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»Ich möchte mit Abu Dun reden«, verlangte er, während sie durch das Torgewölbe gingen. Thobias wollte sofort widersprechen, aber Andrej kam ihm zuvor und sprach mit deutlich schärferer Stimme weiter: »Und jetzt sagt nicht wieder: Kommt nicht in Frage oder sonst etwas. Ich will nur mit ihm reden, das ist alles. Ich muss mit ihm reden. Wenn Ihr meine Hilfe braucht, dann gestattet Ihr es mir lieber.«

Thobias zog eine Grimasse. »Ihr versteht es, Euer Anliegen zu vertreten, Andrej.«

»Ich ziehe seit Jahren mit einem arabischen Piraten und Händler umher«, grinste Andrej. »Das schult.«

»Und wenn ich dennoch nein sage?«

»Dann sterben wir in zehn Tagen gemeinsam.« Andrejs Grinsen stand auf seinem Gesicht, als wäre es eingemeißelt. »Vielleicht sterbe ich auch zehn Tage vor Euch ... Das macht keinen so großen Unterschied.«

»Also gut«, murmelte Thobias nach kurzem Überlegen. »Aber nur kurz. Und ich werde dabei sein.«

Andrej war überrascht, wie schnell Thobias seiner Forderung plötzlich nachgab.

Sie begaben sich unmittelbar ins Kellerverlies hinab, nahmen aber diesmal den rechten Gang. Eine Fackel brannte und verbreitete rotes Flackerlicht und beißenden Gestank. Die beiden Soldaten begleiteten sie, ohne dass Thobias sie eigens dazu auffordern musste. Andrej konnte die Unruhe der Männer spüren, und er roch tatsächlich ihre Furcht. Eine Furcht, unter der sich noch etwas anderes verbarg. Wut. Hass. Andrej gemahnte sich zur Vorsicht. Diese Männer hatten Angst vor ihm, aber sie hatten auch nicht vergessen, was er ihren Kameraden angetan hatte, und würden sich bei der ersten Gelegenheit dafür rächen.

Vor der Zelle, in der das Mädchen untergebracht gewesen war, blieben sie stehen. Das Sichtfenster in der massiven Eichentür war mit schmutzigen Lappen verstopft, sodass Andrej nicht in die dahinter liegende Zelle blicken konnte. Aber schon während Thobias einem der Soldaten einen Wink gab und dieser den schweren Riegel zurückschob, spürte er den erbärmlichen Gestank, der aus dem winzigen Raum drang. Es stank nicht nur nach menschlichen Exkrementen, nach Blut und Schweiß, sondern vor allem nach Leid. Eine Woge kalter Wut stieg in Andrej hoch; ein Gefühl, das in blanken Hass umschlug, als die Tür weiter aufschwang und er Abu Dun sah.

Der Nubier stand aufrecht an der Wand. Seine Hände waren auf die gleiche Weise an einen eisernen Ring über seinem Kopf gefesselt wie die Imrets zuvor, nur dass Abu Dun um ein gutes Stück größer war als sie, was ihn zu einer gebeugten Haltung zwang, die schon nach kurzer Zeit unerträglich geworden sein musste. Er war nackt, aber vielleicht zum ersten Mal, seit Andrej den Nubier kannte, beschlich ihn nicht ein sachtes Neidgefühl, als er den Körper des riesigen Piraten ansah. Abu Dun war immer noch ein Riese, der Andrej und Thobias selbst in der gebeugten Haltung noch überragte, in der er dastand, aber er war stark abgemagert, so als hätte er nichts zu essen bekommen, seit er in diese Zelle gebracht worden war. Seine Haut starrte vor Schmutz, und seine Augen waren trüb und schienen Andrej im ersten Moment gar nicht zu erkennen. Dann verzog ein Lächeln seine ausgetrockneten, rissigen Lippen.

»Hexenmeister«, murmelte er. Seine Stimme war ein schreckliches Krächzen, als wäre auch seine Kehle ausgedörrt und rissig.

Andrej musste sich zwingen, Abu Duns Lächeln zu erwidern, und er spürte selbst, wie kläglich der Versuch scheiterte.

»Pirat«, antwortete er.

Abu Duns Grinsen wurde noch breiter. Seine geschundene Unterlippe platzte auf, und ein einzelner Blutstropfen lief über das Kinn des Nubiers.

»Nenn mich nicht so.«

»Wenn du aufhörst, mich Hexenmeister zu nennen«, antwortete Andrej.

Die Worte klangen schal. Das zehn Jahre alte Ritual, mit dem sie sich begrüßten, kam ihm mit einem Mal wie grausamer Spott vor.

Mit einem Ruck drehte er sich zu Thobias um. Er zitterte am ganzen Leib.

