In ihrem Inneren war es so dunkel, dass er trotz seiner verstärkten Sehkraft nur vage Umrisse erkannte. Auf den Fenstern lag eine fingerdicke Schmutzschicht, und bei jedem Schritt, den er machte, wirbelten Staubflocken auf, die zum Husten reizten. Diesen Raum hatte seit Jahren niemand mehr betreten.
Andrej untersuchte ihn trotzdem, kurz aber sehr gewissenhaft, dann ging er zurück und holte Abu Dun. Nachdem er ihn in eine einigermaßen bequeme Lage gebettet hatte, kehrte er zurück zum Anfang des Tales, um die Satteldecken und ihr übriges Gepäck zu holen, dass sie dort zurückgelassen hatten. Als er zum zweiten Mal in die Kapelle trat, war er so erschöpft, dass er gerade noch die Tür hinter sich schließen konnte, ehe er sich auf dem nackten Boden ausstreckte und auf der Stelle einschlief.
Er erwachte von lautstarkem Stöhnen und dem sauren Geruch nach kaltem Schweiß. Abu Dun.
Andrej fuhr mit einem Ruck hoch und registrierte beiläufig, dass es ein wenig heller geworden war. Graugefärbtes Sonnenlicht sickerte durch Löcher und Ritzen in der verkrusteten Staubschicht auf den Fenstern wie durch einen halb vermoderten Bretterzaun; draußen herrschte heller Tag.
Das Stöhnen wurde lauter. Abu Dun lag auf dem Rücken und fantasierte lautstark in seiner Muttersprache. Sein Gesicht glänzte von kaltem, ungesundem Schweiß, und er lag nicht still, sondern warf sich gequält im Schlaf hin und her.
Andrej ließ sich neben ihm auf die Knie sinken, zögerte noch einen Moment und rüttelte dann an seiner Schulter. Abu Dun brauchte Schlaf, aber dies war kein erholsamer Schlaf, sondern ein Fieber, das seinen Körper weiter auszehren würde.
Drei- oder viermal musste Andrej an Abu Duns Schulter rütteln, bevor der Nubier endlich die Augen aufschlug. Andrej war dennoch nicht sicher, dass er wirklich wach war. Abu Duns Augen blickten trüb, und für einen Moment glaubte er tatsächlich, die verzehrende Flamme des Fiebers zu erkennen, das dahinter loderte und ihn langsam von innen heraus auffraß.
»Durst«, krächzte Abu Dun. »Ich ... ich habe Durst.«
»Wir haben kein Wasser«, sagte Andrej bedauernd. Er verfluchte sich, und das nicht zum ersten Mal. Sie hatten nicht nur kein Wasser, sie hatten nichts. Ihre Flucht aus der Klosterfestung war mehr als überhastet gewesen - dabei hätte es nur eines kurzen Aufschubs bedurft, um Vorräte und Wasser zu suchen. Dieser Fehler hätte ihm nicht unterlaufen dürfen. Früher wäre ihm dieser Fehler nicht unterlaufen.
»Ich gehe und suche Wasser«, sagte er. »Ich bin sicher, dass ich welches finde, keine Sorge.«
Er wollte aufstehen, aber Abu Dun griff nach seinem Arm und hielt ihn mit solcher Kraft fest, dass es wehtat.
»Nein!«, keuchte er. »Lass mich nicht ... nicht allein.«
Andrej versuchte sich loszumachen, aber Abu Dun hielt ihn mit so verzweifelter Kraft fest, dass er ihm die Finger hätte brechen müssen. »Du brauchst Wasser«, sagte er. »Du hast hohes Fieber.«
»Hilf mir«, murmelte Abu Dun. »Ich ... ich brauche kein Wasser. Du kannst mir helfen.«
»Aber dazu muss ich ...«
»Du kannst mir helfen«, unterbrach ihn Abu Dun. »Du weißt es. Mach ... mach mich so wie ... wie du.«
»Du weißt, dass ich das nicht kann«, sagte Andrej leise.
»Du kannst es«, beharrte der Nubier. Er stöhnte. Sein Körper zuckte unkontrolliert in Fieberkrämpfen. »Ich sterbe, Hexenmeister. Ich will, dass du ... dass du mich verwandelst. Mach mich zu einem wie dich. Mach mich zum Vampyr.«
»Du weißt nicht, was du da redest«, sagte Andrej, aber Abu Dun unterbrach ihn erneut, indem er ihn mit schriller Stimme anschrie: »Du bist es mir schuldig! Sie haben mir das alles nur deinetwegen angetan!«
»Das weiß ich«, meinte Andrej sanft. »Und es tut mir unendlich Leid. Aber ich kann nicht tun, was du von mir verlangst.«
»Du schuldest es mir«, beharrte Abu Dun. »Ich bin seit zehn Jahren bei dir. Ich habe dir hundertmal den Hals gerettet, und jetzt lässt du mich sterben. Ich verlange es. Hörst du, Hexenmeister? Ich verlange es!«
Andrej befreite sich nun doch mit sanfter Gewalt aus Abu Duns Griff. Er verzichtete auf eine Antwort. Sie wäre ohnehin sinnlos gewesen. Im gleichen Moment, in dem er seine Hand abgestreift hatte, war der Nubier wieder zurückgesunken und hatte zu stöhnen begonnen. Seine Augen waren noch immer weit geöffnet. Andrej bezweifelte, dass er ihn noch gehört hätte.
