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»Er ist Rechtsanwalt«, stellte der junge Mellow fest und fügte ohne große Anteilnahme hinzu: »Das trägt Ihnen aller Voraussicht nach eine Klage wegen Verleumdung, Kreditschädigung und übler Nachrede ein.«

»Sehr peinlich! Wirklich außerordentlich peinlich!«, war alles, was der Major darauf zu erwidern wusste.

»Heute Abend wird ganz Warmsley Heath im Bilde sein«, fuhr Mr Mellow junior ungerührt fort. »Das ist die Residenz der Cloadeschen Sippschaft. Vermutlich versammeln sie sich heute noch dort, um ein gemeinsames Vorgehen zu besprechen.«

Da in diesem Augenblick die Sirene das Ende des Alarms anzeigte, verzichtete Mr Mellow darauf, den armen Major weiter mit Andeutungen über etwaige Rachepläne der Familie Cloade zu ängstigen, und strebte mit seinem Freund Hercule Poirot dem Ausgang zu.

»Scheußliche Atmosphäre in diesen Clubs«, meinte er. »Und eine verrückte Mischung komischer Käuze trifft sich da. Dieser Porter ist der allgemeine Clubschrecken. Wenn er anfängt, den indischen Seiltrick zu schildern, dauert das endlos, und er kennt jeden, dessen Mutter, Großmutter oder Schwester sich’s jemals einfallen ließ, durch Poona zu reisen.«

Dies ereignete sich im Herbst 1944. Im Spätfrühling des Jahres 1946 empfing Hercule Poirot einen Besuch.

Hercule Poirot saß an einem heiteren Maimorgen vor seinem aufgeräumten Schreibtisch, als sein Diener George sich näherte und mit ehrerbietig leiser Stimme meldete:

»Eine Dame wünscht Sie zu sprechen, Sir.«

»Was für eine Art Dame?«, erkundigte sich Poirot, den die minuziösen Schilderungen Georges stets amüsierten.

»Sie dürfte zwischen vierzig und fünfzig sein, Sir, nicht sehr elegant, mit einem sozusagen künstlerischen Anflug in der Erscheinung. Derbe Halbschuhe, ein Tweedkostüm, aber eine Spitzenbluse. Um den Hals eine exotische, mehrreihige Kette und überdies einen pastellblauen Seidenschal.«

Poirot schüttelte sich leicht.

»Ich spüre kein großes Verlangen, diese Dame zu sehen«, erklärte er.

»Soll ich sagen, Sie fühlten sich nicht wohl?«, erkundigte sich George.

Poirot musterte seinen Diener nachdenklich.

»Sie haben ihr doch vermutlich bereits angedeutet, dass ich in eine äußerst wichtige Arbeit vertieft bin und keinesfalls gestört werden darf, wie ich Sie kenne, George.«

George hüstelte und verzichtete auf jede direkte Antwort.

»Sie käme extra vom Land herein, sagte sie, und es mache ihr nichts aus zu warten.«

Poirot seufzte.

»Gegen das Unvermeidliche zu kämpfen, ist sinnlos«, beschied er. »Wenn eine Dame fortgeschrittenen Alters und geschmückt mit exotischen Halsketten es sich in den Kopf gesetzt hat, den berühmten Hercule Poirot zu sprechen, und zu diesem Zweck extra eine Reise unternommen hat, wird nichts sie hindern können, ihr Vorhaben auszuführen. Sie wird in der Halle sitzen und sich nicht vom Fleck rühren. Also führen Sie sie lieber gleich herein.«

George zog sich zurück und kam gleich darauf wieder, um würdevoll zu verkünden:

»Mrs Cloade.«

Mit wehendem Schal, die Ketten bunter Perlen in klirrender Bewegung, fegte eine Gestalt in abgetragenem Tweedkostüm zur Tür herein, Hercule Poirot beide Hände entgegenstreckend.

»Monsieur Poirot, spiritistische Erleuchtung hat mir den Weg zu Ihnen gewiesen«, verkündete sie, ohne zu zögern.

Poirot blinzelte leicht irritiert.

»Vielleicht nehmen Sie erst einmal Platz, meine Verehrteste, und sagen mir – « Er kam nicht weiter.

