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»Schon wieder ein Festmahl?«, fragte Abu Dun. »Ich bin eigentlich nicht hungrig.«

»Ihr solltet etwas essen«, erwiderte Birger. »Wir werden hier rasten, und danach haben wir noch einen Fußmarsch vor uns. Wollt Ihr auch noch hungern, wenn Ihr schon friert?«

Abu Dun bedachte ihn mit einem verdrossenen Blick, griff aber dann doch zu, und auch Andrej nahm sich ein Stück Fleisch und eine Scheibe helles Brot und begann zu essen. Birger hatte Recht. Sie hatten noch eine lange Nacht vor sich und würden jedes bisschen Kraft bitter nötig brauchen.

»Erzählt uns von diesen angeblichen Teufelsanbetern«, bat Andrej. »Wer sind sie? Was tun sie genau, und welchem Kult hängen sie an?«

»Das weiß niemand.« Birger kniete sich so zwischen sie, dass er Andrej und Abu Dun zusammen im Auge behalten konnte. »Sie tarnen sich mit den Zeichen des Christentums. Das Dorf ist kein richtiges Dorf, sondern ein altes Kloster mit einer Handvoll Häusern an der Westseite. Angeblich sind es fromme Männer, aber nachts feiern sie schwarze Messen, und die Figur an dem umgedrehten Kruzifix, vor dem sie beten, ist nicht unser Herr Jesus Christus.« Er legte den Kopf schräg und sah Abu Dun an. »Aber damit habt Ihr ohnehin nicht viel im Sinn, nehme ich an?«

»Ist das für dich von Bedeutung?«, fragte Abu Dun.

»Nein«, antwortete Birger. Es klang ehrlich. »Und Ihr, Andrej?«

»Warum fragt Ihr das?«

Birger wackelte mit dem Kopf. »Gestern Abend, als Ihr Vater Ludowig gegenüberstandet - ich hatte den Eindruck, dass Eure Vorsicht mehr seinem Gewand galt als seinen Worten.«

»Ihr seid ein guter Beobachter«, entgegnete Andrej. »Ich hatte in der Vergangenheit einige Begegnungen mit Männern der Kirche.«

»Weiter«, sagte Abu Dun. »Sie leben also in einem angeblichen Kloster. Was genau tun sie dort? Wieso unternimmt niemand etwas gegen sie, wenn sie doch den Teufel anbeten?«

»Sie sind sehr vorsichtig«, antwortete Birger. »Für die meisten sind sie einfach nur Bergbauern und Schäfer, die das Kloster versorgen. Aber wir kennen ihr Geheimnis. Deshalb hassen sie uns auch so. Sicher hätten sie unser ganzes Dorf ausgelöscht, hätten sie nicht Angst gehabt, damit zu viel Aufsehen zu erregen.«

Nachdenklich kaute Andrej auf dem Stück gesalzenen Fleisches, das Birger ihm gegeben hatte. Die Antworten Birgers klangen glaubhaft und überzeugend. Wieder hatte er das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte. So wie am Abend zuvor, als sie ins Dorf hineingeritten waren und er gespürt hatte, dass sie in eine Falle tappten.

»Vielleicht sollten wir uns wirklich ausruhen«, schlug Abu Dun vor. »Es wird eine lange Nacht.«

Birger stand auf. »Ich sehe nach Stefan und seinem Bruder.«

Sie warteten, bis es dunkel wurde. Der Himmel hatte sich fast lückenlos mit Wolken zugezogen, sodass es sehr dunkel war, und die Kälte wurde grausam.

Andrej zitterte am ganzen Leib. Er war nicht mehr sicher, ob es wirklich gut gewesen war, so lange zu rasten. Inzwischen war er steif gesessen, und sein Rücken schmerzte.

Abu Dun drehte sich in Richtung der Pferde, aber Birger schüttelte den Kopf. »Von hier aus gehen wir besser zu Fuß«, sagte er. »Mit den Pferden kommen wir nicht mehr sehr weit. Das Gelände wird bald unwegsam.«

Sie marschierten los; Birger an der Spitze, Andrej und Abu Dun dicht hinter ihm. Die Kälte schien schlagartig zuzunehmen, als sie die unsichtbare Grenze überschritten und unter ihren Stiefeln nun endgültig verharschter Schnee knirschte. Das Gelände war so unübersichtlich, dass sie mit den Pferden keine hundert Schritte weit gekommen wären, und ohne Birgers Führung hätten sie sich schon nach fünfzig Schritten hoffnungslos verirrt.

