von uns erschlagen und etliche unserer jungen Frauen und Knaben mitgenommen. Das halbe Dorf haben sie niedergebrannt.«
»Und nun wollt Ihr, dass wir die Hälfte ihres Dorfes niederbrennen?«, fragte Andrej leise. Er schüttelte den Kopf. »Ich kann Euch verstehen, Birger, aber diese Art von Söldnern waren wir nie. Euer Streit geht uns nichts an.«
»Sie haben meine Frau und meine Tochter mitgenommen«, fuhr Birger fort.
Andrej sah überrascht zu Helga hin. Sie hielt seinem Blick ruhig und sehr ernst stand.
»Meine Frau ist tot«, fuhr Birger fort. »Ich bin ihnen gefolgt, nachdem meine schlimmsten Wunden verheilt waren. Ich fand ihre Leiche auf halbem Weg in den Bergen. Sie haben sie ...« Seine Stimme versagte, und seine Hände begannen für einen Moment so heftig zu zittern, dass er sie zu Fäusten ballen musste. Dann hatte er sich wieder in der Gewalt.
»Ich will keine Rache, Andrej. Einst wollte ich sie. Hätte ich es damals gekonnt, dann hätte ich ihr Dorf bis auf die Grundmauern niedergebrannt und jede lebende Seele ausgelöscht. O ja, ich wollte Rache! Ich hätte mein Leben geopfert, um mich zu rächen! Ich habe Gott verflucht und meine Seele dem Teufel angeboten, wenn er mir dafür geholfen hätte, mich an dem feigen Mörderpack zu rächen, doch er hat nicht geantwortet.« Er stöhnte auf.
»Aber das ist vorbei. Rache nutzt niemandem. Es macht die Toten nicht wieder lebendig, wenn man noch mehr Menschen erschlägt. Man kann nicht ein Unrecht durch ein anderes aufwiegen.«
»Amen«, sagte Abu Dun spöttisch.
Andrej schenkte ihm einen verärgerten Blick. »Und was wollt Ihr dann?«, fragte er an Birger gewandt.
»Meine Tochter«, antwortete Birger. »Sie ist jetzt zwölf Jahre alt. Ich möchte, dass Ihr sie befreit.«
»Eure Tochter.« Andrej nickte nachdenklich und sah wieder - diesmal für länger - zu Helga hin, aber sie erwiderte seinen Blick so ruhig und ausdruckslos wie zuvor. »Wieso glaubt Ihr, dass sie noch lebt?«
»Ich weiß es«, antwortete Birger, in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Ich spüre, dass sie noch am Leben ist, genauso, wie ich gespürt habe, dass meine Frau tot war. Und dass sie schrecklich leidet! Sie ist jetzt genau in dem Alter, in dem sie den teuflischen Gelüsten dieser Bestien am besten dienen kann.« Ein gequälter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, und für einen Moment schimmerten seine Augen feucht. »Soll ich Euch sagen, was sie meiner Frau angetan haben?«
»Nein«, antwortete Andrej. »Ich kann es mir vorstellen.« Er versuchte, einen verständnisvollen Ton in seine Stimme zu legen. »Ich kann nachempfinden, was Ihr jetzt fühlt, Birger. Aber es ist lange her. Zwei Jahre sind eine lange Zeit, eine sehr lange Zeit. Selbst wenn Eure Tochter noch am Leben wäre, so könnte es sein, dass ...« Er zögerte unmerklich, »dass sie vielleicht nicht mehr die ist, als die Ihr sie gekannt habt«, schloss er.
»Ich weiß, was Ihr meint, Andrej«, antwortete Birger. Er hatte sich jetzt wieder in der Gewalt. Seine Stimme klang fest. »Aber ich spüre, dass sie noch lebt, und ich spüre, wie sehr sie leidet. Ich höre ihre Seele in jeder Nacht um Hilfe flehen. Ich hätte sie längst befreit, aber diese Teufel sind auf der Hut, und ihr Dorf ist eine fast uneinnehmbare Festung.«
»Und wir sind nur zu zweit«, sagte Abu Dun.
»Ihr seid Krieger«, beharrte Birger. »Wir sind das nicht, und sie sind es auch nicht.«
»Immerhin haben sie die Hälfte von euch erschlagen.«
Birger machte eine abfällige Geste. »Sie haben uns überrascht. Wir wussten nicht, dass sie kommen. Alle haben tief geschlafen. Für Männer wie Euch wird es sicher nicht schwer sein, in ihr verfluchtes Kloster vorzudringen und meine Tochter zu befreien.« Er wandte sich nun direkt an Abu Dun. »Solltet Ihr herausfinden, dass meine Tochter tot ist, so bezahle ich Euch trotzdem. Macht Euch darum keine Sorgen.«
»Das ist es nicht«, sagte Andrej rasch. »Wir führen solche Aufträge für gewöhnlich nicht aus, das ist alles. Es muss doch hier eine Obrigkeit geben,«
»Den Landgrafen, ja«, grollte Birger. Allein der Ton, der sich dabei in seine Stimme schlich, machte Andrejs nächste Frage überflüssig. Trotzdem stellte er sie.
»Und warum bittet Ihr nicht den Landgrafen um Hilfe?«
»Er ist weit weg«, sagte Birger. »Die hohen Herren in ihren Schlössern interessieren sich doch nicht für das Schicksal solch einfacher Leute. Sie schicken einmal im Jahr ihre Steuereintreiber, sonst kümmert sie nichts.«
So sehr, dachte Andrej, schien sich dieses Land gar nicht von dem zu unterscheiden, aus dem sie geflohen waren. Er schüttelte den Kopf.
»Es tut mir Leid, Birger, aber ...«
»Habt Ihr jemals geliebt, Andrej?«, unterbrach ihn Birger. »Habt Ihr jemals einen Menschen geliebt wie nichts anderes auf der Welt und ihn dann verloren?«
Andrej schwieg. Er dachte an Maria. Auch an Alessa, aber vor allem an Maria. Er wusste, dass er diesen Gedanken nicht zulassen sollte, aber es war zu spät. Birgers Worte brannten wie Säure in seinem Inneren, und Birger schien sein Schweigen auch richtig zu deuten.
»Habt Ihr das je, Andrej ?«
»Selbst wenn wir es täten«, antwortete Andrej ausweichend. »Was, wenn Ihr Euch irrt, und Eure Tochter ist doch tot?«