Выбрать главу

Andrej schloss für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, hatte sich sein rebellierender Magen immerhin weit genug erholt, damit er den Leichnam einer zweiten und etwas eingehenderen Musterung unterziehen konnte. Sein Gesicht war nicht mehr zu erkennen, ebenso wenig sein Alter oder seine Herkunft, aber man konnte zumindest sehen, dass er wohl eine Art Soldat oder Krieger gewesen war. Im Schnee neben ihm lag ein zerbrochenes Schwert.

»Habt Ihr diesen Mann schon einmal gesehen?«, fragte er.

»Seid Ihr sicher, dass es ein Mann war?«, gab Birger mit belegter Stimme zurück.

Andrej sah zornig zu ihm hoch, und Birger schüttelte hastig den Kopf.

»Er könnte zum Kloster gehören«, sagte er. »Sie tragen diese Art von Schwertern.«

»Sagtest du nicht, sie wären keine Krieger?«, fragte Abu Dun misstrauisch.

»Sie haben ein paar Wachen«, antwortete Birger. »Männer des Landgrafen.«

»Ein paar Wachen, so«, grollte Abu Dun. Seine Stimme bebte vor Zorn, aber er hörte nicht auf, sich langsam im Kreis zu drehen und die Dunkelheit ringsum mit Blicken abzusuchen. »Wie viele sind ein paar?«

»Nicht viele«, antwortete Birger stockend. »Vielleicht ein halbes Dutzend. Bestimmt nicht mehr.«

»Und wann wolltest du uns das sagen?«, fragte Andrej ruhig.

Birgers Blick tastete mit wachsender Unruhe den grässlich verstümmelten Leichnam ab. »Wir wären ihnen vielleicht nicht einmal begegnet«, verteidigte er sich. »Ich hatte nicht vor, das ganze Kloster zu überfallen.«

»Das hatten wir auch nicht«, sagte Abu Dun. »Was hat den Mann umgebracht, Andrej ?«

»Auf jeden Fall kein Mensch«, Andrej wandte sich um. »Gibt es Raubtiere hier in den Bergen, Birger?«

»Wölfe«, antwortete Birger, aber Andrej schüttelte sofort den Kopf.

»Kein Wolf könnte so etwas tun. Seht Ihr seinen Kopf ? Der Schädelknochen eines Menschen ist härter als Eisen.«

»Vielleicht ... vielleicht ein Bär«, überlegte Birger. »Es ist lange her, dass Bären hier gesehen wurden, aber es könnte sein.«

»Was immer es war, es war ziemlich groß«, stellte Abu Dun fest. »Und du hast Recht, Andrej - es war kein Mensch.«

Andrej blickte in die Richtung, in die Abu Dun mit dem ausgestreckten Säbel wies, und stand auf. In dem blutigen Schnee war ein einzelner Fußabdruck zu erkennen. Es war nicht der Fußabdruck eines Menschen, aber auch nicht der eines Wolfes oder Bären oder irgendeines anderen Tieres, das Andrej jemals gesehen hatte. Er war nicht einmal besonders groß, aber auf unheimliche Weise verzerrt und missgestaltet. Tiefe Eindrücke im Schnee zeugten von schrecklichen Krallen.

»Allah!«, entfuhr es Abu Dun. »Welche Kreatur hinterlässt solche Spuren?« Er keuchte.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Andrej wahrheitsgemäß. »Aber was immer es ist, es ist verletzt.« Er deutete auf die frischen Blutspuren neben dem Fußabdruck. »Und es ist noch nicht sehr weit weg.«

Birger japste, als Andrej aufstand und ebenfalls seine Waffe zog. »Was habt Ihr vor? Ihr ... Ihr wollt dem Ungeheuer doch nicht etwa folgen?«

»Ich werde gewiss nicht weitergehen, wenn ich etwas hinter mir weiß, das zu so etwas fähig ist«, sagte Andrej entschlossen.

»Aber ...«

»Du kannst ruhig hier bleiben und auf uns warten«, sagte Abu Dun grinsend.

»Wir sind bestimmt bald zurück. Und wenn nicht wir, dann etwas anderes.«

Birger wurde noch bleicher, aber er verschwendete keinen weiteren Atem auf den Versuch, sie von ihrem Entschluss abzubringen, sondern hatte es im Gegenteil plötzlich sehr eilig, zu ihnen aufzuschließen.

Nach einer Weile fanden sie einen weiteren Fußabdruck, dann noch einen, bevor die Spur abbrach, weil der Boden felsiger und die Schneedecke darauf dünner wurde. Dennoch fiel es Andrej nicht schwer, der Spur weiter zu folgen.

Der Blutgeruch wies ihm den Weg.

Sie bewegten sich sehr vorsichtig. Alle ihre Sinne waren bis zum Zerreißen angespannt, und Andrej lauschte mit seinen schärferen Vampyr-Sinnen in die Nacht hinein.

Dennoch sah er das Ungeheuer beinahe zu spät.

