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»Nicht nur Uhren!«, bemerkte David. »Sie sind erfüllt von Leben, von Elektrizität. Ihre Vitalität ist’s. Sie sind so lebendig.«

Er näherte sich ihr, und in vager Abwehr erhob sich Lynn.

»Es wird schon dunkel. Wirklich Zeit für mich, heimzugehen. Wie spät ist es, David?«

»Viertel nach neun Uhr. Ich muss auch machen, dass ich weiterkomme. Ich muss den 9-Uhr-20-Zug nach London noch erreichen.«

»Ich hatte keine Ahnung, dass Sie überhaupt zurückgekommen waren.«

»Ich musste in Furrowbank einiges holen. Aber ich darf den Zug nicht versäumen. Rosaleen ist allein in der Wohnung, und wenn sie allein eine Nacht in London verbringen muss, bekommt sie Angstzustände.«

»Aber um sie herum wohnen doch Leute«, entgegnete Lynn spöttisch.

»Gegen Angst kann man nicht mit Logik ankämpfen«, erwiderte David. »Wenn Sie einen solchen Schock erlitten hätten wie Rosaleen damals bei dem Bombenangriff – «

»Entschuldigen Sie. Das hatte ich ganz vergessen.« Sie war ehrlich betrübt.

»Natürlich, es ist alles so schnell vergessen«, versetzte David mit plötzlich aufwallender Bitterkeit. »Wir sind wieder wie früher, verkriechen uns in unsere Mauselöcher, fühlen uns sicher und unantastbar und machen uns wichtig. Und Sie sind genauso wie die anderen, Lynn!«

»Das ist nicht wahr, David«, fuhr Lynn auf. »Das ist nicht wahr! Gerade als Sie kamen, habe ich darüber nachgedacht – «

»Worüber? Über mich?«

Seine rasche Art verwirrte sie. Bevor sie recht wusste, wie ihr geschah, hatte er sie an sich gezogen und küsste sie leidenschaftlich.

»Rowley Cloade? Dieser gutmütige Ochse? Nein, Lynn, du gehörst mir!«

Und genauso plötzlich, wie er sie an sich gerissen hatte, ließ er sie los, schob sie fast ein wenig von sich weg und sagte:

»Ich werde noch den Zug verpassen.«

Und ohne ein weiteres Wort rannte er hügelabwärts.

»David!«

Im Laufen wandte er den Kopf und rief ihr zu: »Ich rufe dich von London aus an!«

Sie sah ihm nach, wie er durch die rasch zunehmende Dämmerung lief, leichten Schritts und doch mit kraftvoller Eleganz.

Und dann, völlig verwirrt, mit klopfendem Herzen und ratloser als zuvor, machte sie kehrt und ging langsam heim.

Vor dem Haus zögerte sie einen Moment. Der Gedanke an den Redefluss der Mutter, das wortreiche Willkommen und die unaufhörlichen Fragen, war ihr zuwider.

Und da fiel ihr das Geld wieder ein. Von Leuten, die sie verachtete, hatte sich Adela Marchmont fünfhundert Pfund geliehen.

Wir haben nicht das geringste Recht, Rosaleen und David zu verachten, dachte Lynn, während sie die Treppe hinaufstieg. Wir sind um kein Jota besser. Wir sind zu allem imstande – wenn’s um Geld geht.

Vor dem Spiegel in ihrem Zimmer blieb sie stehen. Ein fremdes Gesicht schien ihr entgegenzusehen.

Unvermittelt stieg Ärger in ihr hoch.

Wenn Rowley mich wirklich liebte, hätte er die fünfhundert Pfund irgendwie aufgetrieben. Er hätte mir diese entsetzliche Demütigung erspart, es von David annehmen zu müssen. Von David! David…

David hatte gesagt, er würde sie von London aus anrufen. Wie im Traum ging sie die Treppe wieder hinunter…

Träume, ging es ihr durch den Kopf, können sehr gefährlich sein…

15

»Da bist du ja, Lynn, ich habe dich gar nicht hereinkommen hören.« Adelas Stimme klang erleichtert. Sie plätscherte beruhigt fort: »Bist du schon lange da?«

»Ewigkeiten«, erwiderte Lynn ausweichend. »Ich war oben.«

»Ach, mir wäre es lieber, du würdest mir sagen, wenn du heimkommst. Ich bin immer unruhig, wenn ich dich nach Einbruch der Dunkelheit draußen herumstreifen weiß.«

»Das ist doch weiß Gott übertrieben, Mama. Meinst du nicht, ich bin imstande, auf mich selbst Acht zu geben?«

»Man liest aber immer so furchtbare Sachen in der Zeitung. Was in letzter Zeit alles passiert! Und die vielen entlassenen Soldaten… sie belästigen Frauen und Mädchen.«

»Wahrscheinlich wollen die Frauen und Mädchen belästigt werden.«

Lynn musste wider Willen lächeln, aber es war kein frohes Lächeln.

