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»Wie gefällt es Ihnen in Furrowbank?«, erkundigte sich Lynn höflich bei Rosaleen.

»Es ist ein herrliches Haus«, erwiderte Rosaleen.

David Hunter stieß ein spöttisches Lachen aus.

»Der gute Gordon hat sich’s wohl sein lassen«, bemerkte er anzüglich. »Es scheint ihm nichts zu teuer gewesen zu sein.«

Ohne es zu wissen, traf David damit den Nagel auf den Kopf. Als Gordon Cloade sich entschieden hatte, einen Teil seines geschäftigen Lebens in Warmsley Vale zu verbringen, hatte er sich ein Haus nach seinem Geschmack bauen lassen. Ein Heim, dem bereits der Stempel anderer Bewohner aufgedrückt war, hätte ihm nicht behagt. Nein, Gordon hatte einen jungen Architekten beauftragt, ihm ein Haus zu bauen, und er hatte ihm freie Hand gelassen. Die meisten Einwohner von Warmsley Vale fanden den modernen weißen Bau mit den eingebauten Möbeln, den Schiebetüren und gläsernen Tischen grässlich. Nur um seine Badezimmer wurde Furrowbank ausnahmslos beneidet.

»Sie waren beim Frauenhilfsdienst, ja?«, erkundigte sich David.

»Ja.«

Seine Augen überflogen sie mit einem zugleich prüfenden und anerkennenden Blick, und Lynn spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg.

Tante Kathie tauchte plötzlich neben ihnen auf. Sie hatte eine Art, unvermittelt in Erscheinung zu treten, als materialisierte sie sich aus dem Nichts. Möglich, dass sie diesen Trick bei einer ihrer zahlreichen spiritistischen Séancen gelernt hatte.

»Abendbrot ist fertig«, verkündete sie in ihrer kurzatmigen, hektischen Art und setzte erklärend hinzu. »Ich finde es klüger, von einem Abendbrot zu reden, als großartig zu sagen: ›Es ist angerichtet.‹ Das wirkt so hochtrabend und erweckt große Erwartungen. Dabei ist alles so schrecklich schwierig. Mary Lewis hat mir anvertraut, dass sie dem Fischverkäufer alle zwei Wochen zehn Shilling in die Hand drückt. Ich kann mir nicht helfen, ich finde das unmoralisch.«?

Man begab sich in das abgenutzte, hässliche Speisezimmer; Jeremy und Frances, Lionel und Katherine, Adela, Lynn und Rowley. Eine gemütliche Zusammenkunft der Familie Cloade – mit zwei Außenseitern. Denn obwohl Rosaleen Cloade den gleichen Namen trug, war sie doch kein Mitglied der Familie geworden wie Frances oder Katherine.

Sie war eine Fremde, nervös, auf der Hut und fühlte sich offensichtlich unbehaglich in dieser Umgebung.

David war mehr als ein Außenseiter, er war fast ein Feind der Gesellschaft.

Eine bedrückende Spannung lag in der Luft. Unausgesprochen, unsichtbar war die Atmosphäre von etwas Bösem erfüllt. Was war es? Konnte es Hass sein?

Aber das habe ich seit meiner Rückkehr überall gefunden, auf Schritt und Tritt, dachte Lynn. Diese Spannung, diese innere Abwehr, dieses Misstrauen dem anderen gegenüber. In der Straßenbahn, in der Eisenbahn, auf den Straßen, in den Büros, zwischen Angestellten, zwischen Arbeitern, zwischen willkürlich zusammengewürfelten Passagieren eines Autobusses war es zu spüren. Abwehr, Neid, Missgunst. Aber hier kam noch etwas hinzu. Hier wirkte es bedrohlicher. Und erschrocken über ihre eigene Schlussfolgerung fragte Lynn sich in Gedanken: Hassen wir sie denn so sehr? Diese Fremden, die genommen haben, was wir stets als unser Eigentum betrachteten?

Nein! Sie wies sich selbst zurecht. Abwehr ist da, aber nicht Hass. Noch nicht. Sie aber, sie hassen uns.

Die Erkenntnis überwältigte sie dermaßen, dass sie stumm bei Tisch saß und kein Wort an David Hunter richtete, der ihr Nachbar war.

Seine Stimme klang nett, immer ein wenig, als mache er sich über das, was er sage, lustig. Lynn hatte ein schlechtes Gewissen. Womöglich dachte David, dass sie sich absichtlich ungezogen benahm.

»Entschuldigen Sie. Ich war geistesabwesend. Ich dachte eben über den Zustand der Welt nach.«

»Außerordentlich wenig originell«, erwiderte David kühl.

