»Wie benutze ich es denn?«, fragte Vater Benedikt.
»Wir töten nicht für Geld«, antwortete Andrej.
»Dann nehme ich an, Ihr und Euer Muselmanenfreund habt die fünf tapferen Kameraden dieser Männer hier ...«, er deutete auf die beiden Soldaten, »... nur aus reiner Freude am Töten erschlagen?«
Die Tür ging auf, und Thobias kam herein, was Andrej Bedenkzeit verschaffte, um über die Antwort auf die Frage nachzudenken. Er hatte den Eindruck, dass eine Menge davon abhing. Vielleicht sein Leben. Schließlich zog er es vor, gar nichts zu sagen.
»Ihr schweigt«, stellte Vater Benedikt fest. »Nun, das wird Euch nichts nützen, Andrej. Was sollte mich daran hindern, Euch auf der Stelle hinrichten zu lassen? Ich hätte das Recht dazu.«
Thobias hatte neben Benedikt Aufstellung genommen. Er schwieg, und er verzog auch keinel Mine.
»Ihr seid ein Mann der Kirche«, antwortete Andrej. »Heißt es in Eurer Bibel nicht, du sollst nicht töten?«
»In unserer Bibel?« Vater Benedikt dachte einen Moment über diese Formulierung nach, und Andrej rief sich in Gedanken abermals zur Ordnung.
Er durfte diesen alten Mann nicht unterschätzen. Und er sollte ihn erst recht nicht reizen.
»Wir wurden getäuscht, Durchlaucht«, sagte er. »Abu Dun und ich wussten nicht, dass dies hier ein Kloster ist.«
»Wofür habt Ihr es denn gehalten?«, erkundigte sich Vater Benedikt.
»Wir trafen einen Mann, einen Tagesritt westlich von hier«, begann Andrej. »Er erzählte uns, dass er und seine Familie von Räubern überfallen worden seien, die seine Tochter entführt hätten. Er hat uns um Hilfe gebeten.«
»Und selbstlos wie Ihr seid, habt Ihr dieser Bitte natürlich sofort entsprochen?«, meinte Vater Benedikt spöttisch.
»Nicht sofort«, antwortete Andrej. »Aber er war sehr überzeugend. Und er hat uns Geld geboten, wenn wir seine Tochter zurückbringen.«
In Thobias' Augen erschien ein Ausdruck vorsichtiger Erleichterung.
Offensichtlich war seine Geschichte dieselbe, die auch er dem greisen Abt erzählt hatte.
Vater Benedikt wäre ein Narr gewesen, hätte er sich mit einer so simplen Erklärung zufrieden gegeben. Er stellte Fragen, hakte nach, versuchte Andrej durch geschickte Formulierungen zu verwirren und verlegte sich mehr als einmal auch auf ganz unverhohlene Drohungen, aber Andrej blieb bei seiner Geschichte.
Trotz der aufgesetzten Ruhe des greisen Abtes war ihm klar, dass er um sein Leben redete, und um das Abu Duns ebenfalls.
Schließlich schüttelte Vater Benedikt den Kopf und seufzte tief. »Ich weiß nicht, ob Ihr die Wahrheit sagt, Andrej«, murmelte er. »Und es spielt im Grunde auch keine Rolle. Nicht für das, was Euch erwartet.«
»Wir haben nichts Unrechtes getan«, beteuerte Andrej.
»Ihr und Euer Freund seid hier eingedrungen und habt mehrere unserer Wachen erschlagen, und Ihr habt eine Gefangene der Heiligen Römischen Inquisition entführt«, antwortete Vater Benedikt hart. »Dafür werdet Ihr Euch verantworten müssen, und ich fürchte, das Urteil wird so oder so der Tod sein.«
Inquisition? Andrej musste sich beherrschen, um nicht vor Schreck zusammenzufahren.
»Falls Ihr die Wahrheit sagt, Andrej«, fuhr Vater Benedikt fort, »wird dies vielleicht nicht Euer Leben retten, doch möglicherweise etwas ungleich Wertvolleres, nämlich Euer Seelenheil. Für den Heiden, der in Eurer Begleitung war, kann ich nicht sprechen. Sein Schicksal liegt ganz allein in Gottes Hand.«
Thobias räusperte sich. »Verzeiht, Ehrwürdiger Vater«, begann er.
Benedikt warf ihm einen unverhohlen ärgerlichen Blick zu, nickte dann aber.
»Andrej und sein Freund«, fuhr Thobias fort, »könnten sich als äußerst wertvoll für uns erweisen.«
Vater Benedikt zog die Augenbrauen zusammen. Er sagte nichts, aber er schwieg auf eine ganz bestimmte Art und Weise, die Thobias' Unruhe noch weiter schürte.
