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Günther blieb stehen. »Dort vorne kommen wir nicht weiter«, sagte er.

»Nicht einmal eine Bergziege käme den Hang hinauf.«

»Etwas ist dort hinaufgekommen«, antwortete Andrej.

»Wenn es dort oben ist, kann es uns nichts tun«, beharrte Günther. Er schüttelte den Kopf. »Wir müssen nur am Eingang der Klamm eine Wache aufstellen, dann erwischen wir es, sobald es sich zeigt.«

Andrej antwortete nicht gleich, sondern maß den Hundeführer mit einem langen, aufmerksamen Blick. Günther wirkte nicht nur ängstlich, sondern auch erschöpft, stärker, als er es nach dem Weg hätte sein dürfen, der hinter ihnen lag. Seine Augen waren unnatürlich geweitet, und seine Hände zitterten. Vielleicht rührte der Name der Klamm doch nicht nur daher, dass es hier so wenig Sonnenlicht gab.

»Wir gehen noch bis zum Ende der Klamm. Wenn die Hunde der Spur bis dahin folgen, sehen wir weiter«, entschied Andrej.

Günther hatte nicht den Mut zu widersprechen. Mit einem müden Achselzucken wandte er sich um und setzte seinen Weg fort.

Der Weg wurde zunehmend schwieriger, sodass sie noch langsamer vorankamen, und auch Andrej fühlte sich müde und erschöpft, als das Ende der Klamm endlich vor ihnen lag.

Zwei Schritte, bevor sich die Wände vor ihnen weiteten und sie wieder ins Sonnenlicht hätten hinaustreten können, blieben die Hunde stehen. Ihre Ohren stellten sich auf. Der Schäferhund erstarrte, während der andere die Lefzen zurückzog und ein drohendes Knurren hören ließ.

»Sie haben die Spur verloren«, behauptete Günther.

Andrej sah ihn fassungslos an. »Das sieht mir aber ganz anders aus«, sagte er. Sein Blick tastete aufmerksam in die Richtung, in die auch die beiden Hunde sahen. Das Gewirr aus Felsen und wucherndem dornigen Grün war vollkommen undurchdringlich, selbst für seine scharfen Augen. Aber er spürte, dass dort vorne etwas war. Etwas starrte sie an. Belauerte sie.

»Ihr könnt hier bleiben, wenn Ihr wollt«, sagte er. »Ich nehme die Hunde und gehe noch ein Stück weiter. Wartet hier auf mich.«

Abermals hob Günther nur die Schultern und stieß ein halblautes Schnalzen aus, auf das hin die beiden Hunde - widerwillig, aber gehorsam - weitergingen. Nach einem Augenblick waren sie zwischen Felsbrocken und Gestrüpp verschwunden. Andrej wartete noch ein wenig, dann nahm er die Hand vom Schwert und trat entschlossen in den hellen Sonnenschein hinaus.

Die Hunde begannen zu kläffen.

Etwas bewegte sich. Blätter raschelten, plötzlich kollerten Sterne, und ein Ast zerbrach mit einem trockenen Knacken. Aus dem Gefühl des Belauert werdens wurde für den Bruchteil eines Atemzuges Furcht - aus der rasender Zorn erwuchs. Andrej wusste bereits, was geschehen würde, noch bevor aus dem wütenden Gekläff der Hunde ein schrilles Heulen und Winseln wurde. Seine Hand zuckte zum Schwert und riss die Klinge aus der Scheide.

Ein dumpfer Schlag war zu hören. Andrej vernahm das grässliche Geräusch brechender Knochen und roch heißes, spritzendes Blut. Kurz darauf flog etwas in hohem Bogen aus dem Gebüsch und landete mit einem klatschenden Geräusch unmittelbar vor seinen Füßen. Es war nicht zu erkennen, welcher der beiden Hunde dieses blutige, zerfetzte Bündel einst gewesen war.

Andrej prallte mit einem entsetzten Laut zurück. Ein zweiter, noch dumpferer Schlag erscholl, und auch das Winseln des anderen Hundes erstarb.

Andrej konnte spüren, wie etwas Großes, unvorstellbar Wildes und vor allem Wütendes auf ihn zukam. Etwas, das viel stärker war als er. Gegen das er jeden Kampf verlieren würde. Und das wild entschlossen war, ihn zu vernichten.

Dennoch blieb er für die Dauer eines einzelnen, dumpfen Herzschlages wie erstarrt stehen. Er war unfähig, sich zu rühren oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Alles, woran er denken konnte, war das zerfetzte blutige Bündel Fleisch, das vor ihm lag. Er wollte das Schwert wegstoßen, die Zähne in das warme Fleisch graben und das süße, nach Leben schmeckende Blut trinken ...

