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»Der Landgraf ?«

»Die Inquisition«, antwortete Thobias. »Ich habe Euer Erschrecken vorhin bemerkt, als dieses Wort das erste Mal fiel, Andrej. Ihr fürchtet die Heilige Römische Inquisition?«

»Die Inquisition«, wiederholte Andrej, als ob er damit die Frage beantworten wollte.

Thobias sah ihn aufmerksam an und nickte schließlich. Er fragte nicht, was geschehen war.

»Warum tut Ihr das, Thobias?«, fragte Andrej plötzlich. »Ihr wisst, dass ich nicht tatenlos hier sitzen und auf meinen Henker warten werde. Warum also geht Ihr dieses Risiko ein? Immerhin habe ich versucht, Euch umzubringen. Ihr seid mir also nichts schuldig.«

»Ich halte Euch für einen aufrechten Mann, Andrej«, antwortete Thobias.

»Das beweist allein der Umstand, dass Ihr diese Frage stellt. Ihr wusstet nicht, was Ihr tut.«

»Das ist keine Antwort auf meine Frage«, sagte Andrej. »Wenn Abu Dun und ich fliehen, sind Eure Tage in diesem Kloster gezählt.«

»Wenn Gott kein Wunder geschehen lässt, ist mein Leben verwirkt«, antwortete Thobias. »So oder so. Und nicht nur meines.« Er seufzte tief, schüttelte ein paar Mal den Kopf und kam näher. Mit einer Bewegung, die so mühevoll und schwerfällig war wie die eines um fünfzig Jahre älteren Mannes, ließ er sich auf die Bettkante sinken und faltete die Hände im Schoß. Seine Schultern sanken nach vorne.

»Ihr könnt das nicht wissen, aber Benedikts Worte waren eine Warnung, die ich bitter ernst nehme, Andrej. Die Inquisition ist stark in diesem Land, und ihr Arm reicht weit. Es gibt viele, die insgeheim der Meinung sind, dass unser Tun hier nicht weniger als Hexerei ist, und dass ich eigentlich auf den Scheiterhaufen gehöre. Verbrennen sie dort, wo Ihr her kommt, auch Menschen, weil sie sie für Hexen halten?«

Andrej schwieg, aber das war Thobias anscheinend Antwort genug, denn er fuhr fort: »Hier tun sie es. Manchmal reicht es schon, den Neid eines Nachbarn zu erregen. Der Vorwurf allein ist oft genug das sichere Todesurteil. Die Menschen sind so dumm! Sie deuten auf ihren Nachbarn und schreien Hexe!, weil sie sein Land oder sein Geld haben wollen, und sie klatschen vor Begeisterung in die Hände, wenn das Feuer lodert. Sie begreifen nicht, dass sie vielleicht die Nächsten sind, die brennen.« Seine Stimme wurde leiser. »Vielleicht bin ich der Nächste, der brennt.«

»Wieso?«, fragte Andrej.

Thobias drehte müde den Kopf und sah ihn an. Andrej konnte erkennen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete, aber er konnte ebenso deutlich erkennen, dass er in die Augen eines Mannes blickte, der zutiefst verzweifelt war.

»Weil ich helfen wollte«, sagte Thobias schließlich. »Ich wollte den Menschen helfen, ihre Dummheit zu überwinden. Ihnen zeigen, was hinter ihrem Aberglauben steckt, und ...« Er brach ab.

»Indem Ihr Kinder foltert?«

Aus der Verzweiflung in Thobias' Augen wurde Bitterkeit, und Andrej begriff, dass er ihn verletzt hatte. Das war nicht seine Absicht gewesen. Es tat ihm Leid.

Bruder Thobias stand auf, ließ sich vor Andrej auf die Knie sinken und zog einen Schlüssel aus der Tasche seines Gewandes, mit dem er den eisernen Ring um sein Fußgelenk öffnete.

»Habe ich Euer Wort?«, fragte er.

»Ja«, antwortete Andrej. »Auch wenn diese Frage spät kommt.«

Thobias blickte den Schlüssel in seiner rechten und den geöffneten Eisenring in seiner linken Hand einen Moment lang an, dann zuckte er mit den Achseln und rettete sich in ein Lächeln.

»Kommt mit«, sagte er.

Als sie das Zimmer verlassen hatten, schlossen sich ihnen zwei Wachen an, die auf dem Gang gewartet hatten. So vertrauensselig, wie Thobias sich gab, war er offensichtlich doch nicht. Seltsamerweise fühlte sich Andrej durch diese Erkenntnis eher beruhigt.

Er sah sich sehr aufmerksam um, während sie den langen, fensterlosen Gang und anschließend eine steinerne Treppe hinunterstiegen, bevor sie das Gebäude verließen und auf den Hof hinaustraten. Es war sehr still, und niemand begegnete ihnen. Andrej sah sich um. Der erste Eindruck, den er von der Klosterfestung gehabt hatte, bestätigte sich: Er wäre nicht sonderlich überrascht gewesen zu erfahren, dass Thobias der einzige Geistliche hier war.

