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»Ich glaube, Sie irren sich.«

David sah sie einen Augenblick stumm an, dann wechselte er den Ton und fragte obenhin:

»Wieso wollen Sie eigentlich Rowley Cloade heiraten? Er ist doch ein Einfaltspinsel.«

»Wie können Sie sich ein Urteil über ihn erlauben«, fuhr Lynn auf. »Sie kennen ihn nicht und wissen nichts von ihm.«

Unberührt von dem ärgerlichen Vorwurf in ihrer Stimme fuhr er im gleichen Konversationston fort:

»Was halten Sie von Rosaleen?«

»Sie ist sehr hübsch.«

»Und abgesehen davon?«

»Sie scheint sich nicht wohl zu fühlen in ihrer Haut.«

»Stimmt«, gab David zu. »Sie ist hübsch, aber nicht sehr gescheit. Und sehr ängstlich. Sie lässt sich stets treiben und gerät auf diese Weise in Situationen, denen sie nicht gewachsen ist. Soll ich Ihnen ein bisschen von ihr erzählen?«

»Gern«, erwiderte Lynn höflich.

»Als junges Mädchen wollte sie unbedingt zur Bühne, und sie setzte es auch irgendwie durch. Aber Sie können sich denken, dass sie kein besonderes Talent hatte. Sie landete in einer drittklassigen Truppe, mit der sie nach Südafrika auf Tournee ging. Sie fand, Südafrika höre sich so interessant an. In Kapstadt erlitt die Truppe Schiffbruch. Rosaleen hatte dort unten einen Regierungsbeamten kennen gelernt, der irgendwo in Nigeria seinen Bezirk hatte. Und wie meine Schwester sich stets von den Dingen treiben lässt, ließ sie sich auch in die Ehe mit dem Herrn aus Nigeria treiben. Nigeria gefiel ihr kein bisschen, und ich glaube, ich täusche mich nicht, wenn ich sage, dass sie sich auch aus dem Herrn aus Nigeria nicht besonders viel machte. Wäre es ein handfester Bursche gewesen, der ab und zu einen über den Durst getrunken und im Rausch seine Frau verprügelt hätte, wäre vielleicht alles noch gut ausgegangen. Aber dieser Beamte neigte eher zu intellektuellen Interessen. Er schleppte eine Menge Bücher mit in die Wildnis und liebte es, sich über Metaphysik zu unterhalten. Also fasste Rosaleen einen Entschluss – sehr vage natürlich wie alles, was sie tut – und fuhr zurück nach Kapstadt. Der Regierungsbeamte benahm sich sehr anständig und schickte ihr Geld. Er hätte sich von ihr scheiden lassen können, das wäre das Einfachste gewesen, aber er war katholisch; vielleicht kam deshalb eine Scheidung nicht in Frage. Wie dem auch gewesen sein mag: Er starb – sozusagen ein glücklicher Zufall, ist man versucht zu sagen – an Malaria, und Rosaleen erhielt eine kleine Witwenpension. Dann brach der Krieg aus, und sie beschloss, nach Südamerika zu fahren. Südamerika gefiel ihr aber nicht sonderlich, also nahm sie ein anderes Schiff, und auf diesem Schiff lernte sie Gordon Cloade kennen. Sie erzählte ihm, wie traurig ihr Leben bisher verlaufen war, und sie heirateten. Ein paar Wochen lebten sie glücklich und in Freuden in New York, dann kamen sie heim; kurz darauf traf eine Bombe den armen Gordon, und Rosaleen blieb zurück mit einem Riesenhaus, einer Unmenge herrlicher Schmuckstücke und einem unwahrscheinlich großen Einkommen.«

»Wie erfreulich, dass die Geschichte ein so glückliches Ende hat«, bemerkte Lynn sarkastisch.

»In Anbetracht der Tatsache, dass sie nicht gerade mit überragenden Geistesgaben gesegnet ist, hat Rosaleen bisher unerhörtes Glück gehabt«, fuhr David fort. »Gordon Cloade war ein kräftiger alter Herr. Er war zweiundsechzig. Bei seiner Konstitution hätte er leicht achtzig oder gar neunzig werden können. Für Rosaleen wäre das nicht sehr heiter gewesen. Sie ist sechsundzwanzig…«

»Sie sieht sogar noch jünger aus«, stellte Lynn fest.

Sie schauten beide zu Rosaleen hinüber, die eingeschüchtert dasaß und nervös Brot zwischen den Fingern zerkrümelte.

»Armes Ding«, entfuhr es Lynn.

David runzelte die Stirn.

»Wozu das Mitleid?«, fragte er scharf. »Ich passe schon auf Rosaleen auf. Und jeder, der es wagt, ihr zu nahe zu kommen, kriegt es mit mir zu tun. Ich weiß, wie man sich zur Wehr setzt. Mir ist Kriegführen geläufig, und meine Waffen sind nicht immer über allen Tadel erhaben.«

»Werde ich jetzt vielleicht das Vergnügen haben, auch Ihre Lebensgeschichte erzählt zu bekommen?«, erkundigte sich Lynn kühl.