Er fantasierte und hatte hohes Fieber. Seine Stirn schien zu glühen, als Andrej vorsichtig die Hand darauf legte. Er brauchte dringend Wasser. Andrej stand auf und verließ mit sehr schnellen Schritten die Kapelle.
Auf diese Weise vergingen die nächsten drei Tage. Andrej hatte sowohl Wasser gefunden als auch genügend Wild erlegt, und er hatte in den Jahren, die sie auf der Flucht vor dem Krieg und den heranrückenden Türken in den Wäldern gelebt hatten, gelernt, rauchloses Feuer zu machen, sodass sie nicht mehr gezwungen waren, das Fleisch roh zu verzehren. Als der ärgste Dreck aus der Kapelle geschafft war, hatte Andrej es nach langem Zögern und mit einem schlechten Gefühl am Ende doch gewagt, nach Trentklamm zu gehen und Kleider für Abu Dun zu stehlen.
Abgesehen davon hatte er fast die gesamte Zeit an Abu Duns Lager verbracht. Der Nubier hatte beinahe ununterbrochen geschlafen. Sein Fieber war nur langsam gesunken, aber es hatte schließlich nachgelassen, und schon am zweiten Tag hatte er aufgehört zu fantasieren und im Schlaf um sich zu schlagen.
Kurz vor Sonnenaufgang des vierten Tages - noch drei Tage, bis Vater Benedikt und die Inquisition hier sein würden - erwachte Abu Dun zum ersten Mal klar und ohne Fieber und verlangte mit schwacher, aber sehr klarer Stimme nach Wasser und etwas zu essen. Andrej stand sofort auf und brachte ihm beides.
Sie hatten genügend Wasser, und vom Vortag war noch die Hälfte eines Hasen übrig, den Andrej mit bloßen Händen erlegt und an einem Stock über dem Feuer gebraten hatte, das in einem vor direkter Sicht geschützten Loch hinter der Kapelle angelegt war.
Er sah mit großem Vergnügen zu, wie Abu Dun den gesamten Braten verzehrte und anschließend einen gierigen Blick auf den Haufen abgenagter Knochen warf, schüttelte aber bedauernd den Kopf.
»Es ist nichts mehr da«, sagte er. »Und du solltest auch nicht zu viel essen, sonst wird dir am Ende wieder übel.«
»Du bist wie eine Mutter zu mir«, sagte Abu Dun, während er den letzten Bissen mit einem gewaltigen Schluck Wasser hinunterspülte und anschließend so kräftig rülpste, dass man es noch auf der anderen Seite der Berge hören musste.
Andrej verzog das Gesicht. »Du bist wieder ganz der Alte«, sagte er.
»Zweifellos.«
Abu Dun zog eine Grimasse, antwortete aber nicht, sondern warf einen neugierigen Blick auf den Stapel unordentlich gefalteter Kleider, der neben Andrejs linkem Knie lag. »Du hast Kleidung besorgt?«
Andrej schob ihm die Kleider zu. »Es beleidigt mein Schönheitsempfinden, andauernd deinen nackten schwarzen Hintern ansehen zu müssen. Die Sachen dürften dir passen. Sie stammen aus Birgers Truhe.«
»Birger?«
Andrej schlug bedeutungsvoll mit der flachen Hand auf einen Beutel unter seinem Hemd. Ein leises Klirren war zu hören. »Ich habe auch den Rest aus der Truhe mitgebracht. Man kann nie wissen, wofür man es braucht.«
»Du warst in Trentklamm?«, fragte Abu Dun nach.
»Sei unbesorgt«, beruhigte ihn Andrej. »Niemand hat mich bemerkt. Und niemand wird merken, dass ich da war. Es war deine eigene Idee, hast du das schon vergessen? Birgers Haus ist verlassen. Selbst wenn jemand merkt, dass die Truhe leer ist, werden sie glauben, dass Birger die Sachen geholt hat.«
»Birger.« Abu Dun hielt das zerschlissene, aber blütenweiß gewaschene Hemd in die Höhe, das Andrej ihm gebracht hatte, und betrachtete es missmutig. Es war lang genug, um ihm zu passen, aber er würde alle Mühe haben, seine breiten Schultern hineinzuquetschen; selbst jetzt, wo er so abgemagert war.