»Immerhin sind sie die Einzigen, die den Mann gesehen haben, der sie hergeschickt hat«, fuhr Thobias fort. »Sie könnten uns helfen, ihn zu finden. Ihr wisst, wie wichtig das für uns wäre.«
Vater Benedikt nickte langsam. »Und du traust diesem Mann, Thobias?«, fragte er. »Einem Söldner? Einem Mann, der für Geld tötet?«
»Nicht weiter als Ihr, Vater«, antwortete Thobias. Wenn er log, dann äußerst überzeugend. »Aber welchen Grund hätte er, jetzt noch zu lügen? Und er ist seinem Auftraggeber nicht verpflichtet. Immerhin hat er ihm seine Hilfe gedankt, indem er ihm einen Dolch in den Rücken gestoßen hat.«
»Das kommt dabei heraus, wenn man sich mit dem Teufel einlässt«, sagte Vater Benedikt. Dennoch schien er einen Moment angestrengt über Thobias' Worte nachzudenken, kam aber offensichtlich zu keinem endgültigen Schluss.
»Ich kann das nicht entscheiden«, sagte er schließlich. »Du magst Recht haben, Thobias, aber es bleibt der Umstand, dass diese beiden mit Waffengewalt hier eingedrungen sind und mehrere Männer erschlagen haben. Getäuscht oder nicht, sie müssen sich für dieses Verbrechen verantworten.«
»Aber ...«
»Aber«, fuhr Benedikt betont und eine Spur lauter fort, »seine Worte entbehren nicht einer gewissen Logik. Ich werde von hier aus weiterreisen und den Fall dem Landgrafen vortragen, denn er betrifft zweifelsfrei auch die weltliche Gerechtigkeit.« Sein Blick richtete sich auf Andrej und wurde bohrend. »Wir mögen hier keine Fremden, die in unser Land kommen und unsere Gesetze brechen.«
»Aber es geht auch um ihr Seelenheil«, sagte Thobias. »Ihr habt es selbst gesagt, Vater.«
»Ich weiß, was ich gesagt habe, Thobias«, wies Benedikt ihn scharf in seine Schranken. Er dachte erneut nach. »Ich werde zum Landgrafen reiten und den Fall dort vortragen. Bis ich zurück bin, überlasse ich die beiden Fremden deiner Obhut, Thobias. Aber auch deiner Verantwortung. Sollten sie fliehen oder gar weiteres Unheil anrichten, wirst du dafür gerade stehen müssen. Willst du das?«
»Ja«, antwortete Thobias rasch.
»Ich meine das so, wie ich es sage«, beharrte Vater Benedikt. Er klang sehr ernst. »Rechne nicht mit meiner Großmut oder dem Schutz der Kirche, sollte etwas passieren. Ich weiß ohnehin nicht, wie lange ich dir diesen Schutz noch gewähren kann. Es gibt Stimmen, die meinen, dass das, was du hier tust, an Ketzerei grenzt. Noch kann ich sie zum Schweigen bringen, aber nun, wo das Teufelskind wieder frei ist und offensichtlich wurde, dass es noch mehr von seiner Art gibt, ...« Er zuckte mit den Schultern und ließ den Satz unbeendet, was ihn mehr als alles andere zu einer Drohung machte, von der sich Thobias jedoch nicht beeindrucken ließ.
»Umso wichtiger sind Andrej und sein Freund für uns«, antwortete Thobias.
»Sie sind die Einzigen, die diese anderen kennen. Sie könnten uns helfen, sie zu finden.«
»Du hast gehört, was ich dazu zu sagen habe«, sagte Vater Benedikt, bevor er sich mit einer schwerfälligen Bewegung zur Tür herumdrehte. Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum, und nach kurzem Zögern - und nachdem er einen fast flehenden Blick in Andrejs Richtung geworfen hatte - folgte ihm Thobias.
Es wurde Abend, bis er Thobias wieder sah, und er machte ein sehr ernstes und besorgtes Gesicht, als er mit dem letzten Licht des verblassenden Tages hereinkam. Kurz zuvor hatte Andrej Hufschlagen und das Geräusch des schweren Tores gehört, das für die Nacht geschlossen wurde. Er nahm an, dass Vater Benedikt und seine Begleitung das Kloster verlassen hatten, was entweder von außergewöhnlichem Mut, oder von außergewöhnlicher Dummheit zeugte. Nach dem, was Andrej in diesen Bergen erlebt und mit eigenen Augen gesehen hatte, hätte er es sich gut überlegt, die schützenden Mauern nach Einbruch der Dunkelheit zu verlassen.
Er sprach Thobias sofort darauf an, aber der junge Geistliche schüttelte nur besorgt den Kopf. »Vater Benedikt nimmt die Angelegenheit sehr ernst. Er wird nicht mehr als zehn Tage brauchen, um zurück zu sein. Und ich fürchte, er wird nicht allein kommen.«