Sehnten die Frauen sich insgeheim nicht nach Gefahren?

Wer wollte letzten Endes denn schon sicher sein…?

»Lynn! Du hörst mir überhaupt nicht zu.«

Lynn riss sich zusammen. Sie hatte wirklich nicht zugehört.

»Ja, Mama? Was hast du gesagt?«

»Ich sagte gerade, hoffentlich haben deine Brautjungfern genügend Kupons, um sich Kleider für die Hochzeit machen lassen zu können. Ein Glück, dass du bei der Entlassung deine Kupons nachträglich bekommen hast. Die armen Mädchen, die heiraten müssen mit den paar Textilkupons, die einem gewöhnlich zustehen, tun mir schrecklich leid. Sie können sich überhaupt nichts Neues anschaffen. Ich meine, keine neuen Kleider. Die Unterwäsche ist meist in einem solchen Zustand nach diesen Kriegsjahren, wo nichts ersetzt werden konnte, dass man zuerst einmal daran denken muss, nun, und da bleibt für ein Hochzeitskleid nichts mehr übrig. Du hast großes Glück, Lynn.«

»Ja – großes Glück.«

Sie bewegte sich durch das Zimmer, nahm hier etwas auf, legte es ein paar Schritte weiter wieder ab und stand keine Minute still.

»Du bist so entsetzlich rastlos, meine Liebe«, klagte Adela. »Ist etwas los?«

»Was soll denn los sein?« Lynns Ton war scharf.

»Spring mir nicht gleich an die Kehle. Aber, um auf die Brautjungfern zurückzukommen: Ich finde, du solltest unbedingt Joan Macrae bitten. Ihre Mutter war meine beste Freundin, und sie wäre gekränkt, wenn – «

»Aber ich hasse Joan Macrae! Ich konnte sie nie ausstehen.«

»Ich weiß, Liebste, aber das ist doch nicht so wichtig. Marjorie wäre außer sich – «

»Schließlich ist es doch meine Hochzeit, Mama.«

»Natürlich, Lynn, natürlich, aber ich dachte – «

»Wenn es überhaupt zu einer Hochzeit kommt.«

Die Worte waren ihr entschlüpft, bevor sie sich überlegte, was sie da sagte. Nun war es zu spät. Sie ließen sich nicht mehr zurücknehmen. Adela Marchmont starrte ihre Tochter fassungslos an.

»Was soll das heißen, Lynn?«

»Ach, nichts, Mama.«

»Du hast dich doch nicht etwa mit Rowley gestritten?«

»Aber nein, Mama, reg dich nicht auf und sieh keine Gespenster. Es ist nichts.«

Doch Adela ließ sich nicht so leicht abspeisen. Sie spürte den Sturm der widerstreitenden Gefühle, dem ihre Tochter ausgesetzt war.

»An der Seite Rowleys wärst du geborgen und sicher«, bemerkte sie zögernd. »Der Überzeugung war ich immer.«

»Wer will schon sicher sein?«, fragte Lynn abweisend. Sie blieb plötzlich stehen und horchte.

»War das das Telefon?«

»Nein. Erwartest du einen Anruf?«

Lynn schüttelte verneinend den Kopf. Wie demütigend es war, auf einen Anruf zu warten! Er hatte gesagt, er würde sie noch heute Abend anrufen. Er musste sein Versprechen halten. Du bist verrückt, schalt sie sich gleich darauf.

Was war es nur, das ihr so gut gefiel an David Hunter? Sein dunkles, unfrohes Gesicht erschien vor ihren Augen. Sie versuchte es zu verscheuchen und sich an seiner Stelle den stets freundlichen, gutmütigen Rowley vorzustellen. Wieder fragte sie sich, ob Rowley sie wirklich liebte. Wie hatte er ihr dann die Bitte abschlagen können, ihr fünfhundert Pfund zu beschaffen? Er hätte sie verstehen müssen, anstatt mit Vernunftsgründen und sachlichen Einwänden zu argumentieren. Wie würde das sein, wenn sie Rowley heiratete, mit ihm auf der Farm lebte, für immer und ewig an die gleiche Scholle gebunden; nie mehr fremde Länder sehen, nie mehr fremden Menschen begegnen, nie mehr eine fremde Atmosphäre erleben, nie mehr Freiheit in vollen Zügen genießen…