»Warum?«

Thobias hielt seinem Blick ruhig stand. Bevor er antwortete, wandte er sich mit einer Geste an die beiden Soldaten, um sie fortzuschicken. Sie gehorchten, aber sie zogen sich nur ein paar Schritte weit zurück. Ihre Hände lagen auf den Schwertern.

»Es war der einzige Weg, ihn am Leben zu lassen«, antwortete Thobias, nachdem die Männer außer Hörweit waren, mit gesenkter Stimme. »Die Männer wollten ihn töten. Er hat ihre Kameraden erschlagen.«

»Macht ihn los!«, verlangte Andrej. »Auf der Stelle!«

»Das kann ich nicht«, antwortete Thobias. »Seht das doch ein, Andrej! Ich bin nicht der Befehlshaber dieser Männer! Sie unterstehen dem Landgrafen, und damit Vater Benedikt! Es hat mich all meine Überredungskunst gekostet, Eurem Freund auch nur das Leben zu retten! Sie würden ihn nicht losmachen, auch wenn ich es ihnen befehle.«

»Er stirbt, wenn er noch länger in diesem Kerker bleibt«, antwortete Andrej.

Er musste sich mit aller Gewalt beherrschen, um Thobias nicht zu packen und wie einen tollwütigen Hund zu schütteln und gegen die Wand zu werfen.

»Lass ... gut sein, Hexenmeister«, krächzte Abu Dun. »So schnell... sterbe ich nicht.«

Andrej überhörte seine Worte.

»Ihr werdet seine Fesseln lösen«, beharrte er. »Gestattet ihm, sich zu setzen und sich zu waschen! Das ist menschenunwürdig.«

»Ich kann das nicht«, sagte Thobias leise. »Ihr könnt mit ihm reden, und das ist schon mehr, als ich Euch gestatten dürfte. Ginge es nach den Männern hier, dann stünde er schon auf dem Scheiterhaufen und würde brennen. Und nun beeilt Euch. Eure Zeit ist fast um.«

Andrej schluckte die wütende Antwort hinunter, die ihm auf der Zunge lag.

Sich mühsam beherrschend, drehte er sich zu Abu Dun um. Erst jetzt bemerkte er die schwärenden Wunden und Kratzer, die Abu Duns Körper bedeckten. Sie hatten ihn nicht nur hungern lassen und in dieser qualvollen Haltung hier angekettet, sondern auch geschlagen.

»Wie fühlst du dich?«

Abu Dun stieß einen sonderbaren Laut aus. »Das ist die mit Abstand dümmste Frage, die ich je gehört habe«, antwortete er. »Was glaubst du? Ich fühle mich so, wie ich aussehe.«

»So schlimm?« Trotz allem atmete Andrej auf. Abu Dun hatte mit schleppender Stimme und stockend geantwortet, aber die Wahl seiner Worte machte Andrej deutlich, dass er noch immer bei Sinnen war.

»Du kommst bald hier raus«, sagte er. Im gleichen, bewusst aufmunternden wie beiläufigen Ton fügte er hinzu: »Sobald ich dieses Ungeheuer unschädlich gemacht habe.«

Abu Dun musterte erst ihn, dann Thobias aus trüben Augen und wechselte ins Arabische: »Von welchem Ungeheuer sprichst du?«

»Redet in einer Sprache, die ich verstehe!«, verlangte Thobias scharf.

»Heute Nacht«, sagte Andrej, ebenfalls auf Arabisch. »Ich hole dich raus.«

»Ich sagte, Ihr sollt so reden, dass ich Euch verstehe«, stieß Thobias wütend hervor.

»Verzeiht, aber ich habe ihm nur wiederholt, was Ihr gesagt habt«, antwortete Andrej. »Ich spreche auch nur wenige Brocken seiner Sprache und verstehe ihn sowieso nicht.«

Er las in Thobias' Augen, dass er ihm kein Wort glaubte. »Das reicht«, sagte er zornig. »Ihr habt Euren Freund gesehen und Euch davon überzeugt, dass er noch am Leben ist. Der Besuch ist beendet!«

Andrej wollte sein Wort halten und Abu Dun im Laufe der vor ihnen liegenden Nacht befreien. Er befürchtete, dass der Pirat den nächsten Morgen nicht mehr erleben könnte. Dass Abu Dun noch in der Lage gewesen war, sich klar und in zusammenhängenden Sätzen auszudrücken, täuschte ihn nicht über den bedrohlichen Zustand hinweg, in dem er sich befand. Abu Duns Stärke, die ihnen schon so oft das Leben gerettet hatte, konnte ihm in dieser Situation durchaus zum Verhängnis werden, denn wie viele wirklich starke Männer neigte er dazu, seine Grenzen zu missachten. Wenn der Zusammenbruch kam, dann kam er mit aller Gewalt.