Der Boden schimmerte in einem unheimlichen Knochenweiß, und die Bäume verkrochen sich in den Schatten. Selbst Andrej mit seinen überscharfen Sinnen war beinahe orientierungslos. Abu Dun musste es vollkommen sein. Andrej nahm an, dass Birger sich hier gut genug auskannte, um sich auch mit verbundenen Augen zurechtzufinden.

Die unheimliche Nacht trübte auch Andrejs Zeitgefühl. Er hätte nicht sagen können, wie lange sie schon unterwegs waren. In der Wolkendecke über ihnen erschienen einige Lücken, und bald sahen sie sogar eine bleiche Mondsichel.

Plötzlich hörte Andrej ein Geräusch. Es war unendlich leise, gerade an der Wahrnehmungsgrenze selbst seiner unvorstellbar scharfen Sinne. Aber etwas daran war so unheimlich, dass er mitten in der Bewegung innehielt und sich halb in die Richtung drehte, aus der das Geräusch gekommen war.

»Was habt Ihr?«, fragte Birger.

Abu Dun sagte nichts, aber seine Hand senkte sich auf das Schwert.

»Da ist etwas«, murmelte Andrej. »Ich habe etwas gehört.«

Birger lauschte angespannt, und genau im gleichen Moment, in dem er den Kopf schüttelte und sagte: »Ich höre nichts«, erklang das Geräusch wieder: Etwas wie ein klagendes Seufzen, unendlich weit entfernt und voller abgrundtiefen Schmerzes und noch tieferer Furcht. Er deutete nach rechts in die Dunkelheit hinein.

»Dort.«

»Aber da ist nichts!«, befand Birger. Er hatte nichts gehört, und wie auch?

Selbst Andrej hatte Mühe, die genaue Richtung zu orten, aus der das Stöhnen kam. Er beachtete Birgers Einwand nicht und ging los. Abu Dun zog das Schwert und folgte ihm, und nach kurzem Zögern schloss sich ihnen auch Birger an.

»Andrej, was tut Ihr?«, japste er. »Wir haben nicht viel Zeit! Ich versichere Euch, da ist nichts!«

Andrej missachtete ihn weiterhin, aber Abu Dun sagte: »Wenn Andrej sagt, dass dort etwas ist, dann ist dort etwas.«

»Verschwendete Zeit!« Birger wurde zornig. »Zeit, die wir nicht haben! Glaubt mir, wenn da vorne etwas wäre, dann hätten uns Stefan und Johann längst gewarnt.«

»Ein guter Einwand«, knurrte Abu Dun. »Wo sind sie überhaupt?«

»Sie sind vorausgeeilt, um den Weg zu sichern«, antwortete Birger. »Sie hätten uns gewarnt, wenn sie etwas bemerkt hätten.«

»Falls sie nicht gerade irgendwo dort vorne im Schnee liegen und verbluten«, fügte Abu Dun hinzu. Er fuchtelte mit dem Krummsäbel, und blitzende Lichtreflexe sprangen aus der Klinge und schienen ihnen ein Stück vorauszueilen.

Birger gab auf, und Andrej beschleunigte seine Schritte noch ein wenig.

Das Geräusch wiederholte sich nicht, aber nun nahm er einen ganz sachten, aber nur zu vertrauten Geruch wahr. Blut. Frisches, warmes Blut. Er ging schneller, geleitet von dem Blutgeruch, und so rasch, dass Birger und Abu Dun Mühe hatten, ihn nicht zu verlieren.

Er entdeckte den Toten, als er eine flache Hügelkuppe hinter sich gebracht hatte. Der Mann lag mit dem Gesicht nach unten im Schnee, und es hätte der Unmengen von Blut, das im Mondlicht eher schwarz als rot aussah, gar nicht bedurft, um auf den ersten Blick zu erkennen, dass er tot war. Seine Glieder waren auf schreckliche Weise verdreht und verrenkt, und eine seiner Hände war abgerissen und lag ein Stück entfernt im Schnee.

Hinter ihm sog Birger hörbar die Luft ein, und Abu Dun stieß einen halblauten Fluch aus und beschleunigte seine Schritte, sodass er gleichzeitig mit Andrej neben dem Toten anlangte.

Während Andrej neben dem Mann im Schnee niederkniete, nahm er mit leicht gespreizten Beinen und erhobenem Schwert neben ihm Aufstellung und drehte sich langsam um seine eigene Achse, um Andrej gegen einen eventuellen Angreifer zu schützen, der sich in der Dunkelheit verborgen halten mochte.

Andrej drehte den Toten behutsam auf den Rücken und hatte Mühe, ein Stöhnen zu unterdrücken. Er war auf genügend Schlachtfeldern gewesen, um zu glauben, dass ihn nichts mehr erschrecken konnte.

Er irrte.

»Großer Gott!«, keuchte Birger hinter ihm. »Wer tut so etwas?«