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»Der arme alte Tom kann es wirklich nicht mehr allein schaffen.«

»Aber wir können es uns nicht leisten!«, hatte Lynn protestiert. Doch war dieser Protest auf unfruchtbaren Boden gefallen.

»Gordon wäre entsetzt, würde er unseren Garten sehen«, war Mrs Marchmonts Antwort gewesen. »Alles war immer so schön in Ordnung, und schau dir einmal an, wie vernachlässigt der Rasen und die Wege und die Beete sind. Nein, Gordon wäre von ganzem Herzen einverstanden damit, dass wir den Garten in Ordnung bringen.«

»Auch, wenn wir uns zu diesem Zweck Geld von seiner Witwe borgen müssen?«

»Ich habe dir doch gesagt, dass Rosaleen sehr nett gewesen ist. Sie war sehr verständnisvoll. Ich denke, sie hat unseren Standpunkt absolut begriffen. Übrigens habe ich noch einen ganz hübschen Überschuss auf der Bank, obwohl ich alle Rechnungen bezahlt habe. Ich sage dir, Lynn, ein zweiter Gärtner wäre keine Verschwendung, sondern eher Sparsamkeit. Stell dir vor, wie viel Gemüse wir anpflanzen könnten.«

»Du kriegst auf dem Markt mehr Gemüse, als du auf den Tisch bringen kannst, für bedeutend weniger als drei Pfund in der Woche.«

»Ich bin sicher, wir könnten jemand zu einem niedrigeren Gehalt finden. Es werden jetzt so viele Männer demobilisiert, die alle Arbeit suchen.«

»In Warmsley Heath oder Warmsley Vale wirst du kaum solche Arbeitskräfte finden«, wandte Lynn trocken ein.

Obwohl Mrs Marchmont es für diesmal dabei bewenden ließ, bedrückte Lynn der Gedanke, dass ihre Mutter sich anscheinend darauf eingestellt hatte, Rosaleen als Spenderin regelmäßiger Unterstützungen zu betrachten. Bei solchen Überlegungen wurden Davids spöttische Worte qualvoll lebendig.

Um sich von der schlechten Laune zu befreien, in die das morgendliche Gespräch mit der Mutter sie versetzt hatte, war Lynn zu einem Spaziergang aufgebrochen.

Dass sie ihre Tante Kathie vor der Post traf, trug nicht gerade zur Hebung ihrer gesunkenen Lebensgeister bei. Tante Kathie hingegen befand sich in ihrem Element.

»Ich glaube, meine Liebe, wir werden bald interessante Neuigkeiten hören«, verhieß sie.

»Was willst du damit andeuten?«, erkundigte sich Lynn.

Tante Kathie lächelte, schüttelte viel sagend den Kopf und machte ein überlegenes Gesicht.

»Ich habe erstaunliche Verbindungen bei unserer letzten Séance gehabt. Wahrhaft erstaunlich. Verbindung mit der Welt der Geister. Alle unsere Sorgen finden ein Ende, Lynn. Einen Dämpfer habe ich erhalten, aber das war am Anfang, und dann hieß es immer wieder: ›Gib’s nicht auf! Gib’s nicht auf!‹ Ich will nicht aus der Schule plaudern, Lynn, und ich bin sicher die letzte, die falsche Hoffnungen wecken möchte, aber glaube mir, die Stimmen aus der Geisterwelt trügen nicht, und bald, sehr bald, hat unser aller Elend ein Ende. Höchste Zeit wäre es, weiß Gott. Dein Onkel macht mir große Sorgen. Er hat während der vergangenen Jahre viel zu schwer gearbeitet. Es ist zu viel für ihn; er müsste sich zurückziehen und ganz seinen Studien widmen können. Aber ohne ein festes Einkommen kann er sich das natürlich nicht leisten. Manchmal versagten ihm in den letzten Wochen die Nerven. Wirklich, ich mache mir große Sorgen seinetwegen. Er ist zuzeiten so merkwürdig.«

Lynn nickte nachdenklich. Die mit ihrem Onkel vorgegangene Veränderung war auch ihr aufgefallen. Sie hatte ihn im Verdacht, manchmal zu einer aufputschenden Droge Zuflucht zu nehmen, und fragte sich insgeheim, ob er wohl bis zu einem gewissen Grad süchtig geworden war. Das würde auch den überreizten Zustand seiner Nerven erklärt haben. Ob Tante Kathie etwas vermutete oder gar wusste? Sie war keineswegs so nichtsahnend, wie sie sich manchmal gab.