»Eine stark gekürzte Fassung.« David lächelte. »Wie allen Iren liegt mir das Kämpfen im Blut. Als der Krieg ausbrach, war ich dabei, aber die Geschichte dauerte nicht lange. Ich erwischte eine Verwundung am Bein, und da war’s aus. Ich ging nach Kanada und war dort als Ausbilder tätig. Mit großer Inbrunst war ich, ehrlich gestanden, nicht bei der Sache, und als ich Rosaleens Telegramm bekam, in dem sie mir ihre Heirat ankündigte, nahm ich das nächste Flugzeug nach New York. Rosaleen hatte nichts von dem Geldsegen, der mit der Heirat verbunden war, erwähnt, aber ich habe eine gute Nase. Jedenfalls gesellte ich mich als Dritter im Bunde zu dem jungen Paar und begleitete die beiden auch nach London.«

Er lächelte Lynn an, doch Lynn blieb reserviert.

Sie erhob sich mit den anderen. Als sie zum Wohnzimmer hinübergingen, trat Rowley neben sie und fragte:

»Du scheinst dich sehr angeregt mit David Hunter unterhalten zu haben. Worüber habt ihr denn gesprochen?«

»Ach, über nichts Besonderes«, war Lynns ausweichende Antwort.

6

»Wann fahren wir nach London zurück, David? Und wann nach Amerika?«

David Hunter warf seiner Schwester über den Frühstückstisch hinweg einen überraschten Blick zu.

»Wozu die Eile? Gefällt es dir hier denn nicht?«

Sein Blick umfasste den Raum, während er sprach. Furrowbank war auf einem Hügel erbaut, und durch die hohen Fenster hatte man einen herrlichen Blick über die träumende englische Landschaft. Ein sanft abfallender Abhang war mit Tausenden von Narzissen bepflanzt. Sie waren beinahe verblüht, aber der Schimmer der goldgelben Blüten hob sich noch in starkem Kontrast vom Grün des Rasens ab.

Geistesabwesend ihr Brot zerkrümelnd, sagte Rosaleen:

»Du hast selbst gesagt, wir würden so bald wie möglich nach Amerika gehen.«

»Ja, aber es ist nicht so einfach, wie du dir das vorstellst. Man bekommt nur sehr schwer Plätze. Wir können keine wichtigen Geschäfte vorgeben, also müssen wir warten. Das sind Folgeerscheinungen des Krieges.«

Die Gründe, die David anführte, klangen – obwohl sie den Tatsachen entsprachen – ihm selbst wie Ausflüchte in den Ohren. Ob Rosaleen wohl denselben Eindruck hatte? Warum hatte sie sich plötzlich in den Kopf gesetzt, nach Amerika zu fahren?

»Du hast gesagt, wir brauchten nur für kurze Zeit hier zu bleiben«, murmelte Rosaleen mit gesenktem Kopf.

»Was hast du gegen Warmsley Vale?«, fragte David. »Furrowbank ist doch herrlich. Heraus mit der Sprache: Was passt dir hier nicht?«

»Sie passen mir nicht, sie, die Cloades. Keiner von ihnen.«

»Und mir bereitet es gerade ein ganz besonderes Vergnügen, ihre erzwungene Höflichkeit zu beobachten und dabei zu sehen, wie sie der Neid und die Missgunst innerlich zerfressen. Lass mir mein Vergnügen, Rosaleen.«

Rosaleen schaute verwirrt auf.

»Du solltest nicht so reden, David. Es gefällt mir nicht, was du da sagst.«

»Sei doch vernünftig, Mädchen. Wir sind genug herumgestoßen worden, du und ich. Die Cloades waren immer auf Samt und Seide gebettet. Sie haben sich’s auf Kosten vom lieben Onkel Gordon wohl sein lassen. Kleine Schmeißfliegen, die als Parasiten von der großen Schmeißfliege gelebt haben. Ich hasse diese Sorte Menschen. Ich habe sie immer gehasst.«

»Nicht doch, David.« Rosaleen war zutiefst erschrocken. »Es ist schlecht, andere Menschen zu hassen. Das darf man nicht.«

»Ach, du Unschuldslamm! Bildest du dir ein, sie hassen dich nicht?«

»Sie waren nicht unfreundlich zu mir«, wandte Rosaleen zweifelnd ein.

»Aber sie würden was darum geben, könnten sie sich’s leisten, unfreundlich zu dir zu sein.« Er lachte. »Hätten sie nicht Angst um die eigene Haut, wärst du vielleicht längst eines Morgens mit einem Messer im Rücken aufgefunden worden.«