»Leider haben Sie Recht. Jedermann bemüht sich heutzutage, ernst zu sein, und es scheint herzlich wenig Gutes dabei herauszukommen.«

»Im Allgemeinen erweist es sich als bedeutend produktiver, sich um die Dinge zu kümmern, die Schaden anrichten, anstatt um solche, die die Welt verbessern. Wir haben die letzten Jahre dazu verwendet, einige wirksame Mechanismen oder Waffen, oder wie Sie es nennen wollen, zu erfinden, darunter unsere pièce de résistance, die Atombombe. Ein nicht zu verachtender Erfolg.«

»Darüber habe ich ja gerade nachgedacht. Ach, nicht über die Atombombe, aber über dieses Das-Schlechte-Wollen, dieses krampfhafte Bemühen, Böses anzurichten, Schaden zuzufügen.«

»Das hat es immer gegeben. Denken Sie ans Mittelalter und die schwarze Magie. An den bösen Blick, an die Amulette, an das heimtückische Töten von des Nachbarn Vieh oder auch des Nachbarn selbst.« Er zuckte die Achseln. »Mit allem schlechten Willen der Welt, was können Sie schon gegen Rosaleen oder mich tun? Sie und Ihre Familie?«

Lynn richtete sich auf. Die Unterhaltung begann sie zu amüsieren.

»Der Tag ist schon ein bisschen zu weit vorgeschritten, um noch darauf einzugehen«, entgegnete sie lächelnd.

David Hunter lacht laut heraus. Auch er schien Gefallen an dem Gespräch zu finden.

»Sie meinen, wir haben unser Schäfchen im Trockenen? Tja, für uns läuft’s nicht schlecht.«

»Und es gefällt Ihnen großartig, wie?«

»Reich zu sein? Ich gestehe es ehrlich – jawohl.«

»Ich meinte nicht nur das Geld. Ich meinte, es gefällt Ihnen wohl großartig, sich uns gegenüber als der starke Mann aufspielen zu können.«

»Sie haben doch das Geld vom alten Gordon schon so gut wie in der eigenen Tasche gesehen, Sie alle«, stellte David amüsiert fest. »Wäre der lieben Familie nicht schlecht zupass gekommen, das Vermögen vom lieben Onkel Gordon.«

»Schließlich hat Onkel Gordon uns immer in Sicherheit gewiegt und uns stets in Erinnerung gebracht, dass wir auf ihn zählen können. Er hat uns gelehrt, nicht zu sparen und uns keine Gedanken wegen der Zukunft zu machen; er hat uns ermutigt, alle möglichen Projekte in Angriff zu nehmen.«

Zum Beispiel Rowley mit seiner Farm, dachte Lynn, aber sie hütete sich, es auszusprechen.

»Nur eines hat er Sie nicht gelehrt«, bemerkte David lachend.

»Nämlich?«

»Dass man sich auf niemanden verlassen sollte und dass nichts in dieser Welt wirklich sicher ist.«

Lynn versank in Nachdenken. Nein, in der Welt David Hunters war nichts sicher. Da konnte man sich auf nichts verlassen. Aber bei ihnen? Bei den Cloades?

»Stehen wir nun auf Kriegsfuß miteinander?«, drang Davids Stimme an ihr Ohr.

»Aber nein«, beeilte sie sich zu versichern.

»Nehmen Sie Rosaleen und mir unseren unehrenhaften Eintritt in die Welt des Reichtums noch immer übel?«

»Das allerdings«, gab Lynn lächelnd zu.

»Sehr gut. Und was gedenken Sie dagegen zu tun?«

»Ich werde mir Zauberwachs kaufen und mich in schwarzer Magie üben.«

David lachte laut auf.

»Das traue ich Ihnen nicht zu. Sie gehören nicht zu denen, die mit altertümlichen Mitteln kämpfen. Sie gehen bestimmt mit hypermodernen und sehr wirksamen Waffen ans Werk. Aber gewinnen werden Sie nicht.«

»Wieso sind Sie so überzeugt davon, dass es zu einem Kampf zwischen uns kommen wird? Haben wir uns nicht alle in das Unvermeidliche gefügt?«

»Sagen wir lieber: Sie benehmen sich alle betont höflich. Es ist sehr amüsant.«

Es entstand eine kleine Pause, bevor Lynn mit verhaltener Stimme fragte:

»Warum hassen Sie uns so?«

In David Hunters seltsamen dunklen Augen flackerte etwas auf.

»Ich glaube nicht, dass Sie das jemals verstehen könnten.«