Auf dem Weg über die Hauptstraße sah Lynn von weitem ihren Onkel Jeremy sein Haus betreten. Sie beschleunigte ihren Schritt. Das Verlangen, Warmsley Vale so schnell wie möglich hinter sich zu lassen und die Wiesen und Hügel außerhalb zu gewinnen, trieb sie voran. Sie hatte sich vorgenommen, während eines ausgiebigen Marsches querfeldein mit sich ins Reine zu kommen. Bisher hatte sie sich stets geschmeichelt, einen klaren Kopf zu haben und immer zu wissen, was sie wollte. Dass sie überhaupt imstande war, sich so treiben zu lassen, wie es in den letzten Tagen der Fall war, bedeutete etwas noch nie Dagewesenes bei ihr.

Ja, sie hatte sich treiben lassen, seitdem sie aus dem Dienst entlassen worden war. Heimweh und Sehnsucht überkam sie nach jenen Tagen, da alle Pflichten klar vorgezeichnet waren und man ihr die Entscheidung über so viele Dinge abgenommen hatte. Doch im Augenblick, da sie sich dies klarmachte, erschrak sie vor der tieferen Bedeutung dieser Erkenntnis. Ging es heutzutage nicht den meisten Menschen wie ihr? Und war der Krieg daran schuld? Es waren nicht die körperlichen Gefahren wie Minen im Meer oder Bombardements oder Schüsse aus dem Hinterhalt, die am nachhaltigsten wirkten, nein, viel schlimmer war es, dass man lernte, wie viel einfacher das Leben sein konnte, wenn man aufhörte, über die Dinge nachzudenken. Sie selbst war nicht mehr das intelligente Mädchen mit dem klaren Kopf und der Fähigkeit zu schnellen Entschlüssen, das sie gewesen war, als sie sich zum Dienst meldete. Man hatte sie eingereiht, ihre Fähigkeiten genützt, und nun stand sie da, wieder ganz auf sich selbst angewiesen, und fühlte sich auf einmal absolut nicht mehr imstande, mit ihren persönlichen Schwierigkeiten fertig zu werden.

Und diejenigen, die daheim geblieben waren… Zum Beispiel Rowley…

Der Name Rowley verscheuchte die allgemeinen Erwägungen aus Lynns Kopf und schob das Persönliche in den Vordergrund. Sie und Rowley. Das war der Kernpunkt des Problems. Das Problem überhaupt, um das es ging.

Lynn setzte sich auf halber Höhe des Hügels ins weiche Gras. Das Kinn auf die Hand gestützt, blickte sie über das in der Abenddämmerung versinkende Tal. Jeder Zeitbegriff war ihr abhanden gekommen, nur ihr inneres Widerstreben, sich auf den Heimweg zu machen, war ihr bewusst. Unter ihr, zur Linken, lag Long Willows. Rowleys Farm, die ihr Heim sein würde, wenn sie ihn heiratete.

Wenn! Da war es wieder, dieses »Wenn«!

Mit einem ängstlichen Schrei flog ein Vogel aus den Bäumen auf. Es klang wie der Schrei eines erschrockenen Kindes. Von einem in der Ferne vorbeiratternden Zug stiegen Rauchfahnen gen Himmel, und es schien Lynn, als formten sich die grauen Wolken zu wandernden Fragezeichen.

Soll ich Rowley heiraten? Will ich ihn noch heiraten? Habe ich ihn jemals wirklich heiraten wollen? Und könnte ich es ertragen, ihn nicht zu heiraten?

Der Zug dampfte das Tal entlang und verschwand um eine Biegung. Der Rauch löste sich zitternd auf, doch für Lynn blieb das Fragezeichen bestehen. Sie hatte Rowley ehrlich geliebt, bevor sie wegging. Aber ich habe mich verändert, grübelte sie. Ich bin nicht mehr die gleiche Lynn.

Und Rowley? Rowley hatte sich nicht verändert.

Ja, das war es eben. Rowley hatte sich nicht verändert. Rowley war noch genauso, wie sie ihn vor vier Jahren verlassen hatte. Wollte sie Rowley heiraten? Und wenn sie es nicht wollte – was wollte sie dann eigentlich?

Zweige krachten im Gehölz hinter ihr, und eine fluchende Männerstimme war zu hören, während sich jemand durch das Dickicht Bahn brach.

»David!«, entfuhr es Lynn.

»Lynn!«

Er schaute überrascht auf, als er sie vor sich sah. »Was um Himmels willen machen Sie denn hier?«

Er musste in ziemlich scharfem Tempo gelaufen sein, denn sein Atem ging kurz.

»Nichts Besonderes. Dasitzen und nachdenken. Nichts weiter«, gab sie Auskunft. Sie lächelte unsicher. »Ich glaube, es ist spät. Höchste Zeit für mich, heimzugehen.«

»Wissen Sie nicht, wie viel Uhr es ist?«, erkundigte sich David. Sie schaute auf ihre Armbanduhr.

»Sie ist schon wieder stehen geblieben. Eine Spezialität von mir, alle meine Uhren aus der Bahn zu bringen.«