Hinter ihm stieß Günther einen gellenden Schrei aus, und dieser Laut brach den Bann. Andrej fuhr herum, und da sah er es aus den Augenwinkeln: ein verzerrtes, grässliches Ding, halb Mensch, halb verkrüppeltes Tier, zu stark und zu tödlich, um sich ihm zu stellen. Andrej führte seine begonnene Drehung zu Ende und war mit einem Satz neben Günther und an ihm vorbeigelaufen. Der Hundeführer schrie irgendetwas, aber Andrej verstand die Worte nicht und hörte nur den Klang seiner Stimme: schrill, panisch, von einem Entsetzen erfüllt, das kein Mensch je erleben sollte. Hinter ihm raste das Ungeheuer heran, die gleiche, die Natur spottende Bestie, die er in jener Nacht getötet hatte, aber sie war wieder da, mörderischer und wilder denn je, und diesmal würde sie zu Ende bringen, was sie damals begonnen hatte.

Andrej war blind vor Angst. Hinter sich hörte er Günther noch immer schreien, aber er hörte auch die stampfenden Schritte des Ungeheuers, das Poltern von Steinen, und dann wieder einen dumpfen Schlag, gefolgt von einem fürchterlichen Gurgeln und einem schweren Aufprall.

Andrej raste weiter. Er stolperte, fiel, rappelte sich hoch und fiel wieder. Das Schwert entglitt seinen Fingern und fiel scheppernd zu Boden, und als er hochspringen wollte, beendete ein stechender Schmerz in seinem rechten Knie die Bewegung. Er stöhnte auf, biss die Zähne zusammen und quälte sich halbwegs hoch. Dann drehte er sich um, fest davon überzeugt, seinen dämonischen Verfolger heranrasen zu sehen.

Das Ungeheuer verfolgte ihn nicht. Es hatte gute acht oder zehn Schritte hinter ihm angehalten und stand über etwas gebeugt, das Andrej nicht erkennen konnte. Ein schreckliches Reißen und Mahlen ertönte, dann richtete sich das entstellte Geschöpf auf und wandte ganz langsam den Kopf in seine Richtung. Seine missgebildete Hundeschnauze war rot von frischem Blut, und seine Augen schienen wie unter einem unheimlichen inneren Feuer zu glühen. Andrej hatte nie zuvor einen Ausdruck so vollkommener Mordlust in den Augen eines lebenden Wesens gesehen.

Und das war noch nicht das Schlimmste. Viel schlimmer war: Es waren nicht die Augen eines Tieres. Was Andrej anstarrte, das war kein stumpfsinniges Ungeheuer. In diesen schrecklichen Augen, tief verborgen unter grenzenlosem Hass auf alles Lebendige, lauerte eine messerscharfe Intelligenz und ein beunruhigend großes, düsteres Wissen.

Taumelnd stemmte Andrej sich hoch. Das Ungeheuer folgte jeder seiner Bewegungen aus funkelnden Augen, aber es machte keine Anstalten, sich auf ihn zu stürzen, sondern senkte nach einem Moment wieder den Schädel, um sein schreckliches Mahl fortzusetzen.

Während das Reißen und Schlürfen anhielt, bückte sich Andrej nach seinem Schwert, hob es auf und humpelte davon.

»Nein, ich weiß nicht, warum es mich nicht getötet hat.« Andrej schüttelte zum wiederholten Mal den Kopf. »Es wäre dazu in der Lage gewesen. Es hätte mich ebenso einholen und töten können wie Günther. Aber es stand einfach nur da und hat mich angestarrt.«

»Vielleicht hatte es Angst vor Eurem Schwert«, sagte Thobias nachdenklich.

»Ihr sagt, es hätte nicht ausgesehen wie ein Tier?« Er sah Andrej nicht an, während er sprach, sondern spielte gedankenversunken mit dem Becher, in den er sich einen kräftigen Schluck Wein eingeschenkt hatte. Im Gegensatz zu Andrej hatte er bisher aber noch nicht einmal daran genippt.

»Angst?« Andrej schüttelte heftig den Kopf, setzte seinen eigenen Becher an und leerte ihn in einem einzigen Zug. Thobias runzelte die Stirn, schenkte ihm nach und betrachtete Andrej nachdenklich, als der auch diesen Becher hinunterstürzte. Thobias streckte die Hand nach dem Krug aus und schob ihn so weit von sich fort, wie er konnte.

»Ich glaube nicht, dass dieses ... dieses Ding überhaupt weiß, was das Wort Angst bedeutet«, meinte Andrej mit einiger Verspätung. Er warf einen sehnsüchtigen Blick in Richtung des Weinkruges, den Thobias aber nicht beachtete.