Sie überquerten den Hof und gingen die Treppe zum Kerker hinab. Die Gittertüren standen nun beide offen, und die Fackeln waren erloschen; offensichtlich war Birgers Tochter die einzige Gefangene hier unten gewesen.

Sie betraten den Gang, den er und Abu Dun gemieden hatten. Thobias entzündete eine Fackel, steuerte mit raschen Schritten eine Tür am anderen Ende des Ganges an und öffnete sie mit Hilfe eines zweiten, sehr kompliziert aussehenden Schlüssels, den er aus den Tiefen seines Gewandes zu Tage förderte. Nachdem er geduckt durch die niedrige Tür getreten war, steckte er die Fackel in einen schmiedeeisernen Halter an der Wand und entzündete anschließend eine stattliche Anzahl an Kerzen. Dann winkte er Andrej zu sich herein und schloss die Tür, bevor die Wachen ihnen folgen konnten.

»Ich habe Euer Wort«, erinnerte er Andrej.

Andrej antwortete mit einem abwesenden Nicken. Er blickte um sich. Der Raum war weder eine Kerkerzelle noch eine Folterkammer; nichts von dem, was er hier unten erwartet hätte. Vielmehr entpuppte er sich als kleines, hoffnungslos überfülltes Studierzimmer, das mit Büchern, Pergamenten und Folianten vollgestopft war. Auf einem grob gezimmerten Regal neben der Tür reihten sich Töpfe, Tiegel, Gläser und Beutel unbekannten Inhalts aneinander.

»Ihr seid ein weit gereister Mann, Andrej«, begann Thobias, nachdem er hinter dem schweren Schreibtisch Platz genommen hatte, der nahezu die Hälfte des vorhandenen Raumes einnahm. Andrej blieb stehen; schon weil es gar keinen zweiten Stuhl gab. »Ich vermute, dass Ihr auf Euren Reisen eine Menge Dinge gesehen habt. Dinge, die Euch wie Zauberei vorgekommen sein müssen. Oder wie Hexenwerk?«

»Worauf wollt Ihr hinaus, Thobias?«, fragte Andrej.

Thobias schwieg einen Moment. Es war ihm anzusehen, wie schwer es ihm fiel, weiterzusprechen. »Wir haben vorhin über Hexerei gesprochen, Andrej, und Aberglauben und darüber, wie leichtgläubig die Menschen doch sind. Sagt, Andrej - glaubt Ihr an Vampyre?«

Andrej erstarrte. »Wie?«, murmelte er. Eine eisige Hand schien nach seinem Herzen zu greifen.

»Oder an Werwölfe?«, fuhr Thobias fort. »An Wiedergänger, Untote und Wechselbälger?«

»Ich ... ich verstehe nicht ...«, murmelte Andrej, aber Thobias hörte gar nicht zu. Vielleicht hatte er sich die Worte mühsam zurechtgelegt und konnte nicht anders, als seinen Text aufzusagen.

»Ich habe früher nicht daran geglaubt«, fuhr er fort, »und ich glaube auch jetzt noch nicht daran - zumindest nicht in dem Sinne, in dem die meisten daran glauben. Obwohl ich das hier mit eigenen Augen gesehen habe.«

Er griff in eine Schublade seines Schreibtisches und zog ein Pergament heraus, das er über den Tisch in Andrejs Richtung schob.

Diesmal gelang es Andrej nicht mehr, sein Erschrecken zu unterdrücken.

Auf dem Pergament war eine mit wenig Kunstfertigkeit, dafür aber mit umso größerer Akribie angefertigte Tuschezeichnung zu sehen, die eine Kreatur aus Mensch und Bestie darstellte. Sie sah aus wie ein Wolf, aber zweibeinig und aufrecht gehend, mit einem schrecklichen, schiefen Gebiss und furchtbaren Klauenhänden.

»Ich bin kein großer Künstler«, sagte Thobias, als müsse er sich für die mangelnde Qualität seiner Zeichnung entschuldigen. »Aber genau das ist es, was ich in jener Nacht vor drei Jahren gesehen habe.«

Andrej legte das Pergament zurück. Sein Herz klopfte.

»Ich war damals noch ein junger Novize«, fuhr Thobias fort. »Ich dachte, ich wüsste alles und hätte die Antwort auf alle Fragen. Und natürlich wusste ich, dass es so etwas wie Ungeheuer und Hexen nicht gibt. Dann traf ich diese ... diese Kreatur. Sie tötete drei meiner Begleiter und verletzte meinen Vater und mich schwer. Aber wir überlebten, und seither versuche ich, das Geheimnis dieser ... Geschöpfe zu ergründen.«