»Durch automatisches Schreiben, Monsieur Poirot, und durch Klopfzeichen. Madame Elvary (Ach, was für eine wundervolle Person sie ist!) und ich, wir befragten gestern den Tisch. Und immer wieder kamen die gleichen Buchstaben. H. P. H. P. H. P. Natürlich begriff ich nicht sofort die Bedeutung. Das geht nicht so im Handumdrehen. Leider ist uns armen Wesen in diesem Erdental der wahre Durchblick nicht gegeben. Ich zerbrach mir den Kopf, was diese Initialen bedeuten könnten, auf wen in meinem Bekanntenkreis sie passten. Natürlich musste eine bestimmte Verbindung mit unserer letzten Sitzung vorhanden sein, ach, und was für eine wichtige und aufregende Sitzung das war! Ich kaufte mir die Picture Post, und da haben Sie wieder ein untrügliches Zeichen spiritistischer Eingebung, denn sonst kaufe ich immer den New Statesman, und kaum hatte ich die Zeitung aufgeschlagen, sah ich Ihr Bild! Ihr Bild und eine genaue Beschreibung Ihrer außerordentlichen Erfolge. Ist es nicht wunderbar, wie alles, alles in diesem Leben einen bestimmten Zweck verfolgt? Sind Sie nicht auch dieser Meinung? Ganz offensichtlich haben die Geister Sie dazu auserkoren, Licht in diese Angelegenheit zu bringen.«

Poirot beobachtete seinen seltsamen Besuch nachdenklich. Was sonderbarerweise seine Aufmerksamkeit am meisten fesselte, waren die schlauen Äuglein der Frau. Sie verliehen dem wirren Gerede einen beklemmenden Nachdruck.

»Darf ich fragen, Mrs Cloade – «, hub Poirot an und hielt dann stirnrunzelnd inne. »Mir ist, als hätte ich den Namen schon einmal gehört.«

Sie nickte lebhaft.

»Natürlich. Mein armer Schwager – Gordon. Wahnsinnig reich und sehr oft in den Zeitungen erwähnt. Er starb infolge eines Luftangriffs vor gut anderthalb Jahren. Es war ein schrecklicher Schlag für uns alle. Mein Mann ist ein jüngerer Bruder von Gordon. Er ist Arzt, Dr. Lionel Cloade…« Sie fuhr mit verhaltener Stimme fort. »Er hat natürlich keine Ahnung davon, dass ich Sie aufsuche. Er wäre sehr dagegen. Ärzte neigen im Allgemeinen zu einer mehr materialistischen Einstellung. Spiritismus scheint ihnen völlig wesensfremd zu sein. Sie vertrauen ihr Schicksal der Wissenschaft an. Aber was – frage ich – kann die Wissenschaft schon? Was ist die Wissenschaft überhaupt?«

Auf diese Frage schien es für Hercule Poirot keine andere Antwort zu geben, als Mrs Cloade einen ausführlichen Vortrag zu halten über das Leben und Wirken so großer Persönlichkeiten wie Pasteur, Lister, Koch, Edison und über die wohltuende Annehmlichkeit des elektrischen Lichts wie hundert anderer nicht minder Epoche machender Erfindungen. Doch das war selbstverständlich nicht die Antwort, die Mrs Lionel Cloade zu hören wünschte. Genau betrachtet erheischte ihre Frage, wie so viele Fragen, überhaupt keine Antwort. Sie war rein rhetorisch.

Hercule Poirot begnügte sich daher mit der nüchternen Erkundigung:

»Und in welcher Angelegenheit suchen Sie meine Hilfe, Mrs Cloade?«

»Glauben Sie an das Vorhandensein einer Geisterwelt, Monsieur Poirot?«

»Ich bin ein guter Katholik«, erwiderte Poirot ausweichend.

Mrs Cloade tat den katholischen Glauben mit einem nachsichtigen Lächeln ab.

»Blind!«, stellte sie fest. »Die Kirche ist blind, in Vorurteilen befangen und nicht imstande, die Schönheit jener Welt, die jenseits unseres Erdendaseins unser harrt, zu erkennen.«

»Um zwölf Uhr habe ich eine wichtige Besprechung«, bemerkte Hercule Poirot.

Mrs Cloade lehnte sich vor; sie hatte den Hinweis verstanden.

»Ich will zur Sache kommen. Wäre es Ihnen möglich, eine verschollene Person aufzuspüren, Monsieur Poirot?«

Poirots Brauen schoben sich in die Höhe.

»Vielleicht«, erwiderte er vorsichtig. »Nur kann die Polizei in solchen Fällen von weit größerer Hilfe sein als ich. Ihr steht der nötige Apparat zur Verfügung.«

Mrs Cloade tat die Polizei mit dem gleichen nachsichtigen Lächeln ab, das sie für die katholische Kirche übrig gehabt hatte.

»Nein, Monsieur Poirot. Die Stimmen aus der Geisterwelt haben mich zu Ihnen geführt, nicht zur Polizei. Hören Sie gut zu. Ein paar Wochen vor seinem Tod hat mein Schwager geheiratet. Eine junge Witwe, eine gewisse Mrs Underhay. Der erste Mann dieser Mrs Underhay soll in Afrika gestorben sein. Schrecklich für die junge Frau, finden Sie nicht? Sie erhielt aus Afrika einen Bericht über den Tod ihres Mannes. Ein geheimnisvolles Land – Afrika.«