Es erschien plötzlich von einem Moment auf den anderen aus dem Nichts, als hätte sich die Dunkelheit vor ihnen zusammengeballt, um schreckliche Gestalt anzunehmen. Andrej fand gerade noch Zeit, einen warnenden Schrei auszustoßen, aber Abu Dun fand nicht mehr genügend Zeit, um darauf zu reagieren. Das ... Ding hieb mit einer schrecklichen, Krallen bewehrten Hand nach ihm. Abu Dun duckte sich und rettete sich damit das Leben, denn der Hieb streifte ihn nur, statt ihm den Kopf von den Schultern zu trennen, aber die Wucht des Schlages reichte immer noch aus, den Nubier von den Füßen zu reißen und hilflos davon rollen zu lassen.

Andrej erstarrte vor Entsetzen. Niemals zuvor hatte er etwas Schrecklicheres gesehen.

Das Geschöpf war weder ein Mensch noch ein Tier, sondern eine abscheuliche Mischung aus beidem. Es war nicht einmal besonders groß, und es wirkte eher schmächtig, aber ganz und gar nicht zerbrechlich, sondern auf jene Abscheu erregende Weise dünn, wie sie besonders abstoßenden Insekten zu Eigen ist. Seine Haut glänzte nass wie rohes Fleisch, und auf dem entsetzlich missgestalteten Schädel wuchsen drahtige, dünne Haarbüschel.

Sein Gesicht war der schiere Albtraum.

Es hatte eine flache, fliehende Stirn, boshafte Augen, die tief unter dreieckigen Knochenwülsten lagen, und eine stumpfe Wolfsschnauze voller schiefer, spitzer Zähne.

Das Schlimmste aber war, dass die gesamte Gestalt völlig unproportioniert zu sein schien. Ihre Glieder waren unterschiedlich lang, und die Pfote, mit der sie nach Abu Dun geschlagen hatte, hatte mehr und längere Finger als die andere.

Das linke Bein, von dem der unheimliche Abdruck stammte, schien gleich zwei Kniegelenke zu haben, während das andere kürzer war und in einem gespaltenen Huf endete. Es war eine dämonische Missgeburt, eine Kreatur, die es nicht geben durfte.

»Scheijtan!«, keuchte Abu Dun. Das Wort ließ nicht nur den Dämon herumfahren, sondern riss auch Andrej aus seiner Erstarrung. Als der Unhold sich umdrehte, um sich auf sein gestürztes Opfer zu werfen, riss er das Schwert in die Höhe und stürmte los.

Abu Dun riss entsetzt die Arme vor das Gesicht und trat nach dem dämonischen Geschöpf. Andrej wusste aus eigener leidvoller Erfahrung, wie unglaublich stark der Nubier war, aber das heranstürmende Ungeheuer vermochte er nicht aufzuhalten.

Immerhin verfehlte sein Krallenhieb Abu Duns Gesicht und wühlte nur den Schnee neben seinem Kopf auf. Bevor die Bestie zu einem zweiten Schlag ausholen konnte, war Andrej zur Stelle und schlug mit dem Schwert zu. Seine Klinge biss tief in das gottlose Fleisch des Dämons. Der Damaszenenstahl vermochte mühelos Eisen zu zerschneiden, aber mit der so verwundbar aussehenden Haut des Dämons hatte er alle Mühe. Blut spritzte, und die Bestie stieß ein hohes, schrilles Schmerzgeheul aus, doch sie stolperte nur einen Schritt zurück und wandte sich geifernd zu Andrej um, statt zu Tode getroffen zu Boden zu stürzen. Das Ungeheuer blutete aus einer tiefen Wunde im Oberarm, doch es hätte tot sein müssen.

Andrej setzte ihm entschlossen nach. Sein Schwert stieß nach der Brust des Dämonenwesens, zerriss sein Fleisch und glitt von den eisenharten Rippen darunter ab und die Bestie sprang mit einem triumphierenden Geheul auf ihn zu und schlug ihm das Schwert aus der Hand. Andrej versuchte zurückzuweichen, aber es war zu spät. Die schrecklichen, asymmetrischen Arme der Bestie schlossen sich zu einer tödlichen Umklammerung. Er spürte, wie die Krallen des Unholds seinen Rücken aufrissen, dann wurde ihm die Luft aus den Lungen gepresst, und mehrere seiner Rippen brachen.

Er begriff zu spät, dass er einen furchtbaren Fehler gemacht hatte. Das Ungeheuer war deutlich kleiner als er, und es wirkte trotz seiner abstoßenden Hässlichkeit fast komisch. Aber es war ungeheuer stark, und es schien nur aus Wildheit und reiner Mordlust zu bestehen. Andrej stemmte sich mit verzweifelter Kraft gegen seine Umklammerung, aber seine Kraft reichte nicht aus. Noch mehr Rippen brachen, aber er hatte keine Luft mehr, um zu schreien. Wogen aus rotem Schmerz drohten sein Bewusstsein auszulöschen. Wie durch einen wabernden roten Nebel hindurch sah er, wie das grässliche Maul des Ungeheuers aufklappte und sich seine Zähne näherten, um ihm die Kehle aufzureißen.